Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (2)
Stefan von Kempis - Vatikanstadt
Das erste Mal, dass ein Papst an einem evangelischen Gottesdienst teilnimmt. Das erste Mal, dass ein Papst gemeinsam mit Vertretern der großen Religionen und christlichen Kirchen auf einem Podest steht, um um Frieden in der Welt zu beten.
Er hatte, als Erzbischof von Krakau, am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen. Die Beschlüsse dieses Konzils in die Tat umzusetzen, sah er als seine Aufgabe an. Das bedeutete eine Kurienreform, einen neuen Kodex des kirchlichen Rechts, einen neuen Katechismus. Und es bedeutete ein Zugehen auf Juden, Muslime, Protestanten, Orthodoxe. Viele erste Male.
Der Papst der ersten Male
13. April 1986: Eine historische Premiere. Der römische Oberrabbiner Elio Toaff heißt einen Papst in seiner Synagoge am Tiberufer willkommen. Die beiden Männer umarmen sich, dann betreten sie zusammen den Gebetsraum. Die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und dem Judentum sind belastet – u.a. wegen des Streits um das vermeintliche Schweigen von Pius XII. zur Judenverfolgung in der Nazizeit. Doch Johannes Paul hat, schon seit seiner Kindheit, gute jüdische Freunde; ihm liegt an einem besseren Verhältnis.
„Die Kirche beklagt alle Haßausbrüche und Verfolgungen. Ja, die Kirche beklagt nochmals durch mich alle Haßausbrüche und Verfolgungen, alle Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von wem auch immer gegen die Juden gerichtet haben; ich wiederhole: von wem auch immer!“
1986: Besuch in der römischen Synagoge
Er hat, bei seiner ersten Polenreise 1979, auch auf dem Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz gebetet. Jetzt, in der Synagoge, verurteilt er „voller Abscheu“ den Holocaust. Pius XII. erwähnt er lieber nicht – weist aber darauf hin, dass während der deutschen Besatzung Roms viele Juden Schutz in Klöstern und kirchlichen Einrichtungen gefunden haben.
Dann betont er das enge Band zwischen Juden und Christen. Worte, die später berühmt werden: „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas »Äußerliches«, sondern gehört in gewisser Weise zum »Inneren« unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder.“ Etwa dreißig Jahre später wird sich Benedikt XVI. als emeritierter Papst von dieser Formel der Juden als unserer „älteren Brüder“ distanzieren.
Ein Papst spricht Hebräisch
„Natürlich bin ich nicht deswegen zu euch gekommen, weil die Unterschiede zwischen uns schon überwunden wären. Wir wissen gut, daß es nicht so ist… Der eingeschlagene Weg steht noch an den Anfängen… Es bleiben zwischen uns noch Schwierigkeiten, die … auf ihre Überwindung warten: Sie sind die Frucht von Jahrhunderten gegenseitigen Unverständnisses…“
Trotzdem, der Papst lässt es sich nicht nehmen, in der Synagoge Psalm 118 auf Hebräisch zu rezitieren: Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. „Hodû laAdonai ki tob ki le olam hasdo yomar-na Yisrael ki le olam hasdo yomeru-na yir’è Adonai ki le olam hasdô“ (Ps 118,1–2,4).
Historische Visite in Jerusalem
Das jüdisch-christliche Verhältnis wird auch im Pontifikat Johannes Pauls Spannungen ausgesetzt – etwa, als er gegen jüdische Proteste die zum Katholizismus übergetretene Jüdin Edith Stein heiligspricht. Doch in den neunziger Jahren macht es der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern dem Vatikan möglich, eine jahrzehntelange Blockade aufzugeben und Israel diplomatisch anzuerkennen. Johannes Paul nimmt die Chance beherzt wahr – und kann dafür im Heiligen Jahr 2000 seinen langgehegten Traum wahrmachen und ins Heilige Land reisen, an die Ursprungsorte des Glaubens.
Einer der atmosphärisch dichtesten Momente dieser Pilgerfahrt ist seine Rede in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte am Jerusalemer Stadtrand. Auch hier zitiert der gealterte Papst wieder einen Psalm, diesmal Psalm 31. Seiner Stimme ist die Emotion anzuhören.
„Ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß. Ich höre das Zischeln der Menge – Grauen ringsum. Sie tun sich gegen mich zusammen; sie sinnen darauf, mir das Leben zu rauben. Ich aber, Herr, ich vertraue dir, ich sage: ›Du bist mein Gott‹« (Ps 31,13–15).“
Vor allem schweigen wolle er an dieser Stätte. Schweigen, weil es keine Worte gebe, die stark genug wären, um die grauenhafte Tragödie der »Shoah« zu beklagen. „Meine eigenen, persönlichen Erinnerungen betreffen all die Ereignisse, die sich damals zugetragen haben, als die Nazis Polen während des Krieges okkupierten. Ich erinnere mich an meine jüdischen Freunde und Nachbarn: Manche von ihnen kamen um, andere haben überlebt…“
Tief bewegt zieht der Papst nach seiner Heilig-Land-Reise Bilanz. „Dank sei Gott, daß ich als Pilger diese Orte besuchen durfte! … Heiliger Boden verpflichtet. Viele Anliegen und Bitten habe ich ins Heilige Land getragen, um sie im Gebet vor den Herrn zu bringen…“
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Der Kuss des Korans
Auch am Berg Sinai betet Johannes Paul im Heiligen Jahr 2000. Er besucht – eine Premiere – die al-Azhar-Universität in Kairo, die in der islamischen Welt eine wichtige Autorität ist. Er betritt 2001 – wieder etwas nie Dagewesenes – in Damaskus eine Moschee. Ein Foto, das ihm viele Anfeindungen eintragen wird, zeigt ihn beim Küssen eines Koran-Exemplars.
Ein Papst, der sich lange vor dem Terror des 11. September um das Gespräch mit dem Islam bemüht. Einmal – das ist 1985, in der Stadt Casablanca in Marokko – gelingt es ihm, in einem Fußballstadion zu 80.000 muslimischen Jugendlichen zu sprechen. Es wird eine Sternstunde. Beifall brandet auf, als er einen Satz auf Arabisch radebrecht.
„Wir haben als Christen und Muslime viele Dinge gemeinsam, als Gläubige und als Menschen. Wir leben in derselben Welt, die durch viele Zeichen der Hoffnung, aber auch der Angst gekennzeichnet ist. Abraham ist für uns gleichermaßen ein Vorbild des Glaubens an Gott, der Ergebenheit gegenüber Seinem Willen und des Vertrauens auf Seine Güte. Wir glauben an denselben Gott, an den einzigen Gott, an den lebendigen Gott, an den Gott, der die Welten schafft und Seine Geschöpfe zu ihrer Vollendung führt.“
Im Dialog der Religionen und Konfessionen spart der große alte Mann aus dem Vatikan die heiklen Themen nicht aus. Muslime spricht er auf Religionsfreiheit an; christlichen Konfessionen, die aus der Reformation entstanden sind, mutet er (im Dokument „Dominus Iesus“) Zweifel an ihrem Kirche-Sein zu. Doch an seinem Willen zum ökumenischen Miteinander lässt er keinen Zweifel: „Was immer man uns in unserem Bemühen um die Einheit aller Christen skeptisch entgegenhält -werden wir nicht müde auf dem Weg zum gemeinsamen Herrn; er ist auch der geradeste Weg zueinander.“
Der Traum von der Verständigung mit Martin Luther
Bei einem ökumenischen Gottesdienst in Augsburg – dem Ort des ersten protestantischen Bekenntnisses – stellt Johannes Paul 1987 ein Gedankenspiel an. „Nicht weit von hier sind im Jahre 1518 Martin Luther und Kardinal Cajetan zusammengetroffen. Was wäre geworden, wenn am Ende ihrer Gespräche die erneuerte, vertiefte und verstärkte Einheit im Glauben gestanden hätte? Um 1530 waren viele hier in Augsburg noch um Versöhnung und Gemeinschaft bemüht. Welchen Weg hätte die Geschichte genommen…“
Zwölf Jahre nach diesem Stoßseufzer erreichen Lutheraner und Katholiken, ebenfalls in Augsburg und mit tatkräftiger Unterstützung aus Rom, einen bahnbrechenden Konsens im grundlegenden Konflikt der Reformation, bei der sogenannten Rechtfertigungslehre. Und in einer Ökumene-Enzyklika stößt der Papst eine Debatte über eine neue, für alle Christen akzeptable Form der Ausübung seines Petrusdienstes an.
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Der Geist von Assisi
27. Oktober 1986: Das Oberhaupt der katholischen Kirche lädt Vertreter aller Religionen und christlichen Konfessionen zu einem Weltgebetstag für den Frieden ein. Schauplatz ist Assisi, die Stadt des heiligen Franz. Aus allen Kehlen soll ein Schrei nach Frieden auf Erden aufsteigen – eine Gratwanderung zwischen möglichst großer Einmütigkeit und der Vorsicht, hier nicht einen religiösen Mischmasch des Beliebigen anzurühren.
„Die Tatsache, dass wir hierher gekommen sind, impliziert nicht die Absicht, einen religiösen Konsens unter uns zu suchen oder über unsere Glaubensüberzeugungen zu verhandeln… Unsere Begegnung bezeugt lediglich, dass die Menschheit in ihrer Unterschiedlichkeit beim Suchen nach Frieden ihre tiefsten und lebendigsten Ressourcen mobilisieren muss… Unsere Traditionen sind vielfältig und unterschiedlich – sie spiegeln den Wunsch der Männer und Frauen im Lauf der Geschichte wieder, in Beziehung zum Absoluten zu treten.“
Kritikern klingt das zu sehr nach Relativismus, nach Synkretismus. Dabei wird an diesem denkwürdigen Tag von Assisi nicht zusammen gebetet, sondern an verschiedenen Orten der Stadt. Danach treffen sich dann aber alle auf dem Vorplatz der unteren Basilika von San Francesco. „Sobald wir dort sind, hat jede Religion von neuem die Möglichkeit, ihr Gebet zu präsentieren – eine nach der anderen.“
So kommt es dann auch. Die Führer von Hindus, Buddhisten oder Sikhs sitzen gleichberechtigt mit dem Papst auf einem Podium, hinter sich den Schriftzug „Frieden“ in vielerlei Sprachen. Eine „Feier ohne Beispiel in der Geschichte“ nennt das Johannes Paul, der sich seinen Gästen als „Bruder und Freund“ vorstellt.
Buddha in der Peterskirche
„Die Form und der Inhalt unserer Gebete sind sehr verschieden, wie wir gesehen haben, und es kann keine Frage sein, sie auf eine Art gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Dennoch haben wir in dieser tatsächlichen Verschiedenheit vielleicht neu entdeckt, daß es hinsichtlich des Friedensproblems … etwas gibt, was uns miteinander verbindet… Der Friede wartet auf seine Propheten.“
So ein Prophet des Friedens will der polnische Papst sein. Als solchen sehen ihn viele Menschen in der Welt.
Doch die Bilder aus Assisi verstören und überfordern manche traditionell orientierte Menschen. Dass da eine Buddhastatue in der Petruskirche von Assisi auf dem Hauptaltar stand. Dass ein Indianer im Federschmuck vor San Francesco die Friedenspfeife entzündete. Überhaupt – dass ein Papst Schlangenbeschwörern, Animisten oder japanischen Bonzen erlaubt, ihre Riten in katholischen Kirchen durchzuführen.
1988: Der Bruch der Piusbrüder
1988 brechen die Traditionalisten unter Erzbischof Marcel Lefebvre mit Rom; Lefebvre selbst zieht sich wegen unerlaubter Bischofsweihen die Exkommunikation zu. Die Spaltung bedeutet einen tiefen Schmerz für Johannes Paul.
Immerhin, der Geist von Assisi ist aus der Flasche; bis heute bringt er bei immer neuen Gebetstreffen Menschen verschiedener religiöser Überzeugungen in aller Welt zusammen. Ein wichtiges Erbe des polnischen Pontifikats.
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(radio vatikan)
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