Papstmesse mit Migranten: Die Predigt im Wortlaut
Heute spricht das Wort Gottes zu uns von Heil und Befreiung.
Heil. Auf seiner Reise von Beerscheba nach Haran beschließt Jakob, an einem einsamen Ort anzuhalten und sich auszuruhen. Im Traum sieht er eine Treppe, die auf der Erde steht und deren Spitze bis zum Himmel reicht (vgl. Gen 28,10-22a). Die Treppe, auf der die Engel Gottes auf- und niedersteigen, stellt jene Verbindung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bereich dar, die geschichtlich in der Menschwerdung Christi Wirklichkeit wird (vgl. Joh 1,51). Die Menschwerdung Christi ist das liebevolle Geschenk, in dem der himmlische Vater sich und sein Heil offenbart. Die Treppe ist eine Allegorie dieser göttlichen Initiative, die jeder menschlichen Regung vorausgeht. Sie ist das Gegenstück zum Turm von Babel, der von Menschen gebaut wurde, die mit ihren eigenen Kräften den Himmel erreichen wollten, um Götter zu werden. In diesem Fall jedoch ist es Gott, der „herabsteigt“, es ist der Herr, der sich offenbart, es ist Gott, der rettet. Und der Immanuel, der Gott mit uns, erfüllt die Verheißung gegenseitiger Zugehörigkeit zwischen dem Herrn und der Menschheit im Zeichen einer fleischgewordenen und barmherzigen Liebe, die Leben in Fülle schenkt.
Angesichts dieser Offenbarung vollzieht Jakob einen Akt des Vertrauens in den Herrn, der in dem Versprechen, Gott die Ehre zu erweisen und ihn anzubeten, seinen Ausdruck findet und einen wesentlichen Moment in der Heilsgeschichte darstellt. Er bittet den Herrn, ihn auf dem schwierigen Weg zu behüten, den er zu gehen hat, und er sagt: »Dann wird der Herr für mich Gott sein« (Gen 28,21).
In Anlehnung an die Worte des Patriarchen Jakob haben wir im Psalm wiederholt: „Mein Gott, auf dich vertraue ich“. Er ist unsere Zuflucht und unsere Festung, er ist uns Schild und Schutz, ein Anker in den Momenten der Prüfung. Der Herr ist Zuflucht für die Gläubigen, die in der Bedrängnis zu ihm rufen. Denn gerade in diesen Situationen wird unser Gebet reiner, wenn wir erkennen, dass die weltlichen Sicherheiten von geringem Wert sind und dass uns nichts anderes bleibt als Gott. Nur Gott reißt die Himmel auf für die, die auf Erden leben. Nur Gott rettet.
Und dieses totale und extreme Vertrauen ist es, was den Synagogenvorsteher und die kranke Frau im Evangelium verbindet (vgl. Mt 9,18-26). Es sind Ereignisse der Befreiung. Beide kommen zu Jesus, um von ihm das zu erhalten, was niemand sonst ihnen geben kann: die Befreiung von Krankheit und Tod. Auf der einen Seite haben wir die Tochter einer einflussreichen Persönlichkeit der Stadt; auf der anderen Seite haben wir eine Frau, die von einer Krankheit befallen ist, die sie zu einer geächteten, ausgestoßenen und unreinen Person macht. Aber Jesus macht keine Unterschiede: In beiden Fällen wird großzügig Befreiung gewährt. Ihre Not macht sowohl die Frau als auch das Mädchen zu „Letzten“, die zu lieben und aufzurichten sind.
Jesus offenbart seinen Jüngern die Notwendigkeit einer Option für die Letzten, die bei der Ausübung der Nächstenliebe an erster Stelle stehen müssen. Es gibt heute viele Arten von Armut. In diesem Zusammenhang schrieb der heilige Johannes Paul II. einmal Folgendes: »„Arme“ in den vielfältigen Dimensionen der Armut sind die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Alten, die Kranken, die Kleinen und alle, die als „Letzte“ in der Gesellschaft angesehen und behandelt werden« (Apostolisches Schreiben Vita consecrata, 82).
An diesem sechsten Jahrestag meines Besuchs in Lampedusa bin ich mit meinen Gedanken bei diesen „Letzten“, die jeden Tag zum Herrn schreien und darum bitten, von den Übeln befreit zu werden, die sie quälen. Die Letzten, das sind die, die getäuscht und verlassen werden, um in der Wüste zu sterben; die Letzten sind die, die in Gefangenenlagern gefoltert, missbraucht und verletzt werden; die Letzten sind die, die den Wellen eines erbarmungslosen Meeres trotzen; die Letzten sind die, die zu lange in Auffanglagern gelassen werden, als dass man ihren Aufenthalt dort als temporär bezeichnen könnte. Dies sind nur einige von diesen Letzten, die zu lieben und aufzurichten Jesus uns aufgetragen hat. Leider sind die bestehenden Peripherien unserer Städte dicht besiedelt mit verworfenen, ausgegrenzten, unterdrückten, diskriminierten, missbrauchten, ausgebeuteten, verlassenen, armen und leidenden Menschen. Im Geiste der Seligpreisungen sind wir berufen, ihre Leiden zu lindern und ihnen mit Barmherzigkeit zu begegnen; ihren Hunger und Durst nach Gerechtigkeit zu stillen; sie die fürsorgliche Väterlichkeit Gottes spüren zu lassen; ihnen den Weg zum Himmelreich zu zeigen. Sie sind Menschen, es geht hier nicht nur um Fragen des Sozialen oder der Migration! „Es geht nicht nur um Migranten“, in dem doppelten Sinne nämlich, dass Migranten in erster Linie Menschen sind und dass sie heute ein Symbol für alle sind, die von der globalisierten Gesellschaft als Abfall behandelt werden.
Damit kommen wir wieder auf das Bild der Jakobsleiter zurück. In Jesus Christus ist die Verbindung zwischen Erde und Himmel gesichert und für alle zugänglich. Aber das Emporsteigen der Stufen auf dieser Treppe erfordert Engagement, Anstrengung und Gnade. Den Schwächsten und Verletzlichsten muss geholfen werden. Mir gefällt der Gedanke, dass wir jene Engel sein könnten, die auf- und niedersteigen und die Kleinen, die Lahmen, die Kranken, die Ausgeschlossenen in ihre Obhut nehmen: die Letzten, die sonst zurückbleiben würden und nur das Elend dieser Welt zu sehen bekämen, ohne jetzt schon etwas vom himmlischen Licht mitzubekommen.
Brüder und Schwestern, dies ist eine große Verantwortung, der sich niemand entziehen kann, wenn wir den Auftrag der Erlösung und Befreiung erfüllen wollen, an dem mitzuwirken der Herr selbst uns berufen hat. Ich weiß, dass viele von euch, die erst vor wenigen Monaten angekommen sind, bereits den Brüdern und Schwestern helfen, die in noch jüngerer Zeit hier eintrafen. Ich möchte euch für dieses schöne Zeichen der Menschlichkeit, Erkenntlichkeit und Solidarität meinen Dank aussprechen.
(vatican news)
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