Papst fordert kostenlose Gesundheitsversorgung für alle
Christine Seuss - Vatikanstadt
Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose forderten Millionen von vermeidbaren Opfern, doch die internationale Reaktion auf das Coronavirus habe die Anstrengungen gegen andere Krankheiten ebenso wie gegen prekäre Lebensumstände deutlich in den Schatten gestellt, betonte Franziskus vor den Audienz-Teilnehmern. Die Akademie hält derzeit ihre Vollversammlung im Vatikan teils in Präsenz, teils mit Onlineteilnahme, ab: Begleitend findet am Montag und Dienstag auch ein Workshop zu öffentlicher Gesundheit im Zusammenhang mit Pandemie und Bioethik statt.
Lehren aus der Krise ziehen
In seiner Ansprache äußerte der Papst Verständnis dafür, dass die Menschen nach zwei Jahren Pandemie „ausgelaugt“ seien und sie gerne zu anderen Themen übergehen würden. Doch auf der anderen Seite führe kein Weg daran vorbei, „mit Ruhe“ und „eingehend“ darüber nachzudenken, was geschehen sei, um daraus Lektionen für die Zukunft zu ziehen. Denn „schlimmer als die gegenwärtige Krise wäre nur, wenn wir die Chance, die sie birgt, ungenutzt verstreichen ließen”, zitierte der Papst aus seiner Predigt an Pfingsten 2020, mitten in der ersten Pandemie-Welle.
In diesem Zusammenhang dankte Franziskus den Vertretern der Päpstlichen Akademie für ihre Überlegungen, aber auch für ihre Arbeit zu Fragen der globalen Bioethik, die er bereits 2019 mit dem Schreiben Humana communitas aus Anlass des 25. Jahrestages der Akademie ermutigt hatte. „Der Horizont des öffentlichen Gesundheitswesens erlaubt es in der Tat, wichtige Aspekte für das Zusammenleben der Menschheitsfamilie und für die Stärkung eines Gewebes von sozialer Freundschaft in den Fokus zu nehmen“, betonte Franziskus – mit Verweis auf die Zentralität dieser Themen in seiner Enzyklika Fratelli tutti (vgl. Kap. 6) - an die Adresse der Versammlungsteilnehmer.
Zeit zur Umkehr
Dank der Pandemie sei wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückt, wie eng verbunden die Menschheit untereinander, aber auch mit dem Gemeinsamen Haus sei, fuhr Franziskus fort. „Unsere Gesellschaften, vor allem im Westen, haben die Tendenz gezeigt, diese Verbindung zu vergessen. Und die bitteren Konsequenzen stehen uns vor Augen. In diesem Epochenübergang ist es also dringlich, diese schädliche Tendenz umzukehren, und dies ist möglich durch die Synergie zwischen verschiedenen Disziplinen.“
Dabei fasste Franziskus neben Biologie und Hygiene allgemein die Medizin und die Epidemiologie ins Auge, aber auch Wirtschaft, Sozialwissenschaften, Anthropologie und Umweltwesen. „Es handelt sich darum, die Phänomene zu verstehen und darüber hinaus auch Handlungskriterien technologischer, politischer und ethischer Art mit Blick auf Gesundheitssysteme, Familie, Arbeit und Umwelt auszumachen,“ so die Aufforderung des Papstes, der mehrfach unterstrich, wie eng verzahnt soziale Umstände und der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung sind.
Es reiche keineswegs aus, dass ein Problem schwerwiegend sei, damit es mit der nötigen Aufmerksamkeit angegangen werde, beklagte Franziskus in diesem Zusammenhang: „Denken wir an die zerstörerische Auswirkung gewisser Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose: Unzureichende hygienische und gesundheitliche Verhältnisse führen jedes Jahr zu Millionen von vermeidbaren Todesfällen. Wenn wir diese Wirklichkeit mit der Sorge vergleichen, die die Covid-19-Pandemie ausgelöst hat, sehen wir, wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Schwere des Problems und die damit einhergehende Mobilisierung von Energien und Ressourcen ist.“
Natürlich sei es wichtig, einer Krankheit wie Covid-19 mit aller Entschiedenheit und auf globaler Ebene entgegenzutreten, unterstrich Franziskus. Doch auf der anderen Seite gelte es auch, daraus die Lehre zu ziehen, was es bedeute, verwundbar zu sein und täglich unter prekären Bedingungen leben zu müssen – und sich damit der Lebensbedingungen der anderen Menschen, „für die wir uns bislang wenig oder gar nicht interessiert haben“, in verantwortlicher Weise anzunehmen.
„So werden wir lernen, nicht unsere Prioritäten auf Bevölkerungen umzulegen, die auf anderen Kontinenten leben und wo andere Notwendigkeiten dringender erscheinen; wo beispielsweise nicht nur die Impfungen fehlen, sondern trinkbares Wasser und das tägliche Brot.“ Politiker, die die Bevölkerung in derart prekären Lebensverhältnissen aufforderten, sich mehrfach täglich die Hände mit Wasser und Seife zu waschen, seien wohl nie in derartigen Landstrichen unterwegs gewesen, gab der Papst mit einem kaum verhohlenen Seitenhieb auf die Realitätsferne mancher Volksvertreter zu bedenken. Der Einsatz für eine „gleiche und universale Verteilung von Impfstoffen“ sei zwar sehr willkommen und wichtig, müsse aber unter Beachtung der ebenso notwendigen Kriterien dessen erfolgen, was die gesundheitlichen Bedürfnisse und den Schutz des Lebens allgemein angehe, mahnte Franziskus.
Gratis-Zugang zu Gesundheitswesen für alle
Die Chance auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung hänge in direkter Weise von den Lebensbedingungen vor Ort, aber auch von politischen und sozialen Verhältnissen ab, so der Papst mit Blick auf klaffende Ungleichheiten zwischen einzelnen Ländern, aber auch innerhalb ein und derselben Stadt. Doch auf die Feststellung der Tatsache, dass die Gesundheit und das Leben ein unveräußerliches Recht aller Menschen seien, müssten auch Taten folgen, andernfalls laufe man Gefahr, stillschweigend zu akzeptieren, dass das menschliche Leben eben doch nicht immer den gleichen Wert habe. Franziskus empfahl, Gesundheitssysteme zu bewahren, die kostenfreie gesundheitliche Versorgung für alle anböten - ausdrücklich nannte der Papst hier Italien. Andernfalls nämlich käme man dahin, „dass in der Bevölkerung nur diejenigen ein Recht auf Gesundheit haben, die bezahlen können, die anderen nicht. Und das ist eine sehr große Herausforderung. Das hilft, die Ungleichheiten zu überwinden.“ Die kostenlose Gesundheitsversorgung Italiens hatte Franziskus bereits im Sommer nach seiner Darm-OP im Gemelli-Krankenhaus gerühmt.
In diesem Zusammenhang seien auch internationale Initiativen zu unterstützen, die sich für eine globale Governance zugunsten der Gesundheit aller Bürger dank eines klaren und gemeinsam getragenen Regelwerkes einsetzten, forderte Franziskus mit Blick darauf, dass auch in der Zukunft Pandemien eine reale Bedrohung darstellten.
Gegen eine Kultur der Aussonderung
Der Päpstlichen Akademie für das Leben komme in diesem Kontext die Aufgabe zu, gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen an diesem Ziel zu arbeiten, gab Franziskus seinen Gästen mit auf den Weg. Dabei gelte es, Inhalte verständlich aufzubereiten, ohne sie zu „verwässern“, um zu einer Wiederentdeckung des christlichen Prinzips vom Recht auf Leben „von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende“ beizutragen.
Und hier war es dem Papst ein besonderes Anliegen, auf die „Kultur der Aussonderung" hinzuweisen, die dazu führe, dass menschliches Leben noch vor der Geburt durch Abtreibung ausgelöscht werde - in diesem Zusammenhang erinnerte er auch an seine Definition des Auftragsmords, um ein Problem zu lösen - ebenso wie die Aussonderung alter Menschen, die für die Gesellschaft vorgeblich keinen Nutzen mehr hätten: „Damit verleugnen wir die Hoffnung: die Hoffnung der Kinder, die uns das Leben bringen und uns vorwärts gehen lassen, und die Hoffnung, die in den Wurzeln liegt, die uns die alten Menschen geben. Wir sondern beides aus. Und dann, die tägliche Aussonderung, dass das Leben ausgesondert wird... Und ihr Akademiker, die katholischen Universitäten und auch die katholischen Krankenhäuser könnt euch nicht erlauben, an diesen Punkt zu gehen. Das ist ein Weg, den wir nicht einschlagen können: Die Kultur der Aussonderung."
Zusammenarbeit in der römischen Kurie
Der Papst würdigte in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten der Akademie zu den Auswirkungen der neuen Technologien auf das menschliche Leben, und insbesondere den Einsatz der neuen Stiftung renAIssance, die sich der Verbreitung und Vertiefung des Rome Call for AI Ethics verschrieben hat, der kurz vor Ausbruch der Pandemie in Rom verabschiedet wurde.
Abschließend dankte Franziskus den Mitgliedern der Päpstlichen Akademie für ihren Beitrag in der vatikanischen Covid-Kommission, verbunden mit dem Wunsch für weiterführende Kooperationen im Schoß der Kurie: „Es ist schön, die Zusammenarbeit zu sehen, die sich in der Römischen Kurie bei der Realisierung eines gemeinsamen Projektes ergibt. Wir müssen immer mehr diese gemeinsam vorangetragenen Prozesse entwickeln, an denen meines Wissens viele von Ihnen teilgenommen haben, um eine größere Aufmerksamkeit für die verletzlicheren Menschen wie Senioren, Behinderte und Jüngere zu entwickeln.“
(vatican news - cs)
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