Papst Franziskus: Geschwisterlichkeit hilft gegen Krisen von heute
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Anders als gewohnt empfing Franziskus die Botschafter in der Benediktionsaula im Petersdom und nicht in einem Saal des Apostolischen Palastes. In der Benediktionsaula lässt sich leichter Abstand halten, wie sich das in Corona-Zeiten so gehört. Natürlich ging es auch in Franziskus‘ Ansprache vor allem um das tückische Virus.
„Das vor kurzem zu Ende gegangene Jahr hat über die vielen Todesfälle hinaus bedrückende Angst, Entmutigung und Verzweiflung hinterlassen. Es hat die Menschen in eine Spirale der Absonderung und des gegenseitigen Verdachts versetzt und die Staaten dazu bewegt, Barrieren zu errichten. Die vernetzte Welt, an die wir gewöhnt waren, ist einer Welt gewichen, die wieder fragmentiert und geteilt ist.“
„Corona verschärft schon bestehende Krisen weiter“
Keine schöne Diagnose – auch deshalb, weil Corona eine Reihe von Krisen, die schon bislang vor sich hin köchelten, noch weiter verschärft: die Klima-, Ernährungs-, Wirtschafts- und Migrationskrise. Mit diesen und weiteren Krisen beschäftigte sich der Papst in seiner Rede ausführlich.
Sein erstes Augenmerk galt der Gesundheitskrise. „Sie erinnert auch an den Wert des Lebens, jedes einzelnen menschlichen Lebens, und an seine Würde in jedem Augenblick seines irdischen Weges, von der Empfängnis im Mutterleib bis zu seinem natürlichen Ende.“ Franziskus kritisierte „eine wachsende Zahl von Gesetzgebungen in der ganzen Welt“, die sich „unter dem Vorwand, vermeintliche subjektive Rechte zu garantieren“, vom Lebensschutz entfernen.
Da wird er auch an die Lockerung des Abtreibungsrechts in seiner Heimat Argentinien gedacht haben. „Wenn das Recht auf Leben im Falle der Schwächsten unterdrückt wird – wie sollen dann die übrigen Rechte wirksam gewährleistet werden?“
„Impfstoffe gerecht verteilen“
Wie schon mehrfach in den letzten Monaten trat der Papst „für einen allgemeinen Zugang“ aller Menschen zu einer medizinischen Grundversorgung ein und für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe: „und zwar nicht nach rein wirtschaftlichen Kriterien, sondern unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aller, vor allem der Bevölkerungen besonders bedürftiger Länder“.
Von der Gesundheits- zur Umweltkrise: Hier kam der Papst, der 2015 eine eigene Enzyklika zum Thema Umwelt geschrieben hat (Laudato si‘), gleich auf den Klimawandel zu sprechen. „Ich hoffe, dass die nächste Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26) im November diesen Jahres in Glasgow eine wirksame Vereinbarung zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels ermöglichen wird. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln, denn die Auswirkungen fortgesetzter Untätigkeit sind bereits spürbar.“
Da dachte Franziskus an im Pazifik versinkende Inseln, an Überschwemmungen in Südostasien, an Brände in Australien und Kalifornien. Man könne die „fortschreitende Erderwärmung“ nicht ignorieren. In Afrika verschärfe der Klimawandel die Ernährungslage in Ländern wie Burkina Faso und Mali.
Appell für Südsudan
„Ich denke da auch an die Situation im Südsudan, wo die Gefahr einer Hungersnot besteht und wo außerdem eine ernste humanitäre Notlage herrscht. Mehr als eine Million Kinder leiden an Mangelernährung, während humanitäre Korridore oft blockiert und die Präsenz humanitärer Organisationen in dem Gebiet eingeschränkt werden. Auch um diese Situation in den Griff zu bekommen, ist es dringender denn je, dass die südsudanesischen Verantwortungsträger allen Zwist überwinden.“
Franziskus hält am Plan einer Irak-Reise fest
Seine Hoffnung, einmal in einen (dann hoffentlich befriedeten) Südsudan reisen zu können, erwähnte Papst Franziskus diesmal nicht. Allerdings bekräftigte er seine Hoffnung, Anfang März in den Irak reisen zu können. Es wäre seine erste große Auslandsreise seit Ausbruch der Corona-Pandemie – und die erste Reise eines Papstes in den Irak überhaupt.
Die dritte Krise, die sich Franziskus in seiner politischen „tour d’horizon“ zur Brust nahm, war die wirtschaftliche und soziale Krise. Er rief dazu auf, „das Verhältnis zwischen Mensch und Wirtschaft neu zu überdenken“. „Es braucht eine Art ‚neue kopernikanische Wende‘, die die Wirtschaft in den Dienst des Menschen stellt und nicht umgekehrt.“
Ein Lob für die EU
Franziskus lobte ausdrücklich das von der Europäischen Union geschnürte Rettungspaket für die Wirtschaft der Mitgliedsländer: Die EU habe „trotz aller Schwierigkeiten gezeigt, dass man durch beherztes Handeln zu zufriedenstellenden Kompromissen zum Wohle aller Bürger gelangen kann“. Besorgt äußerte er sich darüber, dass Wirtschaftskrise und Corona mehrere humanitäre Notlagen weiter verschärfen.
„Ich denke dabei insbesondere an den Sudan, wohin Tausende von Menschen aus der Region Tigray geflüchtet sind, sowie an andere Länder in Afrika südlich der Sahara oder auch an die Provinz Cabo Delgado in Mosambik, wo viele gezwungen waren, ihren ursprünglichen Lebensraum zu verlassen und sich nun in sehr prekären Verhältnissen befinden. Meine Gedanken gehen auch in den Jemen und nach Syrien, wo neben anderen ernsten Notsituationen ein großer Teil der Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen ist und die Kinder durch Unterernährung ausgezehrt sind.“
Nein zu Wirtschaftssanktionen
Er halte nichts von Wirtschaftssanktionen, machte Franziskus deutlich. Zwar verstehe er „die Logik dahinter“, glaube aber nicht, dass sie wirklich wirkten. Er hoffe auf ihre Lockerung – „nicht zuletzt, um humanitäre Hilfen zu ermöglichen“.
Der Papst konnte es sich auch nicht verkneifen, ausführlich über das Thema Migranten zu sprechen, das ihm besonders am Herzen liegt. Er verurteilte illegale Zurückweisungen: „Viele werden abgefangen und in Sammel- und Inhaftierungslager zurückgeschickt, wo sie Folter und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, wenn sie nicht im Meer und bei der Überquerung anderer natürlicher Grenzen den Tod finden.“
Seit dem Zweiten Weltkrieg habe die Welt nicht mehr „einen so dramatischen Anstieg“ der Flüchtlingszahlen erlebt wie heute. „Es ist daher dringend notwendig, die Bemühungen zu ihrem Schutz zu verstärken.“
Nächste Krise, die der Papst diagnostizierte: eine „Krise der Politik“. „Einer der emblematischen Faktoren dieser Krise ist das Anwachsen der politischen Gegensätze und die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unfähigkeit, gemeinsame und abgestimmte Lösungen für die Probleme zu finden, die unseren Planeten heimsuchen. Dieser Trend, den man schon seit einiger Zeit beobachten kann, breitet sich auch in Ländern mit einer langen demokratischen Tradition immer weiter aus.“ Hier durfte, wer wollte, an den Sturm auf das Kapitol in Washington am vergangenen 6. Januar denken.
„Verhaftete in Myanmar freilassen“
„Die Demokratie lebendig zu erhalten ist eine Herausforderung dieses Moments in der Geschichte, die alle Staaten direkt angeht“, so Franziskus. „In diesen Tagen denke ich besonders an das Volk von Myanmar, dem ich meine Verbundenheit und Nähe bekunde. Der Weg der Demokratisierung der letzten Jahre wurde durch den Staatsstreich vergangene Woche jäh unterbrochen. Dabei wurden einige führende Politiker verhaftet, und ich hoffe, dass sie umgehend freigelassen werden als ermutigendes Zeichen für einen ehrlichen Dialog zum Wohl des Landes.“
Der Papst begrüßte das Inkrafttreten eines UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen und regte an, stärker gegen die Verbreitung von chemischen und konventionellen Waffen vorzugehen. „Es gibt zu viele Waffen auf der Welt!“ Immer noch im Kapitel „Krise der Politik“ äußerte er dann Hoffnungen auf Friedensbemühungen für verschiedene internationale Krisenherde.
„Wie sehr wünschte ich mir, dass 2021 das Jahr ist, in dem endlich der Syrien-Konflikt, der vor zehn Jahren begann, ein Ende findet! Dazu bedarf es eines neuen Interesses auch seitens der internationalen Gemeinschaft.“
Sorge über Lage im Libanon
Franziskus rief auch nach neuen Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern und äußerte sich tief besorgt über die Lage im Libanon. „Es ist notwendiger denn je, dass dieses Land seine einzigartige Identität bewahrt, auch als Gewähr für einen pluralen, toleranten und vielfältigen Nahen Osten, in dem die christliche Präsenz ihren eigenen Beitrag leisten kann und nicht auf eine zu schützende Minderheit reduziert wird.“
Die letzte Krise, mit der sich Papst Franziskus in seiner Diplomaten-Rede beschäftigte, war die „Krise der menschlichen Beziehungen“ – „vielleicht die schwerwiegendste von allen“. Hier ging es ihm vor allem um die Lage von Familien und von Schulkindern im Corona-Lockdown. Die Schulschließungen verschlimmerten die „Bildungskatastrophe“; Frauen und Kinder würden vermehrt zu Opfern von häuslicher Gewalt.
Skepsis zu Kirchenschließungen im Lockdown
Was die Schließung von Kirchen und das Verbot von Gottesdiensten im Zug von Anti-Corona-Maßnahmen angeht, zeigte sich Franziskus ungewöhnlich skeptisch. „Man darf nicht vernachlässigen, dass man bei allem Bestreben, Menschenleben vor der Ausbreitung des Virus zu schützen, die spirituelle und moralische Dimension des Menschen gegenüber der körperlichen Gesundheit nicht für zweitrangig halten darf.“ Die zeitweisen Gottesdienst-Verbote, die die italienische Regierung im letzten Jahr verhängte, hatte Franziskus jeweils gebilligt.
Franziskus verteidigt China-Abkommen
Mit Bemerkungen zu China hielt sich Papst Franziskus in seiner Rede einmal mehr zurück. Er verteidigte allerdings das vorläufige Abkommen des Vatikans mit Peking von 2018. Darin geht es um die Ernennung von Bischöfen in China; es wurde unlängst um zwei Jahre verlängert. „Es handelt sich um eine Übereinkunft, die im Wesentlichen pastoraler Natur ist. Der Heilige Stuhl hofft, dass der eingeschlagene Weg im Geiste des Respekts und gegenseitigen Vertrauens weitergeht und zur Lösung von Fragen gemeinsamen Interesses weiterhin beiträgt.“
Franziskus‘ Fazit zum Abschluss seines politischen Rundumschlags: „Im Jahr 2021 haben wir keine Zeit zu verlieren. Und wir werden sie insofern nicht vergeuden, als wir es verstehen, mit vollem Einsatz zusammenzuarbeiten. In diesem Sinne glaube ich, dass die Geschwisterlichkeit das wahre Heilmittel gegen die Pandemie und gegen die vielen Übel ist, die uns getroffen haben. Geschwisterlichkeit und Hoffnung sind wie Medikamente, welche die Welt heute wie Impfstoffe braucht.“
(vatican news)
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