Johannes Paul 1978 bei seiner Amtseinführung Johannes Paul 1978 bei seiner Amtseinführung

Neue Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (1)

Er würde in diesem Mai 2020 hundert: Johannes Paul II., eine Jahrhundertgestalt. Der erste slawische Papst, der erste Nichtitaliener im Petrusamt seit etwa 450 Jahren, eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Die meisten Auslandsreisen, spektakuläre Gesten gegenüber anderen Religionen und christlichen Konfessionen, selig-, ja heiliggesprochen in Rekordzeit.

Stefan von Kempis - Vatikanstadt

Karol Wojtyla – der Systemsprenger, der den Kommunismus in die Knie zwang. Zugleich der große alte Mann, der vor Krieg und Angriffen auf das Leben warnte. Der im Heiligen Jahr 2000 öffentlich die Sünden der Kirche im Lauf ihrer Geschichte bekannte – und über den die Zeit doch erbarmungslos, gleichgültig hinwegging. Für diesen Stoff hätte sich auch Shakespeare interessiert.

Wenn wir heute zurückblicken auf die Jahre von 1978 bis 2005, was sehen wir dann, und woran erinnern wir uns? An den anfangs sportlichen, spontanen Papst, der dann im Lauf der Jahre immer stärker von Parkinson gezeichnet war. Schmerzverzerrte Züge. Tiefe Versunkenheit im Gebet. Ein starkes Charisma. Dieser Mann stand ein für das, was er glaubte.

Ein Heiliger, ja, aber aus Fleisch und Blut

Allerdings, Johannes Paul ist auch der Papst, der bei Bischofsernennungen manchmal furchtbar danebengriff. Der stur sein konnte, hart, rückwärtsgewandt. Der Theologen zurechtwies und die Priesterweihe für Frauen ein für allemal ausschloss. Der das Ausmass des sexuellen Missbrauchs in der Kirche nicht wahrnahm. Ein Papst, groß auch noch in seinen Fehlern. Ein Heiliger, ja, aber aus Fleisch und Blut.

Ist er uns ferngerückt? Was hätte er gesagt zu unserer Epoche der zwei Päpste, der Glaubens- und Missbrauchs-Krise, der Reformforderungen und -versuche? Ragt er nicht in unsere Zeit wie ein Solitär aus einer ganz anderen, versunkenen Epoche?
In dieser Radio-Akademie erinnern wir uns an Karol Wojtyla, den zweiten Johannes Paul.

Hier hören Sie einen Ausschnitt aus der Radio-Akademie - mit historischen Ton-Aufnahmen.
Kardinal Wojtyla 1974 bei einem Interview
Kardinal Wojtyla 1974 bei einem Interview


Die Anfänge

16. Oktober 1978. Das Konklave wählt einen Mann aus dem Osten, mit dem kaum jemand gerechnet hatte, auf den Stuhl Petri. Auf die Brüstung der Loggia des Petersdoms gestützt, hält der Pole vor seinem ersten Segen eine spontane Ansprache –die Geburtsstunde des Spontifex maximus. „Die Herren Kardinäle haben einen neuen Bischof von Rom berufen. Sie haben ihn aus einem fernen Land gerufen – fern, aber immer so nah durch die Gemeinschaft im Glauben und in der christlichen Tradition.“

Mit einer launigen Bemerkung gewinnt der bisherige Erzbischof von Krakau gleich viele Herzen in seinem neuen Bistum Rom. „Ich weiß nicht, ob ich mich gut ausdrücken kann in eurer – in unserer italienischen Sprache. Wenn ich Fehler mache, dann korrigiert mich!“

Amtantritt mit Ausrufezeichen

Scheinbar spontane Worte, geschickt eingesetzt. Der neue Papst ist keiner von der scheuen Sorte wie seine Vorgänger Paul und Johannes Paul; er weiß um seine Außenwirkung, um die Kraft der Gesten. Zum Beispiel, wenn er bei seinen Auslandsreisen jedesmal gleich nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug den Boden des Gastlandes küßt. „Ein Schauspieler“, werden manche mit kritischem Unterton urteilen, „John Paul Superstar“. Es stimmt, als junger Mann hat Karol Wojtyla auch mal auf der Bühne gestanden, hat sogar Theaterstücke getextet. Mit überraschend eindringlichem, poetischem Ton.

Diesen drängenden Ton hört die Weltöffentlichkeit dann bei der Amtseinführung des Papstes am 22. Oktober 78 auf dem Petersplatz. Eine Predigt voller Ausrufungszeichen.

Johannes Paul unmittelbar nach seiner Wahl 1978
Johannes Paul unmittelbar nach seiner Wahl 1978

„Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“

„Brüder und Schwestern! Habt keine Angst, Christus aufzunehmen und seine Herrschergewalt anzuerkennen! Helft dem Papst und allen, die Christus und mit der Herrschaft Christi dem Menschen und der ganzen Menschheit dienen wollen! Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst!“

Die Worte des neuen Papstes machen viele Menschen in Ost und West hellhörig. Hier ruft jemand mitten im Kalten Krieg nach einem Sturz der Mauern und Systeme. Neu hört sich aber auch an, wie der neue Papst über den Menschen spricht, seine Würde. Seine Rechte. Seine Freiheit.

Bei der Amtseinführung
Bei der Amtseinführung

Er denkt groß vom Menschen

„Christus weiß, was im Innern des Menschen ist. Er allein weiß es! Heute weiß der Mensch oft nicht, was er in seinem Innern, in der Tiefe seiner Seele, seines Herzens trägt. Er ist deshalb oft im Ungewissen über den Sinn seines Lebens auf dieser Erde. Er ist vom Zweifel befallen, der dann in Verzweiflung umschlägt. Erlaubt also — ich bitte euch und flehe euch in Demut und Vertrauen an —, erlaubt Christus, zum Menschen zu sprechen! Nur er hat Worte des Lebens!”

Johannes Paul betet 1978 in der Todeszelle im KZ Auschwitz
Johannes Paul betet 1978 in der Todeszelle im KZ Auschwitz

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Er denkt groß vom Menschen. Seine erste Enzyklika gilt diesem Thema: Redemptor hominis, Erlöser des Menschen. „Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben“, schreibt er darin. „Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, … wenn er nicht der Liebe begegnet… Und eben darum macht Christus, der Erlöser, dem Menschen den Menschen selbst voll kund. (Hier…) findet der Mensch die Größe, die Würde und den Wert, die mit seinem Menschsein gegeben sind. Im Geheimnis der Erlösung wird der Mensch … in gewisser Weise neu geschaffen.“

Erfahrungen mit gleich zwei totalitären Systemen

Johannes Paul entdeckt im Innersten des Christentums das Potential für die Befreiung des Menschen – ein aufregender Anspruch. Wie kein Papst vor ihm wird er zum Mahner für die Menschenrechte, bis hin zu seinen vergeblichen Warnungen an US-Präsident Bush vor einem Eingreifen im Irak 2003. Sein Eintreten für den Menschen speist sich aus seinen Erfahrungen mit gleich zwei totalitären Systemen, dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus.

Ebendiese Erfahrungen machen ihn aber auch misstrauisch gegen Versuche, Marxismus und Christentum zusammenzurühren. Auch wenn seine erste Auslandsreise Mexiko gilt und er dem Modell der Basisgemeinschaften gegenüber aufgeschlossen ist, wird er Zeit seines Lebens gegen Auswüchse der lateinamerikanischen Befreiungstheologie kämpfen.

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Bei einer Polenreise nach dem Sturz des Kommunismus
Bei einer Polenreise nach dem Sturz des Kommunismus

1979: Triumphzug durch das kommunistische Polen

Juni 1979: Er ist zuhause, in Polen. Eine bahnbrechende Reise, über deren Bedingungen mit dem Regime in Warschau zäh verhandelt werden musste. Johannes Paul versucht den Eiertanz: Er spricht von Freiheit und Erneuerung, aber immer verhüllt, immer scheinbar auf den kirchlichen Bereich beschränkt, seine Landsleute verstehen ihn schon. Den Kommunisten ist die Regie entglitten, die Papstreise wird zum Triumphzug, zu einer Demonstration. Mehr als zehn Millionen Polen sehen ihren großen Landsmann live – das heißt, jeder zweite erwachsene Pole ist auf den Beinen.

„Man kann Christus nirgendwo auf Erden aus der Geschichte des Menschen ausschließen, gleich, um welchen Längen- oder Breitengrad es sich handelt“, so predigt der Papst auf dem Siegesplatz in der Hauptstadt. „Der Ausschluß Christi aus der Geschichte des Menschen ist ein gegen den Menschen selbst gerichteter Akt… Und ich rufe, ich, ein Sohn polnischer Erde und zugleich Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, rufe am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus deinen Geist! Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde! Dieser Erde!”

Nach den Schüssen auf dem Petersplatz
Nach den Schüssen auf dem Petersplatz

1981: Das Attentat

Nur Monate später entsteht in Danzig die erste freie Gewerkschaft Solidarnoscz, vom Papst ideell (und vielleicht auch finanziell?) kräftig unterstützt. Die Lunte ans kommunistische System ist gelegt. Von hier führt eine mehr oder weniger gerade Linie bis zum Fall der Berliner Mauer im November 1989.

Doch führt von hier auch eine Spur zum Attentat auf Johannes Paul II. am 13. Mai 1981, während einer Generalaudienz auf dem Petersplatz? Der Papst, der die Schüsse wie durch ein Wunder überlebt, ist davon überzeugt, dass der Türke Mehmet Ali Agca nur ein bezahlter Killer war – und dass die Hintermänner des Anschlags im Ostblock sitzen, vielleicht sogar im Moskauer Kreml selbst. Als er fünf Monate nach dem Mordversuch seine Generalaudienzen wieder aufnehmen kann, zitiert er nicht ohne Ironie ein Wort aus dem Alten Testament: „Huld des Herrn ist es, daß wir nicht ganz vernichtet wurden.“ Dass er überlebt hat, schreibt er Maria zu – schließlich war der Tag des Anschlags ihr Tag, das Fest Unserer Lieben Frau von Fatima.

„Huld des Herrn ist es, daß wir nicht ganz vernichtet wurden“

Er sieht sich vom Himmel bestärkt in seiner Mission. Ein messianischer Grundton ist ihm manchmal zu eigen, man findet ihn schon in den Dichtungen seiner Jugendzeit. Im christlich inspirierten Kampf für den Menschen wird Johannes Paul nicht nachlassen, das macht er nach dem Anschlag klar.

„Schon am Tage des Attentats und beim nachfolgenden sonntäglichen Angelusgebet habe ich dem Attentäter in christlicher Liebe verziehen. Christus selbst hat uns dazu nachdrücklich ermahnt und uns in seiner eigenen Todesstunde ein leuchtendes Beispiel gegeben, indem er am Kreuz für seine Henker betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Seit Kains Bluttat ist jeder Mord ein Brudermord, dessen Blut von der Erde laut zu Gott gen Himmel schreit. Beten wir für alle, die sich auch heute noch dadurch ihre Hände und ihr Gewissen beflecken...“

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Mit Kardinal Ratzinger, dem späteren Benedikt XVI
Mit Kardinal Ratzinger, dem späteren Benedikt XVI

Schwieriges Verhältnis: Wojtyla und die Deutschen

Drehen wir die Zeit ein wenig zurück, in die Monate vor dem Attentat. Im November 1980 reist der Papst zum ersten Mal nach Deutschland. An seiner Seite steht in München der dortige Erzbischof, Joseph Kardinal Ratzinger. Johannes Paul wird den profunden Theologen bald zu sich nach Rom holen, als Präfekten der Glaubenskongregation.

Kardinal Ratzinger lässt es zu, dass eine Vertreterin des BDKJ den Papst mit einem kritischen Grußwort empfängt. „Für Jugendliche ist die Kirche der BRD schwer zu verstehen. Sie haben den Eindruck, dass sie ängstlich an bestehenden Verhältnissen festhält.“
Diesen Eindruck haben viele kirchenkritische Deutsche und überhaupt Westeuropäer auch vom Papst – sein ganzes Pontifikat hindurch. Hinter seinem Lächeln und den weit ausgestreckten Armen wittern sie den Hardliner, vor allem was die katholische Ehe- und Sexualmoral betrifft. Gehörte er nicht als Kardinal Ende der sechziger Jahre zu denen, die Paul VI. zu seiner Enzyklika Humanae Vitae mit ihrem Verbot der Pille ermuntert haben?

„Man kann nicht nur auf Probe lieben“

Tatsächlich hält Johannes Paul 1980 bei seiner Messe in Köln mit dem christlichen Bild von Ehe und Familie nicht hinter dem Berg. „Volle Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau hat … ihren legitimen Ort allein innerhalb der ausschließlichen und endgültigen personalen Treuebindung in der Ehe. Die Endgültigkeit der ehelichen Treue, die heute vielen nicht mehr verständlich erscheinen will, ist ebenfalls ein Ausdruck der unbedingten Würde des Menschen.“ Typisch, dass er diese Verbindung zwischen christlicher Lehre und Menschenwürde zieht.

Unterwegs in Sizilien
Unterwegs in Sizilien

„Man kann nicht nur auf Probe leben, man kann nicht nur auf Probe sterben. Man kann nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen!“ Außerdem, so betont Johannes Paul, sei die Ehe „der einzig angemessene Ort für die Zeugung und Erziehung von Kindern“.

Streit um Schwangeren-Konfliktberatung

„In eurem Gewissen müßt ihr im Angesicht Gottes die Entscheidung über die Zahl eurer Kinder fällen. Als Eheleute seid ihr aufgerufen zu einer verantwortlichen Elternschaft. Diese aber meint eine solche Familienplanung, die die ethischen Normen und Kriterien beobachtet… Mit großem Nachdruck möchte ich euch in diesem Zusammenhang heute nur dies eine besonders in Erinnerung rufen: Die Tötung ungeborenen Lebens ist kein legitimes Mittel der Familienplanung.“

Fast zwanzig Jahre später, ab 1998, kommt es zwischen dem polnischen Papst und der Kirche in Deutschland zu einer schweren Auseinandersetzung um die Schwangerenkonfliktberatung. Um der Eindeutigkeit des kirchlichen Zeugnisses willen zwingt Johannes Paul die widerspenstigen Deutschen zum Einlenken.

Der Autor dieser Radio-Akademie 1987 bei einer Generalaudienz
Der Autor dieser Radio-Akademie 1987 bei einer Generalaudienz

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Wenn Sie sich für diese Radio-Akademie interessieren, können Sie sie, wie üblich, auch auf CD bei uns bestellen. Eine Mail an cd@radiovatikan.de genügt; wir bitten um eine Spende zur Deckung der Unkosten.

Übrigens haben wir für Sie bei Interesse auch eine Doppel-CD mit einer Würdigung Johannes Pauls II. in unserem Repertoire. Sie entstand 2005, kurz nach seinem Tod, und bietet gleichfalls zahlreiche historische Ton-Aufnahmen.

Damit wir bei Ihrer Bestellung verstehen können, ob Sie die neue Radio-Akademie oder die Doppel-CD von uns wünschen, geben Sie doch bitte die jeweiligen Bestellnummern an. Sie lautet „339“ für die neue Radio-Akademie, und „S7“ für die Doppel-CD von 2005.

(radio vatikan)

Karol Wojtyla als Kleinkind
Karol Wojtyla als Kleinkind

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02. Mai 2020, 15:04