Im Wortlaut: Begegnung mit den Autoritäten Madagaskars
Herr Präsident,
Herr Premierminister,
meine Damen und Herren Mitglieder der Regierung und des Diplomatischen Corps
sehr geehrte Verantwortungsträger,
werte Vertreter der verschiedenen religiösen Bekenntnisse und der Zivilgesellschaft,
meine Damen und Herren!
Herzlich grüße ich den Präsidenten der Republik Madagaskar und danke ihm für die freundliche Einladung in dieses schöne Land wie auch für die Begrüßungsworte, die er an mich gerichtet hat. Sie, Herr Präsident, haben mit Leidenschaft gesprochen, mit Liebe für Ihr Volk. Ich danke Ihnen für Ihr Zeugnis als Patriot. Ich grüße auch den Premierminister, die Mitglieder der Regierung und des Diplomatischen Corps sowie die Vertreter der Zivilgesellschaft. Einen brüderlichen Gruß richte ich an die Bischöfe und die Gläubigen der katholischen Kirche, an die Vertreter anderer christlicher Bekenntnisse und verschiedener Religionen. Danke sage ich allen Personen und Institutionen, die diese Reise möglich gemacht haben und insbesondere an das madagassische Volk, das uns mit großer Gastfreundschaft empfangen hat.
In der Präambel der Verfassung Ihrer Republik haben Sie einen grundlegenden Wert der madagassischen Kultur festgeschrieben: den fihavanana, den Geist der Gemeinsamkeit, der wechselseitigen Hilfe und der Solidarität, der auch die Bedeutung der familiären Bande, der Freundschaft und des Wohlwollens unter den Menschen und gegenüber der Natur beinhaltet. So werden „die Seele“ Ihres Volkes und seine besonderen Wesenszüge, die es kennzeichnen und konstituieren, offenbar. Sie erlauben ihm, den vielfältigen, täglich auftretenden Anfeindungen und Schwierigkeiten mit Mut und Opferbereitschaft zu widerstehen. Wenn wir dieses für seine Schönheit und seinen unschätzbaren natürlichen Reichtum berühmte Land anerkennen, würdigen und wertschätzen, so tun wir das nicht zuletzt auch wegen dieser „Seele“, die Ihnen die Kraft gibt, in die aina (das heißt: in das Leben) eingebunden zu bleiben, wie es Pater Antonius von Padua Rahajarizafy SJ so gut in Erinnerung gerufen hat.
Nachdem Ihre Nation die Unabhängigkeit wiedererlangt hat, strebt sie nach Stabilität und Frieden, und sie tut dies in einem positiven demokratischen Wechselspiel, das der Komplementarität der Stile und der Konzepte Rechnung trägt. Dies macht deutlich, dass »die Politik ein grundlegendes Mittel [ist], um ein Gemeinwesen aufzubauen und das Tun des Menschen zu fördern« (Botschaft zum 52. Weltfriedenstag, 1. Januar 2019), wenn sie als Dienst an der menschlichen Gemeinschaft verstanden wird. Es ist daher klar, dass die öffentliche Stellung und die politische Verantwortung eine ständige Herausforderung bei der Aufgabe darstellen, den Mitbürgern, besonders den schwächsten, beizustehen und sie zu schützen sowie die Bedingungen für eine würdige und gerechte Entwicklung unter Einbeziehung aller Akteure der Zivilgesellschaft zu fördern. Denn, wie der heilige Papst Paul VI. bemerkte, ist »Entwicklung (…) nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben« (Enzyklika Populorum progressio, 14).
Aus dieser Sicht ermutige ich Sie, kraftvoll und entschlossen gegen alle einschlägigen Formen der Korruption und Spekulation vorzugehen, welche die soziale Ungleichheit erhöhen, sowie gegen die große wirtschaftliche Unsicherheit und die Exklusion, die immer zu inhumaner Armut führen. Hier ist es nötig, alle strukturellen Maßnahmen einzuleiten, die eine bessere Verteilung der Einkommen und ganzheitliche Förderung aller Einwohner, insbesondere der ärmsten gewährleisten. Eine solche Förderung darf sich nicht nur auf eine Art Beihilfe beschränken, sondern erfordert die Anerkennung juridischer Subjekte, die berufen sind, vollkommen an der Gestaltung ihrer Zukunft beteiligt zu sein (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 204-205).
Zudem haben wir gelernt, dass wir nicht von einer ganzheitlichen Entwicklung sprechen können, wenn wir nicht unserem gemeinsamen Haus Aufmerksamkeit schenken und dafür Sorge tragen. Es handelt sich nicht nur darum, die geeigneten Instrumente zur Bewahrung der natürlichen Ressourcen zu finden, sondern es sind »ganzheitliche Lösungen zu suchen, welche die Wechselwirkungen der Natursysteme untereinander und mit den Sozialsystemen berücksichtigen. Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise« (Enzyklika Laudato siʼ, 139).
Ihre schöne Insel Madagaskar ist reich an botanischer und zoologischer Biodiversität, die besonders durch die exzessive Entwaldung, die nur dem Vorteil einiger weniger dient, bedroht ist; der Waldabbau gefährdet die Zukunft des Landes und unseres gemeinsamen Hauses. Wie Sie wissen, werden die übriggebliebenen Wälder durch Brände, durch Wilderei und durch unkontrollierten Einschlag wertvoller Hölzer beeinträchtigt. Die Biodiversität der Pflanzen und Tiere ist wegen des Schmuggels und der illegalen Exporte in Gefahr. Es ist wahr, dass viele dieser umweltschädigenden Tätigkeiten für den Augenblick das Überleben der betreffenden Bevölkerung sichern. Daher ist es wichtig, rentable Arbeitsplätze und Tätigkeiten zu schaffen, die umweltverträglich sind und den Menschen helfen, aus der Armut herauszukommen. Mit anderen Worten, es kann keinen echten ökologischen Ansatz und keine konkrete Umweltschutz-Aktion ohne eine soziale Gerechtigkeit geben, die das Recht garantiert, dass die Güter der Erde allen, der gegenwärtigen wie der zukünftigen Generation zugutekommt.
Auf diesem Weg müssen wir uns alle engagieren, auch die internationale Gemeinschaft. Viele ihrer Vertreter sind heute hier anwesend. Es ist anzuerkennen, dass diese internationalen Organisationen eine große Unterstützung zur Entwicklung des Landes geleistet haben. Dies macht die Öffnung Madagaskars zur Welt sichtbar. Das Risiko besteht darin, dass diese Öffnung zu einer vermeintlichen „universalen Kultur“ wird, die das eigene kulturelle Erbe eines jeden Volkes missachtet, begräbt und unterdrückt. Die wirtschaftliche Globalisierung, deren Grenzen immer deutlicher werden, sollte nicht zu einer kulturellen Homogenisierung führen. Nur wenn wir uns an einem Prozess beteiligen, der die ursprünglichen Prioritäten und Lebensstile respektiert sowie die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt, wird die durch die internationale Gemeinschaft geleistete Unterstützung nicht die einzige Garantie für den Fortschritt des Landes sein. Das Volk selbst wird zunehmend für sich selbst sorgen und seine eigene Zukunft gestalten können.
Deshalb müssen wir der örtlichen Zivilgesellschaft, der lokalen Bevölkerung, besondere Aufmerksamkeit und Respekt entgegenbringen. Wenn wir ihre Initiativen und Tätigkeiten unterstützen, wird die Stimme derer, die keine Stimme haben, besser zu vernehmen sein, genauso wie die verschiedenen – auch gegensätzlichen – Harmonien einer nationalen Gemeinschaft, die ihre Einheit sucht. Ich möchte Sie einladen, sich diesen Weg einmal vorzustellen, auf dem niemand an den Rand gedrängt wird, allein gelassen ist oder sich verliert.
Als Kirche wollen wir uns die Haltung des Dialogs zum Vorbild nehmen, wie sie Ihre Mitbürgerin Victoire Rasoamanarivo pflegte, die Johannes Paul II. bei seinem Besuch vor dreißig Jahren seliggesprochen hat. Ihr Zeugnis der Liebe für ihr Land und seine Traditionen, der Dienst an den Ärmsten als Zeichen ihres Glaubens an Jesus Christus weisen uns den Weg, der auch uns aufgetragen ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte den Willen und die Bereitschaft der katholischen Kirche in Madagaskar wiederholen, im beständigen Dialog mit den Christen der anderen Konfessionen, mit den Mitgliedern der anderen Religionen und mit allen Akteuren der Zivilgesellschaft dazu beizutragen, eine echte Brüderlichkeit zu verwirklichen, die immer die fihavanana zur Geltung bringt und eine ganzheitliche menschliche Entwicklung fördert, damit niemand ausgeschlossen ist.
Mit dieser Hoffnung bitte ich Gott um seinen Segen für Madagaskar und alle, die hier leben. Er erhalte Ihre schöne, friedliche und einladende Insel und schenke ihr Wohlstand und Glück! Danke.
(vatican news)
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