Papst Franziskus: „Vor Gott sind wir weder Fremde noch Zahlen"
Franziskus würdige die Psalmen als „Buch, das zur Heimat, zur Kraftquelle und zur Zuflucht für unzählige Betende geworden ist“. Alle menschlichen Gefühle seien in den Psalmen zu finden: Freude, Trauer, Zweifel, Hoffnung, auch Bitterkeit. Auch die Figuren, von und mit denen diese Gebete sprechen, sind nach Franziskus Worten gleichsam realistisch, und ihr Gebet ist echt.
„In diesem Buch begegnen wir nicht ätherischen, abstrakten Menschen, Menschen, die das Gebet mit einer ästhetischen oder befremdlichen Erfahrung verwechseln. Die Psalmen sind keine am Schreibtisch geborenen Texte, sondern oft dramatische Anrufungen, die aus der lebendigen Erfahrung der Existenz entspringen. Um sie zu beten, genügt es, so zu sein, wie wir sind. Um gut zu beten, müssen wir so beten, wie wir sind - ungeschminkt."
Keine schönfärberischen Gebete
Nein, die Psalmen sind keine schönfärberischen Gebete, fuhr Franziskus fort. Aus vielen spricht, ja schreit das Leid des Menschen. Doch in den Psalmen verwandle sich das Leid in eine Frage. Weil Betende wissen, dass sie in den Augen Gottes „wertvoll" sind, habe es einen Sinn, zu schreien.
„Das Gebet der Psalmen ist das Zeugnis dieses Schreis: ein vielfacher Schrei, denn im Leben tritt der Schmerz in tausend Formen auf und nimmt den Namen von Krankheit, Hass, Krieg, Verfolgung, Misstrauen an... Bis zum höchsten Skandal, dem des Todes. Das Gebet der Psalmen bittet Gott, dort einzugreifen, wo alle menschlichen Bemühungen vergeblich sind. Deshalb ist das Gebet an sich schon der Weg des Heils und der Anfang des Heils“, so Franziskus.
Gott nehme sich des Menschen in seinem individuellen Schmerz an, denn Schmerz und Leid sind zutiefst persönlich, führte der Papst aus: „Tränen sind nicht universell, es sind ,meine' Tränen. Jeder hat seine eigenen. Meine Tränen und mein Schmerz bringen mich dazu, mit dem Gebet voranzugehen. Es sind ,meine' Tränen, die, niemand vor mir je vergossen hat. Sicher, viele haben geweint. Aber ,meine' Tränen sind meine, und ,mein' Schmerz ist meiner, ,mein' Leid ist meines."
Vor dem Hereinkommen in die Audienzhalle habe er, erzählte der Papst, die Eltern des kürzlich in Como ermordeten Obdachlosenseelsorgers empfangen. Die Tränen jener Eltern seien zutiefst ihre Tränen, und das sei die besondere Herausforderung beim Versuch zu trösten. „Wenn wir jemanden trösten wollen, finden wir nicht die rechten Worte. Warum? Weil wir nicht an den Schmerz des Anderen herankommen, weil sein Schmerz seiner ist, seine Tränen seine sind."
In dieser Haltung gelte es zu beten: „Mit diesen Tränen, mit diesem Schmerz wende ich mich dem Herrn zu." Vor Gott seien wir „weder Fremde noch Zahlen. Wir sind Gesichter und Herzen, eines nach dem anderen, namentlich bekannt“. Und Gott hört zu: „Manchmal genügt es im Gebet, dies zu wissen“, erklärte der Papst. Natürlich verschwinde das Leid damit nicht einfach, es werde aber erträglicher in der Gewissheit, dass Gott zuhört.
Katechesenreihe über Gebet wiederaufgenommen
Der Papst hat bei der Generalaudienz vergangene Woche seine Katechesenreihe über das Gebet wieder aufgenommen. Zuvor sprach er etwa drei Monate lang über geistliche Auswege aus der Corona-Pandemie unter dem Titel „Die Welt heilen“. Seine am 4. Oktober veröffentlichte Enzyklika „Fratelli tutti“ enthält vielfache Anklänge an diese Katechesenreihe.
(vatican news - gs)
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