Generalaudienz zum mündlichen Gebet: Die Katechese im Wortlaut
Lesung: Psalm 130, 1-5
Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: 2 Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. 3 Würdest du, HERR, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn? 4 Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient. 5 Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.
Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
Das Gebet ist ein Dialog mit Gott; und jedes Geschöpf führt in einem gewissen Sinne einen Dialog mit Gott. Im Menschen wird das Gebet zum Wort, zur Anrufung, zum Gesang, zur Poesie.... Das göttliche Wort ist Fleisch geworden, und im Fleisch eines jeden Menschen kehrt das Wort im Gebet zu Gott zurück.
Worte sind unsere Geschöpfe, aber sie sind auch unsere Mütter, und in gewisser Weise formen sie uns. Die Worte eines Gebetes bringen uns sicher durch ein dunkles Tal, leiten uns zu grünen, wasserreichen Wiesen, lassen uns vor den Augen eines Feindes schmausen, wie es uns der Psalm lehrt (vgl. Ps 23).
Worte werden aus Gefühlen geboren, aber es gibt auch den umgekehrten Weg: den, dass Worte Gefühle formen. Die Bibel erzieht den Menschen dazu, dass alles durch das Wort ans Licht kommt, dass nichts Menschliches ausgeschlossen oder zensiert wird. Schmerz ist vor allem dann gefährlich, wenn er zugedeckt, in uns verschlossen bleibt.... Ein Schmerz, der in uns eingeschlossen ist, der sich nicht ausdrücken oder sich keine Luft machen kann, kann die Seele vergiften; er ist tödlich.
Aus diesem Grund lehrt uns die Heilige Schrift, auch mit manchmal kühnen Worten zu beten. Die biblischen Autoren wollen uns nicht über den Menschen täuschen: Sie wissen, dass es in seinem Herzen auch unerquickliche Gefühle gibt, sogar Hass.
Keiner von uns wird als Heiliger geboren, und wenn diese bösen Gefühle an die Tür unseres Herzens klopfen, müssen wir fähig sein, sie mit Gebet und mit Gottes Worten zu entschärfen. In den Psalmen finden wir auch sehr harte Ausdrücke gegen Feinde - Ausdrücke, von denen uns geistliche Lehrer lehren, dass sie sich auf den Teufel und auf unsere Sünden beziehen - und doch sind es Worte, die zur menschlichen Realität gehören und die in die Heilige Schrift gelangt sind. Sie sind da, um uns zu bezeugen, dass, wenn es angesichts der Gewalt keine Worte gäbe, um schlechte Gefühle unschädlich zu machen und sie so zu kanalisieren, dass sie keinen Schaden anrichten, die ganze Welt von ihnen überschwemmt sein würde.
Das erste menschliche Gebet ist immer ein mündliches Aufsagen. Die Lippen bewegen sich immer zuerst. Obwohl wir alle wissen, dass Beten nicht bedeutet, Worte zu wiederholen, ist das mündliche Gebet dennoch das sicherste und kann immer praktiziert werden.
Gefühle hingegen, so edel sie auch sein mögen, sind immer ungewiss: Sie kommen und gehen, sie verlassen uns und kommen wieder. Nicht nur das, auch die Gnaden des Gebets sind unvorhersehbar: Manchmal gibt es Trost im Übermaß, aber an den dunkelsten Tagen scheint er völlig zu verdunsten. Das Gebet des Herzens ist geheimnisvoll und zu bestimmten Zeiten fehlt es. Das Gebet von den Lippen, das, was geflüstert oder im Chor rezitiert wird, ist stattdessen immer verfügbar und ebenso notwendig wie die Handarbeit. Im Katechismus heißt es: „Das mündliche Gebet gehört unverzichtbar zum christlichen Leben. Christus lehrt die Jünger, die sich vom stillen Gebet ihres Meisters angezogen fühlen, ein Gebet sprechen: das Vaterunser.“ (KKK Nr. 2701). Lehre uns zu beten, bitten die Jünger Jesus, und Jesus lehrt sie ein mündliches Gebet; Das Vaterunser. Und in diesem Gebet steckt alles.
Wir sollten alle die Demut gewisser älterer Menschen haben, die in der Kirche, vielleicht weil ihr Gehör nicht mehr scharf ist, mit leiser Stimme die Gebete aufsagen, die sie als Kinder gelernt haben, und so das Kirchenschiff mit Flüstern füllen. Dieses Gebet stört die Stille nicht, sondern zeugt von ihrer Treue zur Pflicht des Gebets, die sie ihr ganzes Leben lang praktiziert haben, ohne jemals auszusetzen. Es ist wie ein Anker: Sich am Tau festhalten, um dort zu bleiben, treu, was auch immer geschehen möge.
Diese demütig betenden Menschen sind oft die großen Fürsprecher der Pfarreien: Sie sind die Eichen, die von Jahr zu Jahr ihre Zweige vergrößern, um der größtmöglichen Anzahl von Menschen Schatten zu spenden. Nur Gott weiß, wann und wie sehr ihre Herzen mit den vorgetragenen Gebeten verbunden waren: Sicherlich haben auch diese Menschen leere Nächte und Momente erleben müssen. Aber dem mündlichen Gebet kann man immer treu bleiben.
Wir alle müssen von der Beständigkeit jenes russischen Pilgers lernen, der in einem berühmten Werk über Spiritualität erwähnt wird und der die Kunst des Gebets erlernte, indem er dieselbe Anrufung unzählige Male wiederholte: „Jesus Christus, Sohn Gottes, Herr, hab Erbarmen mit uns Sündern!“ (vgl. KKK, 2616; 2667). Er wiederholte nur das.
Wenn Gnaden in sein Leben eintreten, wenn das Gebet eines Tages so inbrünstig wird, dass man die Gegenwart des Reiches Gottes hier unter uns wahrnimmt, wenn sein Blick sich verwandelt, bis er dem eines Kindes gleicht, dann liegt das daran, dass er darauf beharrt hat, einen einfachen christlichen Ausspruch zu rezitieren. Am Ende wird dieser zu einem Teil seines Atems. Die Geschichte des russischen Pilgers ist schön: es ist ein Buch, das für alle geeignet ist. Ich empfehle euch, es zu lesen: es wird euch helfen zu verstehen, was das mündliche Gebet ist.
Deshalb dürfen wir das mündliche Gebet nicht geringschätzen. Manch einer sagt, ach das ist eine Sache für Kinder, für die ungebildeten. Menschen, ich suche das geistliche Gebet, die Meditation, die innere Leere, damit Gott kommt.... Aber bitte! Man darf nicht in den Hochmut verfallen, das mündliche Gebet geringzuschätzen. Es ist das Gebet der einfachen Menschen, das, welches uns Jesus gelehrt hat: Vaterunser im Himmel... Die Worte, die wir aussprechen, nehmen uns bei der Hand; manchmal stellen sie den Geschmack wieder her, sie wecken sogar das schläfrigste Herz; sie erwecken Gefühle wieder, an die wir die Erinnerung verloren hatten. Und vor allem sind sie die Einzigen, die auf sichere Art und Weise die Fragen an Gott richten, die er hören will. Jesus hat uns nicht im Nebel gelassen. Er sagte uns: „So sollt ihr beten!“ Und er lehrte das Gebet des Vaterunsers (vgl. Mt 6,9).
(vatican news - cs)
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