Generalaudienz: „Sünder nicht verurteilen, sondern für sie eintreten“
Im Rahmen dieser Betrachtungen sei es deutlich geworden, dass Gott keineswegs die „unkomplizierten“ Beter bevorzuge, wandte sich der Papst via Fernsehübertragung aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes an die Gläubigen in aller Welt. Auch, dass Mose kein „einfacher Dialogpartner" sei, werde schon im Moment seiner Berufung deutlich, führte der Papst in seine Überlegungen zum „Gebet Mose“ ein.
Als diese Berufung an ihn ergehe, sei er das, was die Menschen gemeinhin einen „Versager“ nennen, ein Mensch, der durch sein Fehlverhalten eine glänzende Karriere verspielt hatte und nun die Herde eines anderen weiden muss. Doch dort, in der Wüste von Midian, offenbarte sich Gott ihm in einem brennenden Dornbusch, und Mose verhüllte sein Gesicht, „denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen (Ex 3,6)“.
„Gott, der spricht, ihn auffordert, sich wieder des Volkes Israel anzunehmen, hält Mose seine Ängste und Ausflüchte entgegen: er sei dieser Mission nicht würdig, kenne ja nicht einmal den Namen Gottes, die Israeliten würden ohnehin nicht auf ihn hören, er habe eine Zunge, die stottert... so viele Einwände!“
„Warum“ sei das Wort, das Mose in seinen Zwiegesprächen mit Gott am häufigsten verwende, erläuterte Franziskus weiter.
„Mit diesen Ängsten, mit diesem oft so wankelmütigen Herzen, wie kann Mose da beten? Im Gegenteil erscheint er genauso menschlich wie wir. Und auch das passiert uns. Wenn wir Zweifel haben, wie können wir dann beten? Es gelingt uns nicht, zu beten. Und es ist gerade wegen dieser Schwäche, nicht nur wegen seiner Stärke, aufgrund derer er uns beeindruckt. Von Gott damit betraut, seinem Volk das Gesetz zu überbringen, Begründer des Gottesdienstes, Vermittler der höchsten Geheimnisse, wird er dennoch nicht aufhören, mit seinem Volk solidarisch zu sein, besonders in der Stunde der Versuchung und der Sünde. Er bleibt immer eng mit seinem Volk verbunden.”
Dies, so unterstrich der Papst ein ihm liebes Konzept, sei das Kennzeichen der Hirten, die ihrem Volk immer nahe sein und das Gedenken an die Wurzeln bewahren müssten.
„Mose verleugnet Gott nicht, aber er verleugnet auch sein Volk nicht. Er ist kohärent mit seinem Blut, und er ist kohärent mit der Stimme Gottes. Mose ist also kein autoritärer und despotischer Führer; im Gegenteil, das Buch Numeri definiert ihn als „sehr demütigen Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde“ (vgl. 12,3). Trotz seiner privilegierten Stellung hört Mose nie auf, zur Schar derer zu gehören, „die arm sind vor Gott“ und für die das Gottvertrauen die Stärkung ist, aus der sie auf ihrem Weg Kraft ziehen. Er ist ein Mann des Volkes.“
Die Mose eigene Art zu beten entspreche dem fürbittenden Gebet, wie es im Katechismus beschrieben sei, er bitte nicht für sich selbst, sondern für sein Volk, „selbst in den schwierigsten Momenten, als sich das Volk von Gott und Mose als Führer lossagt und sich ein Goldenes Kalb macht”, erinnerte der Papst. Vielmehr bitte Mose Gott um Vergebung für die Sünden des Volkes, und dabei nimmt er in Kauf, möglicherweise selbst seine Vermittlerrolle zu verlieren, erläuterte Franziskus mit Blick auf die Stelle im Buch Exodus, in der Mose mit Gott spricht und ihm zu verstehen gibt, dass er die Vermittlerrolle nur einnehmen könne, wenn Gott die Sünden des Volkes vergebe (vgl. Ex 32.31-32):
„Mose stellt das Volk nicht zur Verhandlung. Er ist die Brücke, der Vermittler. Alle beide, das Volk und Gott, und er steht in der Mitte. Er verkauft seine Leute nicht, um Karriere zu machen. Er ist kein Karrierist, sondern ein Vermittler: für seine Leute, für sein Fleisch, für sein Volk und für Gott, der ihn gerufen hat. Er ist die Brücke. Was für ein schönes Beispiel für alle Hirten, die Brücke sein sollen! Deshalb nennt man sie Pontifex, Brückenbauer. Die Hirten sind die Brücke zwischen dem Volk, dem sie angehören, und Gott, dem sie aus Berufung zugehörig sind. So ist Mose. ,Jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du geschrieben hast! Ich will nicht auf Kosten des Volkes Karriere machen!'”, paraphrasierte Franziskus die betreffende Stelle aus Buch Exodus.
Die sei das Gebet, das „wahre Gläubige” in ihrem spirituellen Leben pflegten, unterstrich Franziskus. Ohne die anderen zu verurteilen, als „Brücken“ zwischen dem Gott und dem Volk, dem Beispiel Jesu folgend.
„Und auch heute ist Jesus der Pontifex, der Vermittler zwischen uns und dem Vater. Und Jesus tritt für uns ein, er zeigt dem Vater die Wunden, die der Preis unserer Rettung sind und hält für uns Fürsprache.”
Mose dränge uns, mit der gleichen Inbrunst wie Jesus für alle Menschen auf der Welt zu beten, ohne Ansehen ihrer Sünden. „Denken wir an Moses, den Vermittler”, forderte der Papst die Gläubigen abschließend auf. „Und wenn uns die Lust überkommt, jemanden zu verurteilen, und wir innerlich kochen... Naja, sich zu ärgern, tut gut, ist auch gesund, nicht wahr, aber verurteilen nicht. Du ärgerst dich über jemanden, und was musst du tun? Geh und halte Fürsprache für ihn. Das wird uns sehr helfen. Danke!”
Der Tag der Gewissensfreiheit
Im Anschluss an seine Katechese erinnerte Franziskus daran, dass an diesem Mittwoch im Gedenken an den portugiesischen Diplomaten Aristides de Sousa Mendes der „Tag des Gewissens” begangen wird. De Sousa Mendes hatte vor 80 Jahren aus Gewissensgründen beschlossen, das Leben „Tausender Juden und anderer Verfolgter” zu retten, betonte Franziskus, um abschließend an die Gläubigen zu appellieren: „Möge die Gewissensfreiheit immer und überall respektiert werden; und möge jeder Christ ein Beispiel für das Hören auf ein Gewissen sein, das aufrichtig ist und vom Wort Gottes erleuchtet wird.”
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