Im Wortlaut: Rede von Papst Franziskus an orthodoxe Christen
„Eure Heiligkeit, verehrte Metropoliten und Bischöfe, liebe Brüder,
Christos woskrese! – Christus ist auferstanden!
In der Freude des auferstandenen Herrn ergeht mein Ostergruß an euch an diesem Sonntag, der im christlichen Osten „Sonntag des Heiligen Thomas“ genannt wird. Betrachten wir den Apostel, der seine Hand in die Seite des Herrn legt, seine Wunden berührt und bekennt: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28). Die Wunden, die sich im Laufe der Geschichte unter uns Christen geöffnet haben, sind schmerzhafte Verletzungen am Leib Christi, der die Kirche ist. Auch heute noch sind die Folgen dieser Verletzungen mit Händen zu greifen. Aber wenn wir gemeinsam unsere Hände in diese Wunden legen und bekennen, dass Jesus auferstanden ist, und wenn wir ihn als unseren Herrn und unseren Gott verkünden, wenn wir unsere Fehler erkennen und so in seine Wunden der Liebe eintauchen, können wir vielleicht die Freude der Vergebung wiederentdecken und den Tag im Voraus verkosten, an dem wir mit Gottes Hilfe das Ostergeheimnis am selben Altar feiern können.
Würdigung der Märtyrer: Ökumene des Blutes
Auf diesem Weg werden wir von vielen Brüdern und Schwestern unterstützt, denen ich vor allem die Ehre erweisen möchte: sie sind die Zeugen des Osterfestes. Wie viele Christen in diesem Land haben für den Namen Jesu gelitten, besonders während der Verfolgung des letzten Jahrhunderts! Die Ökumene des Blutes! Sie haben im „Land der Rosen“ einen süßen Duft verbreitet. Sie gingen durch die Dornen der Prüfung, um den Duft des Evangeliums zu verströmen. Sie sind in einem fruchtbaren und gut bearbeiteten Boden gewachsen, in einem Volk, das reich an Glauben und echter Menschlichkeit ist, die ihnen feste und tiefe Wurzeln gegeben hat. Ich denke insbesondere an das Mönchtum, das von Generation zu Generation den Glauben der Menschen genährt hat. Ich glaube, dass diese Osterzeugen, Brüder und Schwestern verschiedener Konfessionen, die durch die göttliche Liebe im Himmel vereint sind, jetzt auf uns blicken, wie auf Samen, die in den Boden gepflanzt werden, damit sie Früchte hervorbringen. Und während viele andere Brüder und Schwestern in der Welt weiterhin wegen ihres Glauben leiden, bitten sie uns, nicht verschlossen zu bleiben, sondern uns zu öffnen, denn nur so bringen die Samen Früchte.
Erinnerung an zwei Päpste
Dieses Treffen, das ich mir so gewünscht habe, folgt auf die Begegnung des heiligen Johannes Paul II. mit dem Patriarchen Maxim, jenen ersten Besuch eines Bischofs von Rom in Bulgarien, und es folgt auch den Spuren des heiligen Johannes XXIII., der in den Jahren, die er hier verbrachte, dieses »einfache und gute« Volk so lieb gewonnen hat (vgl. Geistliches Tagebuch, Klagenfurt 1983, 246) und seine Ehrlichkeit, seinen Fleiß und seine Würde in den Prüfungen schätzte. Auch ich befinde mich hier als ein Gast, der mit Zuneigung empfangen wird, und ich spüre in meinem Herzen die Sehnsucht nach dem Bruder, jene gesunde Sehnsucht nach Einheit unter den Söhnen desselben Vaters, die bei Papst Johannes XXIII. sicherlich in dieser Stadt reifen konnte.
Die Ökumene der Armen
Während des von ihm einberufenen Zweiten Vatikanischen Konzils entsandte die bulgarisch-orthodoxe Kirche eigene Beobachter. Seither haben sich die Kontakte vervielfacht. Ich denke an die Besuche der bulgarischen Delegationen, die seit fünfzig Jahren in den Vatikan kommen und die ich jedes Jahr gerne begrüße, und an die Anwesenheit einer bulgarisch-orthodoxen Gemeinschaft in Rom, die in einer Kirche meiner Diözese betet. Ich freue mich über die exzellente Aufnahme meiner Gesandten, deren Präsenz sich in den letzten Jahren intensiviert hat, und über die Zusammenarbeit mit der lokalen katholischen Gemeinschaft, insbesondere im kulturellen Bereich. Ich bin zuversichtlich, dass sich diese Kontakte mit Hilfe Gottes und in der Zeit, die die Vorsehung bestimmen wird, positiv auf viele andere Aspekte unseres Dialogs auswirken werden. In der Zwischenzeit sind wir gerufen, gemeinsam unterwegs zu sein und zu handeln, um Zeugnis vom Herrn abzulegen, insbesondere indem wir den ärmsten und vergessensten Brüdern und Schwestern dienen, in denen er gegenwärtig ist. Die Ökumene der Armen.
Missionarische Ökumene
Diesen Weg weisen uns insbesondere die Heiligen Cyrill und Methodius, die uns seit dem ersten Jahrtausend miteinander verbinden und deren lebendiges Gedächtnis in unseren Kirchen als Quelle der Inspiration erhalten bleibt, weil sie trotz aller Widrigkeiten der Glaubensverkündigung, dem Ruf zur Mission den ersten Platz einräumten. Der heilige Cyrill sagte einmal: »Mit Freude mache ich mich für den christlichen Glauben auf den Weg; egal wie müde und körperlich geplagt ich auch bin, ich werde mit Freude gehen« (Vita Constantini VI,7; XIV,9). Und als die warnenden Vorzeichen der schmerzhaften Spaltungen, die sich in den folgenden Jahrhunderten ereignen würden, bereits vorhersehbar waren, wählten sie die Option der Gemeinschaft. Mission und Gemeinschaft: zwei Worte, die im Leben der beiden Heiligen vielfachen Ausdruck fanden und die unseren Weg eines Wachstums in der Brüderlichkeit erleuchten können. Missionarische Ökumene.
Cyrill und Methodius, die dem byzantinischen Kulturraum entstammten, besaßen die Kühnheit, die Bibel in eine den slawischen Völkern zugängliche Sprache zu übersetzen, so dass das göttliche Wort dem menschlichen Wort vorausging. Ihr mutiges Apostolat bleibt ein Modell der Evangelisierung für alle. Ein Bereich, der uns in der Verkündigung besonders fordert, ist der der jüngeren Generationen. Wie wichtig ist es, dass wir uns in Respekt vor den jeweiligen Traditionen und Eigenheiten helfen und Wege finden, den Glauben in Sprachen und Formen zu vermitteln, die es jungen Menschen ermöglichen, Freude an einem Gott zu erleben, der sie liebt und ruft! Andernfalls werden sie versucht sein, den vielen irreführenden Sirenen der Konsumgesellschaft zu vertrauen.
Gemeinschaft und Mission, Nähe und Verkündigung. Die Heiligen Cyrill und Methodius haben uns viel zur Zukunft der europäischen Gesellschaft zu sagen. In gewisser Weise »waren sie die Förderer eines geeinten Europas und eines tiefen Friedens unter allen Bewohnern des Kontinents, die die Grundlagen für eine neue Kunst des Zusammenlebens aufzeigten, welche die Unterschiede respektiert, die für die Einheit keineswegs ein Hindernis sind« (JOHANNES PAUL II., Grußwort an die offizielle Delegation Bulgariens, 24. Mai 1999: Insegnamenti XXII,1 [1999], 1080). Auch wir, die Erben des Glaubens der Heiligen, sind gerufen, Stifter von Gemeinschaft und Werkzeuge des Friedens zu sein im Namen Jesu. In Bulgarien, das »ein geistiger Kreuzungspunkt, ein Land der Begegnung und des gegenseitigen Verständnisses« ist (vgl. ID., Ansprache bei der Begrüßungszeremonie, Sofia, 23. Mai 2002: Insegnamenti XXV,1[2002], 864), haben verschiedene Konfessionen, von der armenischen bis zur evangelischen und verschiedene Religionen, von der jüdischen bis zur muslimischen, Aufnahme gefunden. Die katholische Kirche erfährt Aufnahme und Respekt sowohl in ihrer lateinischen als auch in ihrer byzantinisch-slawischen Tradition. Ich bin Eurer Heiligkeit und dem Heiligen Synod für dieses Wohlwollen dankbar. Auch in unseren Beziehungen erinnern uns die Heiligen Cyrill und Methodius daran, dass »eine gewisse Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche […] nicht im geringsten der Einheit der Kirche entgegensteht« und dass man zwischen Ost und West bei »verschiedenartigen theologischen Formeln oft mehr von einer Ergänzung als von einer Gegensätzlichkeit« sprechen muss. (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret Unitatis redintegratio, 16-17). »Wie viele Dinge können wir voneinander lernen!« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 246).
Bulgarien, ein Brückenland
Bald werde ich die Gelegenheit haben, die Alexander-Newski- Patriarchalkathedrale zu betreten, um im Gedenken an die Heiligen Cyrill und Methodius im Gebet innezuhalten. Der heilige Alexander Newski aus der russischen Tradition wie auch die heiligen Brüder aus der griechischen Tradition, die zugleich Apostel der slawischen Völker sind, zeigen, wie sehr Bulgarien ein Brückenland ist. Eure Heiligkeit, liebe Brüder, ich versichere euch meiner Gebete für euch, für die Gläubigen dieses geliebten Volkes, für die hohe Berufung dieses Landes, für unseren Weg einer Ökumene des Blutes, der Armen und der Mission. Ich wiederum bitte um einen Platz in euren Gebeten, in der Gewissheit, dass das Gebet die Tür ist, die jeden Weg zum Guten öffnet. Ich möchte mich nochmals für den mir zuteilgewordenen Empfang bedanken und euch versichern, dass ich die Erinnerung an diese brüderliche Begegnung in meinem Herzen bewahren werde.
Christos woskrese!“
(vatican news – sk)
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