Wortlaut: Papst Franziskus beim internationalen Friedenstreffen in Rom
Ansprache des Heiligen Vaters
(Piazza del Campidoglio, 20. Oktober 2020)
Liebe Brüder und Schwestern!
Es ist mir ein Grund zur Freude und ich danke Gott, hier auf dem Kapitol im Herzen Roms den verehrten Religionsführern, den werten Vertretern des öffentlichen Lebens und zahlreichen Freunden des Friedens begegnen zu dürfen. Wir haben Seite an Seite für den Frieden gebetet. Ich begrüße den Präsidenten der Republik Italien Sergio Mattarella. Ich freue mich, Seine Heiligkeit den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios erneut zu treffen. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass er und andere Persönlichkeiten trotz der erschwerten Reisebedingungen an diesem Gebetstreffen teilnehmen wollten. Im Geiste des vom heiligen Johannes Paul II. im Jahr 1986 einberufenen Treffens von Assisi begeht die Gemeinschaft Sant’Egidio jedes Jahr in einer anderen Stadt diesen Moment des Gebets und Dialogs für den Frieden zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen.
Diese Friedensvision trug einen prophetischen Samen in sich, der mit Gottes Gnade nach und nach durch neu entstandene Treffen, Friedensaktionen und ein neues Denken der Geschwisterlichkeit herangereift ist. Denn rückblickend dürfen wir, obschon es in den vergangenen Jahren leider schmerzliche Ereignisse wie Konflikte, Terrorismus oder Radikalismus zuweilen auch im Namen der Religion gab, doch fruchtbare Schritte im Dialog zwischen den Religionen erkennen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, das uns ermutigt, als Brüder und Schwestern zusammenzuarbeiten. So gelangten wir zu dem wichtigen Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, das ich 2019 zusammen mit dem Großimam von Al-Azhar Ahmed Al-Tayyeb unterzeichnet habe.
In der Tat ist »das Gebot des Friedens [tief in die] religiösen Traditionen eingeschrieben« (Enzyklika Fratelli tutti, 284). Die Gläubigen haben verstanden, dass die Religionsverschiedenheit keine Rechtfertigung für Gleichgültigkeit oder Feindschaft ist. Im Gegenteil, vom Glauben her können wir zu „Handwerkern“ des Friedens werden und bleiben nicht länger träge Zuschauer des Übels von Krieg und Hass. Die Religionen dienen dem Frieden und der Geschwisterlichkeit. Aus diesem Grund ermutigt auch das heutige Treffen die Religionsführer und alle Gläubigen, beharrlich für den Frieden zu beten, sich niemals mit Krieg abzufinden und mit der sanften Kraft des Glaubens zu handeln, um den Konflikten ein Ende zu setzen.
Wir brauchen Frieden! Mehr Frieden! »Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben. Die Welt hat heute einen brennenden Durst nach Frieden. In vielen Ländern leidet man unter Kriegen, die oft ausgeblendet werden, und doch immer Ursache für Leid und Armut sind« (Ansprache beim Weltgebetstag für den Frieden, Assisi, 20. September 2016). Die Welt, die Politik und die öffentliche Meinung laufen Gefahr, sich an das Übel des Krieges als naturgegebenen Begleiter in der Geschichte der Völker zu gewöhnen. »Halten wir uns nicht mit theoretischen Diskussionen auf, sondern treten wir in Kontakt mit den Wunden, berühren wir das Fleisch der Verletzten. […] Achten wir auf die Flüchtlinge, auf diejenigen, die unter atomarer Strahlung oder chemischen Angriffen gelitten haben, auf die Frauen, die ihre Kinder verloren haben, auf die Kinder, die verstümmelt oder ihrer Kindheit beraubt wurden« (Enzyklika Fratelli tutti, 261). Heute werden die Leiden des Krieges auch durch die Covid-19-Pandemie und den in vielen Ländern fehlenden Zugang zu notwendigen Behandlungen noch verschlimmert.
Die Konflikte gehen unterdessen weiter, und mit ihnen Schmerz und Tod. Kriege zu beenden ist eine unaufschiebbare Pflicht aller politischen Verantwortungsträger vor Gott. Frieden ist die Priorität jeder Politik. Gott wird jeden, der den Frieden nicht gesucht oder Spannungen und Konflikte geschürt hat, für alle Tage, Monate und Jahre, in denen die Menschen vom Krieg heimgesucht wurden, zur Rechenschaft ziehen!
Das Wort unseres Herrn Jesus Christus besticht durch seine tiefe Weisheit: »Steck dein Schwert in die Scheide» – so sagt er – »denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen« (Mt 26,52). Alle, die zum Schwert greifen, vielleicht in der Meinung, schwierige Situationen rasch lösen zu können, werden an sich selbst, an ihren Lieben, an ihren Ländern den Tod durch das Schwert erfahren. »Genug davon!« (Lk 22,38), sagt Jesus, als ihm die Jünger vor seiner Passion zwei Schwerter zeigen. „Genug davon!“: Es ist eine unmissverständliche Antwort gegen jede Gewalt. Dieses „Genug davon!“ Jesu überdauert die Jahrhunderte und ergeht mit Nachdruck auch an uns heute: Genug der Schwerter, der Waffen, der Gewalt! Schluss mit dem Krieg!
Diesen Aufruf griff der heilige Paul VI. im Jahr 1965 bei den Vereinten Nationen auf, als er sagte: »Nie wieder Krieg!« Das ist die flehentliche Bitte von uns allen, Männern und Frauen guten Willens. Es ist der Wunschtraum aller, die den Frieden suchen und aufbauen, da sie sich bewusst sind, dass jeder Krieg die Welt schlechter zurücklässt, als sie vorher war (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 261).
Wie kommen wir aus festgefahrenen Dauerkonflikten heraus? Wie lassen sich die verwickelten Knoten so vieler bewaffneter Kämpfe lösen? Wie können Konflikte verhindert werden? Wie können die Kriegsherren oder diejenigen, die auf die Stärke der Waffen vertrauen, zum Frieden bewegt werden? Kein Volk, keine soziale Gruppierung kann Frieden, Gutes, Sicherheit und Glück allein erreichen. Niemand. Die Lektion der jüngsten Pandemie besteht darin, wenn wir ehrlich sein wollen, dass sie »das Bewusstsein geweckt [hat], eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot zu sein, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht. Uns wurde bewusst, dass keiner sich allein retten kann, dass man nur Hilfe erfährt, wo andere zugegen sind« (Enzyklika Fratelli tutti, 32).
Die Geschwisterlichkeit, die aus der Gewissheit erwächst, dass wir alle der einen Menschheit angehören, muss das Leben der Völker, die Gemeinschaften, Regierenden und internationalen Vereinigungen durchdringen. Auf diese Weise wird sie das Bewusstsein fördern, dass wir uns nur gemeinsam retten, wenn wir nämlich einander begegnen, miteinander verhandeln, aufhören uns gegenseitig zu bekämpfen, uns versöhnen, die Sprache der Politik und der Propaganda mäßigen und konkrete Wege zum Frieden entwickeln (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 231).
Wir sind heute Abend zusammengekommen, um als Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen eine Botschaft des Friedens auszusenden. So wird deutlich, dass die Religionen keinen Krieg wollen, sondern vielmehr alle, die die Gewalt religiös zu verklären suchen, Lügen strafen; sie bitten alle, für die Versöhnung zu beten und entsprechend zu handeln, damit die Geschwisterlichkeit neue Pfade der Hoffnung eröffnet. Denn mit Gottes Hilfe ist es möglich, eine Welt des Friedens aufzubauen und so gemeinsam Rettung zu erlangen.
(vatican news – gs)
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