Papst Franziskus: „Nein zu Atomwaffen“ wird in Katechismus aufgenommen
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Es sind wohl vor allem die Bilder aus Hiroshima, die von dieser Reise bleiben werden: Franziskus, der eine Kerze an dem Ort entzündet, wo 1945 die erste Atombombe aufschlug; die bedrückte Atmosphäre auf dem japanischen ‚Ground Zero‘. Der Presse gegenüber sprach der Papst in bewegten Worten von Nagasaki und Hiroshima; der nuklare Krieg von damals sei „eine wirkliche Katechese über die menschliche Grausamkeit“.
„Für mich war das eine sehr anrührende Erfahrung. Ich habe in Hiroshima betont, dass der Einsatz und sogar schon der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist – das muss in den Katechismus der Katholischen Kirche aufgenommen werden. Auch schon der Besitz von Atomwaffen, denn ein Zwischenfall oder die Verrücktheit eines Verantwortlichen kann die ganze Menschheit zerstören. Denken wir an das, was Einstein einmal gesagt hat: Der Vierte Weltkrieg wird (nur noch) mit Stöcken und Steinen ausgetragen werden.“
Atomkraft? „Da kann immer mal etwas passieren“
Franziskus schnitzt also weiter an einem schärferen Profil der katholischen Friedensethik. Unlängst hatte er schon die Todesstrafe als unmoralisch geächtet und eine Aufnahme dieser Position in den Weltkatechismus angeordnet. Mit der Etikettierung des Besitzes von Atomwaffen als unmoralisch will er nun genauso verfahren. Der Weltkatechismus entstand 1997 im Auftrag des hl. Papstes Johannes Paul II., unter Federführung des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger; das ist der jetzige emeritierte Papst Benedikt XVI.
Ausgesprochen skeptisch zeigte sich Franziskus auch, was den zivilen Gebrauch der Atomkraft in der Stromerzeugung betrifft. „Da kann immer mal etwas passieren, das habt ihr doch erlebt“, sagte er zu einem japanischen Fragesteller. 2011 hatten ein Erdbeben und ein Tsunami im japanischen Fukushima einen Atomunfall verursacht, über 15.000 Menschen starben. Der Papst ist am Sonntag in Tokio Überlebenden von Fukushima begegnet.
„Der Einsatz von Atomkraft ist sehr grenzwertig, weil wir noch nicht zu einer völligen Sicherheit gelangt sind… Wenn in einem Atomkraftwerk etwas passiert, dann ist das sofort eine große Katastrophe. Man hat die Sicherheit noch nicht genug ausgearbeitet. Das ist nur meine persönliche Meinung, aber ich würde Atomkraft solange nicht nutzen, als es keine vollkommende Sicherheit gibt. Es gibt keine Sicherheit, um zu garantieren, dass es nicht alle zehn Jahre irgendwo in der Welt zu einem Desaster kommt.“
Entgegen den Erwartungen vieler japanischer Medien ist es während Franziskus‘ Tokio-Aufenthalt nicht zu einer Begegnung des Papstes mit Iwao Hakamada gekommen. Der frühere Sportler hat von 1968 bis 2014 wegen Mordes in einer Todeszelle gesessen, dann kam er wieder auf freien Fuß, weil ein DNA-Test überraschend seine Unschuld erwies. Hakamada hat an der Papstmesse in Tokio teilgenommen, ihm aber nicht die Hand geben können. „Ich habe das erst hinterher erfahren, ich wusste nicht von ihm“, erklärte Franziskus dazu.
„Die Todesstrafe ist unmoralisch! Aber das entsprechende Bewusstsein muss sich erst entwickeln. Einige Länder können die Todesstrafe wegen politischer Probleme nicht abschaffen; sie setzen sie daher aus. Das ist eine andere Art und Weise, eine lebenslange Haftstrafe zu verhängen, ohne sie beim Namen zu nennen. Aber eine Verurteilung muss immer eine Möglichkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft enthalten; eine Verurteilung, die kein Fenster zum Horizont offenlässt, ist nicht menschlich… Wir müssen gegen die Todesstrafe kämpfen, aber langsam.“
Eine Enzyklika zur Gewaltlosigkeit?
Nukleare Abrüstung, Todesstrafe – all das böte genug Stoff für eine Enzyklika. Franziskus hat in fast sieben Jahren Pontifikat erst zwei Enzykliken verfasst, eine zum Glauben und die letzte, 2015, zur Schöpfung. Kommt jetzt die Enzyklika zur Gewaltlosigkeit? „Vielleicht schreibt der nächste Papst sie“, winkte Franziskus zunächst ab. Dann aber gab er zu: „Es gibt entsprechende Projekte in der Schublade. Auch eines zum Frieden. Das reift allmählich. Wenn ich das Gefühl habe, jetzt ist der richtige Moment gekommen, dann werde ich sie schreiben.“
Mit vorsichtigen Worten sprach sich der Papst für eine UNO-Reform aus: Es müsse doch einen Weg geben, damit der Sicherheitsrat nicht durch das Veto eines einzigen Landes blockiert wird. Er lobte den Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine und die Bemühungen, den Konflikt in der Ost-Ukraine zu beenden.
„Kinder, lasst das Heucheln, die Sache ist hässlich“
Zur christlichen Lehre vom gerechten Krieg bemerkte er, das Prinzip der legitimen Selbstverteidigung bleibe „immer“ bestehen, „aber als letzte Zuflucht“. „Ich unterstreiche: als letzte Zuflucht!“ Generell beobachte er, dass es derzeit einen „ethischen Fortschritt“ gebe, und das freue ihn sehr. Die Menschheit gehe also auch im Guten, nicht nur im Bösen voran.
„Eine hässliche Sache ist die Heuchelei beim Thema Waffen. Christliche, europäische Länder sprechen von Frieden, aber leben von Waffen – das ist Heuchelei! Jesus hat es im 23. Kapitel des Matthäusevangeliums gesagt: Diese Heuchelei muss ein Ende haben. Man muss den Mut finden, zu sagen: Ich kann nicht von Frieden sprechen, weil meine Wirtschaft mit Waffen so gute Geschäfte macht. Ich will nicht ein bestimmtes Land beleidigen, aber brüderlich sagen: Kinder, lasst das sein, die Sache ist hässlich.“
Für Dialog und Frieden in Hongkong und anderswo
Weniger unverblümt äußerte sich Papst Franziskus dann aber, als er auf die Proteste in Hongkong angesprochen wurde. Dass er der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam, deren Rücktritt die Demonstranten fordern, beim Überfliegen von Hongkong ein Telegramm geschickt habe, sei nur eine Geste der Höflichkeit und habe weiter nichts zu bedeuten.
„Und ansonsten – es gibt ja nicht nur in Hongkong Proteste, sondern auch in Chile, in Nicaragua und anderen lateinamerikanischen Staaten. Oder auch im demokratischen Frankreich, wo es ein Jahr lang die Gelbwesten gegeben hat. Was tut der Heilige Stuhl in dieser Hinsicht? Er ruft zum Dialog und zum Frieden auf, nicht nur für Hongkong, sondern für alle Länder, wo es Probleme gibt.“
„Ich liebe China!“
Auf die Frage eines KNA-Korrespondenten gab Franziskus auch zu verstehen, dass er weiterhin hoffe, eines Tages nach Peking reisen zu können. „Ich liebe China!“ Zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik China bestehen schon seit Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen mehr; im vergangenen Jahr konnte der Heilige Stuhl mit Peking immerhin ein provisorisches Abkommen über die Ernennung von Bischöfen abschließen. Das Vorgehen chinesischer Behörden gegen Christen hat das nicht gestoppt, und die Proteste aus Rom sind verhalten bis inexistent, um den Gesprächsfaden nicht wieder abreißen zu lassen.
Dialog gab der Papst auch als Zauberformel für die Konflikte und Revolten in vielen lateinamerikanischen Ländern aus. Ja, Chile, Bolivien, Nicaragua und andere Länder stünden „in Flammen“, aber er sei sich noch nicht im klaren darüber, ob die Lage von Land zu Land wirklich vergleichbar sei. Besonders leid tue es ihm für Chile, denn Chile sei gerade erst durch die kirchlichen Missbrauchsskandale erschüttert worden und sehe sich jetzt gleich dem nächsten Problem gegenüber, „das wir noch nicht gut verstehen“.
„Die Anzeige ist diesmal nicht von außen gekommen“
Weiteres heißes Eisen auf der „Fliegenden Pressekonferenz“ von Papst Franziskus: die Vatikan-Finanzen. Eine italienische Journalistin sprach ihn auf den Skandal um eine Londoner Luxus-Immobilie an, die angeblich mit Mitteln aus dem Peterspfennig – einer jährlichen, für karitative Zwecke des Papstes bestimmten Kollekte – von Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats gekauft worden ist.
„Da ist passiert, was passiert ist: ein Skandal. Die haben Dinge getan, die nicht sauber wirken. Aber die Anzeige ist diesmal nicht von außen gekommen, es war der interne Revisor, der gesagt hat, da stimmt etwas nicht. Ich habe ihn gefragt: Sind Sie sicher? Ja, hat er geantwortet, und dann hat er gefragt, was er tun solle. Ich: Dafür ist die vatikanische Justiz da. Gehen Sie und zeigen Sie das bei der vatikanischen Staatsanwaltschaft an. Und in dieser Hinsicht war ich zufrieden; man sieht, dass die vatikanische Verwaltung jetzt die Ressourcen hat, um die hässlichen Dinge zu klären, die intern passieren.“
Franziskus gab an, er habe angesichts des Verdachts auf Korruption die Durchsuchungen mehrerer Büros im Vatikan genehmigt. Solange die Korruption nicht bewiesen sei, gelte zwar die Unschuldsvermutung, doch sei es „nicht schön, dass so etwas im Vatikan passiert“. „Aber es wurde durch interne Mechanismen geklärt, die allmählich funktionieren, und für dieses Funktionieren danke ich Gott.“
Ähnlich äußerte sich Franziskus zur vatikanischen Finanzaufsicht AIF, deren Präsidenten René Brülhart, einen Schweizer, er abgelöst hat. „Das AIF hat, so sieht es zumindest aus, die Delikte der anderen nicht kontrolliert. Das war aber seine Aufgabe!“ Er lobte den Mut der Vatikanjustiz in dieser Angelegenheit; jetzt müsse man erst einmal die Ermittler ihre Arbeit machen lassen. „Es ist das erste Mal, dass der Kochtopf von innen aufgedeckt wird, nicht von außen. Von außen ist das so oft geschehen, und das war für uns sehr beschämend“, umschrieb der Papst bildlich die Aufdeckung.
Brülhart: Wir hatten keine Kontrolle über Staatssekretariat
Am 18. November war bekanntgeworden, dass der Papst Brülharts Mandat als AIF-Präsident nicht verlängert.
Der 47-Jährige Anwalt aus Fribourg war fünf Jahre lang Chef der Vatikan-Finanzaufsicht. Brülhart hat der Einschätzung des Papstes, die AIF sei ihrer Kontrollaufgabe im Vatikan offenbar nicht in jedem Fall nachgekommen, widersprochen. Der Nachrichtenagentur ap sagte er, das Statut der AIF erlaube es ihr gar nicht, irgendwelche Finanzkontrolle über das Staatssekretariat auszuüben. „Wir können nur dort Verantwortung übernehmen, wo wir dazu die Macht und die Kompetenz haben.“
„Dem Westen fehlt ein bisschen Poesie“
Der Asienreisende Franziskus sprach aber nicht nur über Konflikte und Skandale, sondern sagte auch ein paar Sätze über die Weisheit der Asiaten. „Das Licht kommt aus dem Osten, der Konsumrausch aus dem Westen. Unserer westlichen Gesellschaft würde es helfen, das Betrachten zu lernen: Innehalten und die Dinge auch mal in einem poetischen Licht zu sehen. Das ist meine persönliche Meinung – ich glaube, dem Westen fehlt ein bisschen Poesie…“
(vatican news)
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