Papst Franziskus: Ein „Schrei nach Frieden“
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Das sagte er an diesem Dienstag Abend bei einem Friedenstreffen am römischen Kolosseum – dort, wo er sonst in der Nacht des Karfreitag jedes Jahr den Kreuzweg betet. Umgeben von Spitzenvertretern aus Religion, Politik und Gesellschaft formulierte der Papst einen „Schrei nach Frieden“: „Er verfügt über keine Zauberformeln, um aus Konflikten herauszukommen, aber er hat das heilige Recht, im Namen des Leids um Frieden zu bitten, und er verdient es, gehört zu werden“.
Das Friedenstreffen, an dem der Papst teilnahm, wurde von der römischen Basisgemeinschaft Sant’Egidio ausgerichtet, der – wie manche sie ihres Friedensengagements wegen nennen – „UNO von Trastevere“. Sie lädt jährlich zu Welttreffen der Kirchen und Religionen für den Frieden ein – im Geist des Treffens, das der hl. Johannes Paul II. erstmals 1986 in Assisi, der Stadt des hl. Franz, organisierte. An vielen der Sant’Egidio-Friedenstreffen hat Papst Franziskus teilgenommen - auch letztes Jahr. Damals gehörte am Kolosseum auch die damals scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu den Gästen.
Ukraine-Krieg: Der Elefant im Raum
Klänge von Ennio Morricone aus dem preisgekrönten Film „The Mission“ (mit Jeremy Irons und Robert de Niro) ertönten, als der Papst am Kolosseum eintraf. Die Italiener können Drama, das zeigte sich hier mal wieder. „Herr, höre das Gebet der Armen, der Schwachen, der Verwundeten, der Flüchtlinge, die um Frieden flehen“, beteten die Vertreter christlicher Kirchen und Gruppen, unter ihnen mehrere orthodoxe Bischöfe (aber in der ersten Reihe keiner von der russisch-orthodoxen Kirche). Es hat sich so eingebürgert, dass die einzelnen Religionen bei diesen Weltfriedenstreffen getrennt voneinander beten, um den Anschein eines religiösen Einheitsbreis zu vermeiden.
„Die Welt hat sich in den letzten 36 Jahren verändert“, so sprach Sant’Egidio-Chef Marco Impagliazzo mit einem Blick auf die Geschichte der Weltfriedenstreffen das Offensichtliche aus. „Den Kalten Krieg gibt es nicht mehr; Johannes Paul II. sagte deswegen nach 1989 ‚Wir haben in Assisi nicht umsonst gebetet‘… Das Verständnis und die Freundschaft zwischen den Religionen sind gewachsen – stärker als die Freundschaft unter den Nationen.“ Da war er, der Elefant im Raum – der Ukraine-Krieg.
Aus der Hölle entkommen
Wobei sich die Teilnehmer Mühe gaben, nicht nur an das Schlachten im Donbass zu erinnern, sondern auch an die vielen anderen Kriege, Konflikte und menschenrechtlichen Brandherde in verschiedenen Teilen der Welt. Nur Impagliazzo erwähnte den Ukraine-Krieg namentlich, auch in einer Fürbitte kam er vor. Vor allem aber sprach eine Argentinierin über ihren Kampf gegen Menschenhandel; und eine Nigerianerin, die sechs Jahre als Flüchtling in Libyen verbracht hatte, berichtete von einer „echten Hölle“, die sie dort durchlebte - bis es ihr gelang, durch einen ‚humanitären Korridor‘ nach Italien zu kommen.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich gefreut habe, als sie mich in Libyen anriefen, um mir mitzuteilen, dass ich abreisen durfte – es war, als ob sich die Tür der Hölle geöffnet hätte… Bitte retten Sie weiterhin so viele Menschen wie möglich!“
„Der Friede steht im Mittelpunkt der Religionen, in ihren Schriften und in ihrer Botschaft“: Das sagte Franziskus in seiner Ansprache. „In der Stille des Gebets haben wir heute Abend den Ruf nach Frieden gehört: Frieden, der in so vielen Regionen der Welt erstickt wird… Der Schrei nach Frieden wird oft nicht nur durch Kriegsrhetorik, sondern auch durch Gleichgültigkeit zum Schweigen gebracht. Er wird durch Hass zum Schweigen gebracht, der wächst, während man einander bekämpft.“
Das klang fast wie eine verhüllte Rechtfertigung dafür, dass der Papst sich im Ukraine-Krieg für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen einsetzt. Mit dieser Haltung macht er sich nicht nur Freunde – oder die falschen Freunde. „Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat, er ist ein Versagen der Politik und der Menschheit“, zitierte Franziskus aus seiner letzten Enzyklika Fratelli tutti. „Heute geschieht das, was wir befürchtet haben und nie für möglich gehalten hätten: dass der Einsatz von Atomwaffen, die schuldhafterweise auch nach Hiroshima und Nagasaki weiter produziert und getestet wurden, nun offen angedroht wird.“
„Lassen wir uns nicht von der perversen Logik des Krieges anstecken“
Der Appell des Papstes: „Lassen wir uns nicht von der perversen Logik des Krieges anstecken; tappen wir nicht in die Falle des Hasses auf den Feind… Resignieren wir nicht angesichts des Krieges, sondern säen wir die Saat der Versöhnung!“
Ukraine wird im Friedensappell nicht erwähnt
Das Wort Ukraine (oder auch: Russland) sprach Franziskus an diesem römischen Abend am Kolosseum nicht aus. Es kommt auch nicht im „Friedensappell von Rom“ vor, der zum Abschluss des Weltfriedenstreffens feierlich verlesen wurde und der – wie der Papst – das Gespenst einer nuklearen Auseinandersetzung heraufbeschwor. „Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende machen, sonst macht der Krieg der Menschheit ein Ende“, heißt es in dem Text, den eine aus Syrien geflohene Studentin vortrug, bündig.
Die Holocaust-Überlebende Edith Bruck, die in Rom wohnt und die der Papst auch schon in ihrer Wohnung besucht hat, überreichte den Appell symbolträchtig an einige junge Leute. Franziskus und weitere Religionsvertreter (etwa der römische Oberrabbiner Riccardo di Segni oder der Deutsche Frère Alois, Leiter der Ökumenischen Gemeinschaft von Taizé) unterzeichneten den Appell feierlich – und dazu kam natürlich wieder Musik von Ennio Morricone aus den Lautsprechern. Wie gesagt: Drama können sie, die Italiener…
(vatican news)
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