Wortlaut: Predigt von Papst Franziskus bei Messe für verstorbene Kardinäle
Sämtliche Wortmeldungen des Heiligen Vaters in offizieller Fassung stehen auf der vatikanischen Internetseite.
In der ersten Lesung haben wir diese Aufforderung gehört: „Gut ist es, schweigend zu harren auf die Hilfe des Herrn“ (Klagelieder 3,26). Diese Haltung ist kein Ausgangspunkt, sondern ein Zielpunkt. Tatsächlich kommt der biblische Autor am Ende einer Reise, eines holprigen Weges, der ihn reifen ließ, zu ihr. Er lernt, wie schön es ist, dem Herrn zu vertrauen, der seine Versprechen immer hält. Aber das Vertrauen in Gott entsteht nicht aus einer momentanen Begeisterung, es ist keine Emotion oder auch nur ein Gefühl. Im Gegenteil, es kommt aus der Erfahrung und reift in der Geduld, wie es bei Hiob der Fall war, der von einer Gotteserkenntnis vom Hörensagen zu einer lebendigen, erfahrungsgemäßen Erkenntnis überging. Und damit dies geschieht, ist eine lange innere Wandlung notwendig, die durch den Schmelztiegel des Leidens dazu führt, dass man in der Stille, das heißt mit vertrauensvoller Geduld, mit sanftem Herzen warten kann. Diese Geduld ist keine Resignation, denn sie wird von der Erwartung des Herrn genährt, dessen Kommen gewiss ist und der nicht enttäuscht.
Liebe Brüder und Schwestern, wie wichtig ist es, die Kunst des Wartens auf den Herrn zu lernen! Sanftmütig und zuversichtlich auf ihn zu warten, üble Geister, Fanatismus und Geschrei zu verjagen und besonders in Zeiten der Prüfung hoffnungsvolle Stille zu bewahren. So bereiten wir uns auf die letzte und größte Prüfung des Lebens vor, den Tod. Aber zuerst sind da die Prüfungen des Augenblicks: Da ist das Kreuz, das wir jetzt haben. Wir bitten den Herrn um die Gnade, dass wir dort, genau dort, auf die kommende Erlösung warten können.
Jeder von uns muss in dieser Hinsicht reifen. Angesichts der Schwierigkeiten und Probleme des Lebens ist es schwierig, geduldig und gelassen zu sein. Es kommt zu Irritationen und oft auch zu Verzagtheit. So kann es passieren, dass wir immer mehr zu Pessimismus und Resignation neigen, dass wir alles schwarz sehen, dass wir uns an Töne des Trotzes und der Klage gewöhnen, ähnlich denen des heiligen Autors, der am Anfang seines Buches sagt: „Dahin ist mein Glanz und dahin mein Vertrauen auf den Herrn“ (vgl. V. 18). In der Prüfung können uns nicht einmal die schönen Erinnerungen an die Vergangenheit trösten, denn der Kummer bringt den Geist dazu, bei den schwierigen Momenten zu verweilen. Und das erhöht die Bitterkeit. Es scheint dann so, als wäre das Leben eine ununterbrochene Kette von Unglücksfällen, wie der Autor zugibt: „An meine Not und Unrast denken ist Wermut und Gift“ (V. 19).
An diesem Punkt jedoch vollzieht der Herr eine Wende, und zwar genau in dem Moment, in dem wir, auch wenn wir weiter mit ihm im Gespräch sind, den Eindruck haben, dass wir am Tiefpunkt angelangt sind. Im Abgrund, in der Angst vor der Sinnlosigkeit, kommt Gott, um zu retten: in diesem Moment. Und wenn die Bitterkeit ihren Höhepunkt erreicht, keimt plötzlich wieder Hoffnung auf. Es ist hässlich, hässlich, alt zu werden mit einem bitteren Herzen, mit einem enttäuschten Herzen, mit einem Herzen, das neue Dinge kritisiert: das ist sehr hart. „Das will ich mir zu Herzen nehmen“, sagt der Beter im Buch der Klagelieder, „darauf darf ich harren“ (V. 21). Hoffnung schöpfen im Moment der Bitternis. Diejenigen, die sich an den Herrn klammern, sehen inmitten des Schmerzes, dass er das Leiden sozusagen öffnet und es in eine Tür verwandelt, durch die die Hoffnung eintritt. Das ist eine österliche Erfahrung – ein schmerzhafter Übergang, der zum Leben führt, eine Art geistige Arbeit, die uns in der Dunkelheit wieder ans Licht bringt.
Dieser Wendepunkt tritt nicht ein, weil die Probleme verschwunden wären, sondern weil die Krise zu einer geheimnisvollen Gelegenheit zur inneren Reinigung geworden ist. Wohlstand macht uns nämlich oft blind, oberflächlich und stolz. Andererseits lässt uns der Durchgang durch die Prüfung, wenn er in der Wärme des Glaubens gelebt wird, trotz seiner Härte und Tränen neue Menschen werden, und wir finden uns anders wieder als in der Vergangenheit. Ein Kirchenvater schrieb, dass „nichts mehr als das Leiden zur Entdeckung des Neuen führt“ (Gregor von Nazareth, Ep. 34). Prüfungen erneuern uns, denn sie entfernen viele Schlacken und lehren uns, hinter die Dunkelheit zu blicken und mit eigenen Händen zu sehen, dass der Herr wirklich rettet und die Macht hat, alles zu verwandeln, sogar den Tod. Er lässt uns durch Engpässe gehen - nicht um uns im Stich zu lassen, sondern um uns zu begleiten. Ja, denn Gott begleitet uns vor allem in unserem Schmerz, wie ein Vater, der seinem Sohn hilft, gut aufzuwachsen, indem er ihm in seinen Schwierigkeiten nahe ist, ohne jedoch seinen Platz einzunehmen. Bevor wir weinen, hat die Ergriffenheit schon die Augen Gottes, des Vaters, gerötet. Er weint zuerst, erlaube ich mir zu sagen. Die Trauer bleibt ein Geheimnis, aber in diesem Geheimnis können wir auf neue Weise das Vatersein Gottes entdecken, der uns in der Prüfung beisteht, und mit dem Autor der Klagelieder sagen: „Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft“ (V. 5).
Heute, vor dem Geheimnis des erlösten Todes, bitten wir um die Gnade, das Unglück mit anderen Augen zu sehen. Wir bitten um die Kraft, in der sanften und vertrauensvollen Stille zu leben, die das Heil des Herrn erwartet, ohne zu klagen und ohne zu murren, ohne traurig zu werden. Was wie eine Strafe aussieht, wird sich als Gnade erweisen, als neuer Beweis der Liebe Gottes zu uns. Es ist eine Kunst, in der Stille auf die Rettung des Herrn warten zu können, ohne Geschwätz: in der Stille, das ist auf der Straße der Heiligkeit. Lasst uns das pflegen. Sie ist kostbar in der Zeit, in der wir leben: Mehr denn je ist es nicht nötig, zu schreien und Aufsehen zu erregen, bitter zu werden, sondern jeder von uns sollte mit seinem Leben Zeugnis für seinen Glauben ablegen, der eine sanfte und hoffnungsvolle Erwartung ist. Das ist der Glaube: demütiges und hoffnungsvolles Warten. Christen machen die Schwere des Leidens nicht klein, sondern richten ihre Augen auf den Herrn, vertrauen ihm unter den Schlägen der Prüfung und beten: sie beten für die Leidenden. Ein Christ blickt zum Himmel, aber seine Hände sind immer zur Erde ausgestreckt, um seinem Nächsten konkret zu dienen. Auch im Moment der Traurigkeit, des Dunkels, der Dienst.
In diesem Geist beten wir für die Kardinäle und Bischöfe, die uns im vergangenen Jahr verlassen haben. Einige von ihnen starben an den Folgen von Covid-19, unter schwierigen Umständen, die ihr Leiden noch verstärkten. Mögen diese unsere Brüder nun die Freude der Einladung des Evangeliums genießen, die der Herr an seine treuen Diener richtet: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist“ (Mt 25,34).
(vatican news – sk)
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