Der Jahrestag des Pontifikats: Ein Blick auf das Wesentliche
Andrea Tornielli, Chefredakteur - Vatikanstadt
Der sechste Jahrestag seiner Wahl fällt für Papst Franziskus zusammen mit einem äußerst intensiven Moment seines Pontifikates, der gezeichnet ist durch wichtige internationale Reisen und zwei „synodale“ Ereignisse: Das Kinderschutztreffen, zu dem im Februar die Spitzen der weltweiten Bischofskonferenzen im Vatikan zusammengekommen sind, und die Synode für das Amazonas-Gebiet, die im kommenden Oktober ebenfalls im Vatikan stattfinden wird.
Große Wirkung hat der Papst mit seiner jüngsten Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate erzielt. Dort hat er eine Gemeinsame Erklärung mit dem Großscheich der al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, unterzeichnet. Insbesondere im Bereich der Religionsfreiheit, so die mit dem Dokument verbundene Hoffnung, könnten sich damit positive Auswirkungen ergeben. Das Thema der Ökumene wird hingegen bei den nächsten Auslandsreisen des Papstes bestimmend sein, wenn es zuerst nach Bulgarien und Nordmazedonien und dann nach Rumänien geht. Die erhoffte, aber noch nicht offiziell bestätigte Papstreise nach Japan hingegen könnte dabei helfen, die Erinnerung an die zerstörerische Wirkung von Nuklearwaffen wachzuhalten - eine Mahnung für die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit, die einen „Dritten Weltkrieg in Stücken“ erlebt, wie Papst Franziskus immer wieder betont.
Missbrauchsskandal und innere Spaltungen
Doch ein Rückblick auf das eben vergangene Jahr kann nicht über das Wiederaufflammen des Missbrauchsskandals und der inneren Spaltungen hinweggehen, die im vergangenen August den ehemaligen Nuntius Carlo Maria Vigano dazu bewogen hatten, wegen des Umgangs mit dem Fall McCarrick öffentlich den Rücktritt des Papstes zu fordern. Diese Forderung erfolgte just in dem Moment, in dem Papst Franziskus in Dublin die Eucharistie mit Tausenden von Familien feierte und die Schönheit und den Wert der christlichen Ehe unterstrich.
Angesichts dieser Vorkommnisse hat der Bischof von Rom alle Gläubigen auf der Welt aufgefordert, während des Marienmonats Oktober 2018 täglich den Rosenkranz zu beten, um sich in „Gemeinschaft und Buße“ zu versammeln, „als Volk Gottes, mit der Bitte an die Heilige Mutter Gottes und den Erzengel Michael, die Kirche vor dem Teufel zu schützen, der immer darauf trachtet, uns von Gott und untereinander zu spalten“. Eine derartige Aufforderung ist in der jüngeren Kirchengeschichte beispiellos. Mit seinen Worten und seinem Appell an das Gottesvolk, für die Einheit der Kirche zu beten, hat Franziskus den Ernst der Situation unterstrichen, gleichzeitig aber der christlichen Gewissheit Ausdruck verliehen, dass es keinen Ausweg gibt, der mit menschlichen Mitteln erreicht werden kann.
Die Kirche besteht weder aus Superhelden noch aus Superpäpsten
Ein weiteres Mal hat der Papst auf das Wesentliche verwiesen: Die Kirche besteht nicht aus Superhelden, auch nicht aus Superpäpsten, und sie geht auch nicht dank ihrer menschlichen Ressourcen oder Strategien voran. Sie weiß, dass das Böse in der Welt ist, dass es die Erbsünde gibt und dass wir für unsere Rettung Hilfe von oben benötigen. Das zu wiederholen, bedeutet nicht, die Verantwortung des Einzelnen oder der Institutionen zu schmälern, sondern sie in ihren realen Kontext einzubetten.
„Mit dieser Bitte um Fürsprache“, so das Vatikanstatement, mit dem der Wunsch des Papstes im vergangenen Oktober begleitet wurde, „fordert der Heilige Vater die Gläubigen auf der ganzen Welt auf, darum zu beten, dass die heilige Muttergottes die Kirche unter ihren schützenden Umhang nehme, um sie vor den Angriffen des Bösen zu schützen, des großen Anklägers, und in ihr gleichzeitig das Bewusstsein über die Missbräuche und Fehler wachsen zu lassen, die in der Gegenwart und in der Vergangenheit begangen worden sind.“
In der Gegenwart und in der Vergangenheit: Denn es wäre ein Fehler, alle Schuld auf diejenigen abzuladen, die vor uns gekommen sind, und sich selbst als „rein“ darzustellen. Auch heute muss die Kirche jemand anderen darum bitten, vom Bösen erlöst zu werden. Ein Faktum, das der Papst im Einklang mit seinen Vorgängern immer wieder in Erinnerung gerufen hat.
Die Kirche erlöst sich nicht selbst
Die Kirche erlöst sich nicht selbst von den Übeln, die sie belasten. Auch aus dem schrecklichen Abgrund der sexuellen Missbräuche, die von Klerikern und Ordensleuten begangen worden sind, kommt sie nicht mit der Hilfe von Selbstreinigungs-Prozessen heraus, genauso wenig wie damit, dass sie sich einem selbst ernannten „Läuterer“ anvertraut. Immer schlagkräftigere Normen, Verantwortung und Transparenz sind nötig, sogar unumgänglich, aber sie werden niemals ausreichend sein. Denn die Kirche, daran erinnert Papst Franziskus uns heute, ist nicht selbstbezogen und bezeugt das Evangelium vielen verletzten Männern und Frauen unserer Zeit gegenüber, gerade weil sie sich selbst als Bettlerin anerkennt, bedürftig der Barmherzigkeit und der Vergebung des Herrn. Vielleicht heute wie nie in den bewegten sechs Jahren seines Pontifikats bezeugt der Papst, der in Einklang mit der Lehre der Kirchenväter und seines unmittelbaren Vorgängers Benedikt XVI. als „Sünder, dem vergeben wurde“, auftritt, diese wesentliche und heute ganz besonders aktuelle Tatsache des christlichen Glaubens.
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