Papst: „Ein christliches Leben ohne Staunen wird grau“
Anne Preckel - Vatikanstadt
Schon das zweite Mal in Folge fand die Palmsonntagsmesse des Papstes aufgrund der Corona-Pandemie in reduzierter Form und nicht auf dem Petersplatz, sondern im Petersdom statt. Eine begrenzte Anzahl von Gläubigen und Konzelebranten war unter Einhaltung von Corona-Präventionsmaßnahmen zugelassen. In Gedenken an Jesu Ankunft in Jerusalem hielten sie Olivenzweige bzw. Palmstäbe in den Händen, die der Papst segnete. Auch gab es eine kurze Prozession durch den Mittelgang der Basilika.
In seiner Predigt ging der Papst zunächst auf die Erwartungen ein, die Jesus bei seinem Einzug in die Stadt entgegenschlugen - zum Paschafest habe das Volk einen mächtigen Befreier erwartet, Jesus aber sei gekommen, um das Pascha durch sein Opfer zu vollziehen. Die Freude der Menschen, die Jesus empfingen, sei nur kurze Zeit später umgeschlagen und Jesus wurde verurteilt und gekreuzigt. „Was geschah mit jenen Menschen, deren Jubelrufe sich innerhalb weniger Tage in ein ,Kreuzige ihn!‘ verwandelten?“, fragte Franziskus.
Bewunderung oder Staunen?
„Diese Leute folgten einer bestimmten Vorstellung vom Messias und nicht dem Messias selbst. Sie bewunderten Jesus, aber sie waren nicht bereit, sich von ihm in Staunen versetzen zu lassen“, analysierte der Papst. Während Bewunderung „den eigenen Geschmack und die eigenen Erwartungen“ suche, bleibe das Staunen „offen für den Anderen, für seine Neuheit“, grenzte er die beiden Begriffe voneinander ab. Und er richtete an seine Zuhörer folgende Fragen:
„Sind wir noch in der Lage, uns von der Liebe Gottes anrühren zu lassen? Warum geraten wir vor ihm nicht mehr ins Staunen? Vielleicht, weil sich unser Glaube durch Gewohnheit abgenutzt hat. Vielleicht, weil wir in unserem Bedauern verschlossen bleiben und uns von unserer Unzufriedenheit lähmen lassen. Vielleicht liegt es daran, dass wir jedes Vertrauen verloren haben oder sogar glauben, wir seien nichts wert…“
Staunen verwandelt uns
Auch heute bewunderten viele Menschen das, was Jesus gesagt und getan habe, ohne aber ihr Leben wirklich zu ändern, gab er zu bedenken. Das reiche nicht aus, machte der Papst deutlich. Es brauche echte Bekehrung: „Es ist notwendig, ihm auf seinem Weg zu folgen, sich von ihm hinterfragen zu lassen – von der Bewunderung zum Staunen überzugehen.“
Ein christliches Leben ohne Staunen werde „grau“, der Glaube brauche immer wieder die Bereitschaft zur Offenheit, so Franziskus, der sich damit an Laien wie Kleriker wandte. Denn:
„Wie kann man Zeugnis geben von der Freude, Jesus begegnet zu sein, wenn man sich nicht jeden Tag überraschen lässt von seiner erstaunlichen Liebe, die uns vergibt und immer wieder neu beginnen lässt? Wenn der Glaube nicht mehr staunen macht, wird er taub für das Wunder der Gnade, er verliert den Geschmack am Brot des Lebens und des Wortes, er nimmt die Schönheit der Brüder und Schwestern und das Geschenk der Schöpfung nicht mehr wahr. Und er hat kein anderes Leben, als sich in Regularien, Klerikalismen und all diese Dinge zu flüchten, die Jesus im 23. Kapitel des Matthäus verurteilt.“
Selbst sein Sterben war Liebe
Am Erstaunlichsten sei die Tatsache, dass Jesus „triumphiert, indem er den Schmerz und den Tod auf sich nimmt“. Der „König der Könige, dessen Thron ein Schafott ist“, entäußert und erniedrigt sich (vgl. Phil 2,7.8), wählt einen anderen Weg als wir, „die wir auf Bewunderung und Erfolg aus sind“. Dabei habe Jesus all dies getan, „um durch und durch mit unserer menschlichen Wirklichkeit in Berührung zu kommen“, so Franziskus:
„Er erlebt unsere schlimmsten Gemütszustände: das Scheitern, die Ablehnung von allen Seiten, den Verrat durch Menschen, die ihn lieben, ja sogar das Gefühl der Gottverlassenheit. Er erlebt am eigenen Leib unsere quälendsten Widersprüche, und auf diese Weise erlöst und verwandelt er sie. Seine Liebe kommt unserer Schwäche entgegen, sie kommt dorthin, wo wir uns am meisten schämen.“
In jeder Verwundung und Angst sei die Nähe Gottes spürbar, machte der Papst deutlich, Übel und Sünden hätten nie das letzte Wort. Denn Jesu Selbstopfer habe gezeigt, wie „selbst das Sterben mit Liebe erfüllt“ werden könne, mit „unentgeltlicher und unerhörter Liebe“: „Die Siegespalme erwächst aus dem Holz des Kreuzes. Die Palmzweige und das Kreuz bilden eine Einheit.“
Von der Liebe Gottes anrühren lassen
Für die Karwoche rief der Papst dazu auf, sich beim Betrachten des Kreuzes „von der Liebe Gottes anrühren zu lassen“, „wieder neu zu beginnen“ und sich dabei vor allem der Leidenden anzunehmen:
„Schauen wir auf den Gekreuzigten und sagen wir zu ihm: ,Herr, wie sehr liebst Du mich! Wie wertvoll bin ich für Dich!‘ Lassen wir uns von Jesus in Staunen versetzen, um zum Leben zurückzukehren, denn der Sinn des Lebens liegt nicht im Haben und in der Selbstbehauptung, sondern darin, dass man entdeckt, dass man geliebt ist. (…) Und mithilfe der Gnade des Staunens verstehen wir, dass wir Jesus lieben, indem wir die Verworfenen aufnehmen und auf die vom Leben Gedemütigten zugehen. Denn er ist dort zugegen, in den Letzten, in denen, die abgelehnt werden.“
(vatican news - pr)
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