Afghanistan und die Päpste: Mut zum Frieden!
Amedeo Lomonaco und Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Kann Demokratie als Regierungsform in allen Regionen und Kulturen der Welt aufgehen? Papst Franziskus hat daran einmal Zweifel geäußert. Vor fünf Jahren riet er in einem Interview mit der französischen Zeitung „La Croix“ dazu, die Art und Weise zu hinterfragen, in der „ein allzu westliches Demokratiemodell in Länder wie den Irak exportiert wurde, in denen bereits eine starke Regierung existierte. Oder in Libyen, wo es eine Stammesstruktur gibt". Wir können, sagte der Papst, „nicht vorankommen, ohne diese Kulturen zu berücksichtigen".
Die Frage nach der rechten Form der Organisation eines Staatswesens stellt sich heute angesichts der afghanischen Tragödie mit neuer Dringlichkeit. Das Scheitern des amerikanischen und allgemein des westlichen Versuchs in Afghanistan ist offensichtlich geworden. Kann Demokratie in Länder wie Afghanistan mit Waffen exportiert werden? Oder erweist sich der Krieg immer als ein Abenteuer ohne Wiederkehr? Mit Blick auf die Lage, in der sich Afghanistan heute befindet, aber auch die Verwerfungen im Irak erweist sich die prophetische Weitsicht des „Lehramtes des Friedens" der letzten Päpste.
„Um Frieden zu schaffen, braucht es Mut, sehr viel mehr, als um Krieg zu führen“, sagte Papst Franziskus 2014 bei einem Friedensgebet für das Heilige Land in den Vatikanischen Gärten. „Es braucht Mut, um Ja zu sagen zur Begegnung und Nein zur Auseinandersetzung; Ja zum Dialog und Nein zur Gewalt; Ja zur Verhandlung und Nein zu Feindseligkeiten; Ja zur Einhaltung der Abmachungen und Nein zu Provokationen; Ja zur Aufrichtigkeit und Nein zur Doppelzüngigkeit. Für all das braucht es Mut, eine große Seelenstärke”.
„Die Argumente für den Frieden sind stärker als jedes Kalkül privater Interessen und als jedes Vertrauen in den Einsatz von Waffen“: Diese Überzeugung hat Johannes XXIII. 1963 in seiner Enzyklika „Pacem in Terris" in einer Zeit bedrohlicher internationaler Spannungen zum Ausdruck gebracht, und Papst Franziskus hat sie in seiner Enzyklika „Fratelli tutti" (260) bekräftigt. Sie findet sich heute angesichts des afghanischen Szenarios am Rand des Bürgerkriegs bestätigt. Die Not der afghanischen Nation darf nicht zu einem neuen Konflikt führen, das ist die Haltung der katholischen Kirche. Auch und gerade wenn die Zeichen auf Krieg stehen, muss die Zukunft auf der Suche nach Dialog und Frieden aufgebaut werden. „Die Zukunft eines Landes lässt sich gewiss nicht mit Bomben aufbauen", formulierte Johannes Paul II. im Januar 1992 in einer Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Corps. Er bezog sich auf den Krieg in Jugoslawien – und meinte zugleich jeden zukünftigen Krieg.
Die Argumente für den Frieden setzen sich durch
Heute sieht die Welt erschütternde Bilder aus Afghanistan: Menschen, die voller Verzweiflung auf den Kabuler Flughafen strömen, Mütter und Väter, die ihre Kinder in die Hände ausländischer Soldaten geben und sie dem Unbekannten anvertrauen. Auch in solchen Szenen sind „Argumente für den Frieden“ zu erkennen.
„Ist es möglich, den Weg des Friedens einzuschlagen? Können wir aus dieser Spirale des Schmerzes und des Todes aussteigen?“ so fragte Papst Franziskus 2013 während der Gebetswache für den Frieden in Syrien. Und er antwortete selbst: „Ja, es ist möglich für alle! Mehr noch: Ich möchte, dass jeder von uns – vom Kleinsten bis zum Größten, bis hin zu denen, die berufen sind, die Nationen zu regieren – antwortet: Ja, wir wollen es!“ Franziskus rief und ruft alle dazu auf, auf den Grund ihres „Gewissens zu schauen und auf jene Stimme zu hören, die sagt: Komm heraus aus deinen Interessen, die dein Herz verengen, überwinde die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, die das Herz gefühllos macht, besiege deine Todesargumente und öffne dich dem Dialog, der Versöhnung: Schau auf den Schmerz deines Bruders – ich denke an die Kinder, allein an sie… – schau auf den Schmerz deines Bruders und füge nicht weiteren Schmerz hinzu, halte deine Hand zurück, baue die Harmonie wieder auf, die auseinander gebrochen ist.“
Kein Krieg mehr
Auch die Menschen in Afghanistan müssen in diesen schwierigen Zeiten die Harmonie wiederherstellen und im Geist der Worte handeln, die Papst Paul VI. im Jahr 1965 vor der UNO aussprach: „Kein Krieg mehr, kein Krieg mehr! Frieden, Frieden muss das Schicksal der Völker und der gesamten Menschheit leiten". Waffen sind niemals die Lösung. Daran erinnert uns Johannes Paul II. insbesondere in seiner Botschaft an den irakischen Präsidenten Saddam Hussein im Jahr 1991: „Kein internationales Problem kann durch den Einsatz von Waffen angemessen und würdig gelöst werden", so der polnische Papst kurz nach dem Ende des Kalten Krieges. Den US-Präsidenten forderte Johannes Paul dazu auf, keine Mühen zu scheuen, um „Entscheidungen zu vermeiden, die unumkehrbar wären". Beherzigt wurden seine Worte nicht: Am 17. Januar 1991 beginnt die Operation Wüstensturm im Irak. Bis heute ist das Zweistromland, das Papst Franziskus im vergangenen März besuchte, gezeichnet von seiner Vergangenheit im Krieg.
Afghanistan kann heute nicht ohne echten Frieden vorankommen – Frieden, der ein „Geschenk Gottes" und zugleich „Frucht menschlichen Bemühens“ ist, wie Papst Benedikt XVI. 2013 in Erinnerung rief. „Die Verwirklichung des Friedens hängt vor allem davon ab anzuerkennen, daß in Gott alle eine einzige Menschheitsfamilie bilden.“
Mit Blick auf Kabul appellierte Papst Franziskus beim Angelus am 15. August 2021: „Möge das Geschrei nach Waffen aufhören und Lösungen am Tisch des Dialogs gefunden werden. Nur so kann die gemarterte Bevölkerung dieses Landes - Männer, Frauen, alte Menschen und Kinder - in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden und Sicherheit in gegenseitigem Respekt leben.“ Nur so kann das afghanische Volk Wege des Friedens, Wege der Geschwisterlichkeit beschreiten.
(vatican news)
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