Papst fordert Solidarität mit Fukushima-Opfern
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Ich hatte am Tag, als der Tsunami kam, Dienst“, berichtete die Leiterin eines katholischen Kindergartens aus der Stadt Miyako dem Papst. „Ein Mädchen, das gerade auf dem Nachhauseweg war, hat beim Tsunami ihr Leben verloren. Seitdem denke ich immer wieder darüber nach, wie wichtig es ist, dass wir den Kindern den Wert des Lebens beibringen.“
Es war im nüchternen Hauptsaal eines Kongresszentrums in der Innenstadt von Tokio, dass der Papst am dritten Tag seiner Japanreise mehreren hundert Überlebenden des Dreierverhängnisses vor acht Jahren begegnete. „Mein Haus wurde, zusammen mit der ganzen Stadt, vom Tsunami fortgespült“, sagte Toshiko Kato, die Kindergarten-Chefin. „In den kläglichen Überresten meines Hauses habe ich erst verstanden, wie groß das Geschenk des Lebens ist.“
Auch ein buddhistischer Mönch aus der Gegend von Fukushima kam zu Wort. Ein friedlicher Ort sei Dokeiji gewesen, „mit reicher Natur“ und einem über 800 Jahre alten Tempel. Doch nach der Explosion im Atommeiler seien die Menschen evakuiert worden, jetzt lebten die meisten von ihnen fern von der Heimat.
„Ich fahre manchmal herum und besuche sie. Zuerst waren wir angesichts dieser furchtbaren Tragödie völlig verloren. Aber so langsam rappeln wir uns wieder auf und akzeptieren die Realität.“ Seit 2016 hätten immerhin 35 Prozent der Evakuierten wieder in die Gegend zurückziehen können.
Wie wichtig sei es doch, „auf die Stimme der Erde zu hören“, sagte der Buddhist zum Papst, der vor ein paar Jahren eine ganze Enzyklika über das Thema Bewahrung der Schöpfung geschrieben hat. „Wir sind Teil der Erde, Teil der Umwelt… Unser Lebensstil muss sich ändern.“ Mit solchen Überlegungen rannte er bei Franziskus offene Türen ein.
Matsuki Kamoshita, der Sohn eines Lehrers, kommt ebenfalls aus der Gegend von Fukushima. Er schilderte dem Papst und den Anwesenden den Horror der Evakuierung nach dem Atomunfall: „Jeder Tag war so schmerzvoll, dass ich am liebsten gestorben wäre.“ Noch heute seien weite Teile des östlichen Japan nuklear verseucht; trotzdem ließen die Behörden es zu, dass Menschen in ihre Dörfer zurückkehrten.
Gebet für die über achtzehntausend Opfer
„Es wird noch viel mehr Zeit, als ich noch leben werde, brauchen, bis das Land und die Wälder keine radioaktive Strahlung mehr abgeben.“ Etwa 50.000 Evakuierte leben noch heute in provisorischen Unterkünften.
Franziskus betete mit den Anwesenden für die über 18.000 Opfer, die bei Erdbeben, Tsunami und Atomunfall ihr Leben verloren haben, für ihre Familien und für die weiterhin Vermissten. „Es ist ein Gebet, das uns verbinde und den Mut schenke, voll Hoffnung vorwärts zu schauen“, sagte er.
Die Hilfe muss weitergehen
Auf die Kritik des jungen Mannes aus Fukushima an den Behörden wollte er sich nicht einlassen. Stattdessen dankte er den lokalen Verwaltungen und allen, die für den Wiederaufbau arbeiten, für ihr Engagement. Und er rühmte die weltweite Hilfe für Japan nach den Katastrophen. „Eine solche Aktion darf nicht mit der Zeit verloren gehen und nach dem ersten Schock weniger werden, wir müssen sie vielmehr fortführen und aufrechterhalten.“
Japan habe in den acht Jahren seit dem dreifachen Desaster unter Beweis gestellt, wie ein Volk „zusammenstehen“ könne. „Der Weg bis zu einer vollständigen Erholung kann noch lang sein, ist jedoch immer möglich, wenn man auf den Geist dieser Leute zählen kann, die sich für gegenseitige Unterstützung und Hilfe in Bewegung zu setzen vermögen.“
Die Gleichgültigkeit bekämpfen
Einmal mehr kam Franziskus auf seine Grundüberzeugung zu sprechen, dass alles mit allem zusammenhängt. Kriege, Flüchtlinge, Ernährung, wirtschaftliche Ungleichheit und Umweltfragen sollten „nicht getrennt gesehen und behandelt werden“. Ein erster, wichtiger Schritt zur Lösung dieser Problemkreise sei die Bekämpfung der Gleichgültigkeit. „Es ist dringend notwendig, sich in Bewegung zu setzen und zu helfen, um sich bewusst zu machen, dass wir alle mitleiden, wenn ein Glied unserer Familie leidet.“
Wie tags zuvor in Nagasaki und Hiroshima zeigte sich der Papst mit Blick auf den Atomunfall von Fukushima besorgt über die Nutzung von Kernenergie; er erwähnte, dass die japanischen Bischöfe die Abschaffung der Kernkraftwerke fordern. Der technologische sei keineswegs das Maß für den „menschlichen Fortschritt“.
„Es ist daher von Bedeutung, in Momenten wie diesen innezuhalten und darüber nachzudenken, wer wir sind und – vielleicht etwas kritischer – wer wir sein wollen. Welche Welt, welches Erbe wollen wir denen hinterlassen, die nach uns kommen?“
(vatican news)
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