Via Crucis: Unter dem Kreuz der heutigen Tage und aller Zeiten
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Fackeln, Kerzen, Passionsgesänge und an die 10.000 Mitbetende: Es war eine „Via Crucis“ fast wie vor der Corona-Pandemie, die an diesem Karfreitagabend am Kolosseum unter Vorsitz von Papst Franziskus gebetet wurde. Die erste in dieser Form seit 2019: In den vergangenen beiden Jahren fand die „Via Crucis“ wegen der Gegebenheiten der Corona-Pandemie auf dem Petersplatz und fast ohne Volk statt.
Im Jahr der Familie, das Franziskus für die Weltkirche ausgerufen hat, lud der Papst 15 Familien dazu ein, die 14 Kreuzwegmeditationen zu verfassen. Die Texte bildeten ein breites Spektrum ab. Zum Zug kamen – eine Station nach der anderen - ein junges Ehepaar, eine Familie in Mission, ein älteres Ehepaar ohne Kinder, eine Großfamilie, eine Familie mit einem behinderten Kind, eine andere, die eine Wohngruppe leitet, eine Familie mit einem kranken Elternteil, ein Großelternpaar, eine Familie mit adoptierten Kindern, eine Witwe mit Kindern, eine Familie mit einem Sohn, der Priester ist und eine andere, die eine Tochter verloren hat. Die 13. Station – Jesus stirbt am Kreuz – war zwei Familien anvertraut: einer aus der Ukraine und einer aus Russland. Die letzte Station schließlich übernahm eine Migrantenfamilie. Sie alle stellten ihre Ängste und ihre Hoffnungen unter das Kreuz der heutigen Tage und aller Zeiten.
Vatikan ersetzt Meditationstext der 13. Station
„Im Angesicht des Todes sagt Stille mehr als Worte. Halten wir also in betender Stille inne und beten wir alle in unserem Herzen für den Frieden in der Welt", hieß es kurz und bündig an der 13. Station, jener, die auf den Krieg gegen die Ukraine verweist. Der Vatikan hatte die ursprünglich hier vorgesehene Meditation kurz vor Beginn des Kreuzwegs durch den letztendlich verlesenen Kurztext ersetzt. Wie vorgesehen, trugen aber die beiden Frauen aus Russland und der Ukraine gemeinsam das Kreuz.
Dieser Sachverhalt sowie auch die ursprünglich vorgesehene Meditation waren in der Ukraine teils auf Unverständnis gestoßen, was wiederum im Vatikan für Bestürzung sorgte. Im Christentum steht das Kreuz für die Überwindung von Spaltung und Hass und für die gemeinsame Erlösung. Kiews Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk hatte den Meditationstext als wenig religiös kritisiert, einige Stellen darin könnten für Menschen in der Ukraine sogar beleidigend klingen, so der griechisch-katholische Großerzbischof.
Von Kindersitzen und Kreidetafeln
Hoffnung sprach aus allen 14 Kreuzweg-Meditationen. „Die Liebe wird real, weil wir in unseren Abgründen und unseren Schwierigkeiten nicht allein gelassen werden“, hieß es in der Meditation einer Familienmutter, die erst den Ehemann und dann die jüngste Tochter verloren hat. Das Großelternpaar, das vor zwei Jahren in den Ruhestand ging, den Schwiegersohn in die Corona-Arbeitslosigkeit und die Tochter in die Scheidung gehen sah und auf einmal fünf Enkelkinder im Haus hatte, schrieb in seiner Meditation auch ganz konkret vom neuen Kindersitz und der Kreidetafel, die angeschafft wurde, damit Oma und Opa keinen Termin vergessen. „Unser Schritt wird oft langsam und nachts, nach all dem Lächeln, weinen wir vor Mitleid. Aber ,Sauerstoff‘ für die Familien unserer Kinder zu sein, ist ein Geschenk, das uns an die Gefühle erinnert, die wir empfanden, als sie noch klein waren. Man hört nie auf, Mama und Papa zu sein.“
Die Eltern mit dem Sohn, der Priester wurde, führten an der elften Station „Jesus verspricht dem guten Schächer das Himmelreich“ auf den Golgota. Sie waren anfangs nicht glücklich über die Berufung ihres Sohnes. „Wir waren gegen ihn. Wir haben ihn im Stich gelassen. Wir dachten, dass unsere Kälte ihn dazu bringen würde, seinen Schritt zu überdenken.“ Sie seien sich irgendwann vorgekommen wie die beiden Verbrecher auf den Kreuzen links und rechts von Jesus. „Aber wir haben verstanden, dass man nicht gegen Dich kämpfen kann“, hieß es in der Meditation weiter. „Wir sind ein Krug und Du bist das Meer. Wir sind ein Funke und Du bist das Feuer. Und so bitten wir dich, wie der gute Schächer, dass du an uns denkst, wenn du in dein Reich kommst.“
„Unterwegs haben wir Frauen und Kinder, Freunde, Brüder und Schwestern sterben gesehen. Wir sind hier als Überlebende“, hieß es in der Meditation der Migrantenfamilie für die letzte Station, die der Grablege Jesu. „Wir werden als Belastung empfunden. Doch wir sind Menschen", so das aus dem Kongo stammende Ehepaar, das zwei kleine Söhne hat. „Wir sind wegen unserer Kinder hier. Wir sterben jeden Tag für sie, damit sie hier versuchen können, ein normales Leben zu führen, ohne Bomben, ohne Blut, ohne Verfolgung… Wenn wir nicht resignieren, dann deshalb, weil wir wissen, dass der große Stein vor der Tür des Grabes eines Tages weggerollt werden wird."
In der Weltkirche läuft derzeit das Jahr der Familie. Franziskus hat vergangenes Jahr auch den Welttag der Senioren und Großeltern in den kirchlichen Kalender eingefügt. Das nächste Weltfamilientreffen findet in Rom am von 22. bis 26. Juni statt, der zweite Welttag der Großeltern wird jeweils am vierten Sonntag im Juli gefeiert.
Der Kreuzweg als Andachtsform entstand in Jerusalem. Bereits die frühen Christen suchten die Orte der Passion Christi auf, um dort zu beten, sich das Leiden und Sterben des Herrn zu vergegenwärtigen und die Hoffnung auf die Auferstehung zu bezeugen. Die Andachtsform der „Via Crucis“ wurde von Franziskanern den ab dem 14. Jahrhundert nach und nach in der ganzen Welt verbreitet. Besonders in den Kartagen beten Gläubige auf aller Welt den Kreuzweg.
(vatican news)
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