Wortlaut: Predigt des Papstes in der Christmette
Was sagt diese Nacht unserem Leben noch? Nach zwei Jahrtausenden seit der Geburt Jesu, nach vielen Weihnachtsfesten inmitten von Schmuck und Geschenken, nach so viel Konsum, der das Geheimnis, das wir feiern, verhüllt hat, besteht die Gefahr, dass wir viel über Weihnachten wissen, aber die Bedeutung dieses Festes vergessen. Wie können wir also den Sinn von Weihnachten wiederfinden? Und vor allem: Wo kann man danach suchen? Das Evangelium von der Geburt Jesu scheint genau dafür geschrieben worden zu sein: um uns bei der Hand zu nehmen und uns wieder dorthin zu führen, wo Gott uns haben will.
Es beginnt mit einer Situation, die der unseren ähnlich ist: Alle sind mit einem wichtigen Ereignis beschäftigt, der großen Volkszählung, die viel Vorbereitung erforderte. In diesem Sinne war die Atmosphäre damals ähnlich wie die, die uns heute zu Weihnachten umgibt. Doch von diesem weltlichen Geschehen entfernt sich die Erzählung des Evangeliums, alsbald löst sie sich von dieser Perspektive, um eine andere Realität in den Blick zu nehmen, die ihr eigentliches Anliegen ist. Sie konzentriert sich auf einen kleinen, scheinbar unbedeutenden Gegenstand, der dreimal erwähnt wird und um den herum sich die Protagonisten der Geschichte versammeln: zuerst Maria, die Jesus »in eine Krippe« legt (Lk 2,7); dann die Engel, die den Hirten ankündigen, das sie »ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt« (V. 12); und schließlich die Hirten, die »das Kind, das in der Krippe lag« finden (V. 16). Die Krippe: Um den Sinn von Weihnachten wiederzuentdecken, muss man dort suchen. Aber warum ist die Krippe so wichtig? Weil sie das nicht zufällige Zeichen ist, mit dem Christus die Weltbühne betritt. Sie ist das Manifest, mit dem er sich präsentiert, die Art und Weise, wie Gott in die Geschichte hineingeboren wird, um die Geschichte wieder neu aufleben zu lassen. Was will er uns also durch die Krippe mitteilen? Mindestens drei Dinge: Nähe, Armut und Konkretheit.
1. Nähe. Die Krippe dient dazu, das Essen nahe an den Mund zu bringen und es schneller verzehren zu können. Sie kann somit einen Aspekt des Menschseins symbolisieren: die Unersättlichkeit im Konsumieren. Denn während die Tiere im Stall Nahrung zu sich nehmen, verzehren die macht- und geldhungrigen Menschen in der Welt sogar ihre Nächsten, ihre Brüder und Schwestern. Wie viele Kriege gibt es! Und an wie vielen Orten werden auch heute noch Würde und Freiheit mit Füßen getreten! Und die Hauptleidtragenden der menschlichen Gier sind immer die Schwachen, die Armen. Auch dieses Weihnachten macht eine Menschheit, die unersättlich nach Geld, Macht und Vergnügen strebt, keinen Platz für die Kleinen, für die vielen ungeborenen, armen, vergessenen Menschen, so wie es bei Jesus auch war (vgl. V. 7). Ich denke dabei besonders an die Kinder, die von Krieg, Armut und Ungerechtigkeit verschlungen werden. Aber Jesus kommt genau dorthin, als Neugeborener in die Krippe der Ausgrenzung und Ablehnung. In ihm, dem Kind von Betlehem, ist jedes Kind repräsentiert. Und es lädt uns ein, das Leben, die Politik und die Geschichte mit den Augen der Kinder zu betrachten.
In die Krippe der Ablehnung und Unwirtlichkeit legt sich Gott hinein. Er kommt dorthin, weil dort das Problem der Menschheit liegt, die Gleichgültigkeit, die durch das unersättliche Verlangen nach Besitz und Konsum entsteht. Dort wird Christus geboren, und in dieser Krippe entdecken wir seine Nähe. Er kommt an diese Futterstelle, um uns zur Speise zu werden. Gott ist kein Vater, der seine Kinder verschlingt, sondern der Vater, der uns durch Jesus zu seinen Kindern macht und uns zärtlich nährt. Er kommt, um unsere Herzen zu berühren und uns zu sagen, dass die einzige Kraft, die den Lauf der Geschichte verändert, die Liebe ist. Er bleibt nicht fern und mächtig, sondern kommt uns demütig ganz nah; er, der im Himmel thronte, lässt sich in eine Krippe legen.
Lieber Bruder, liebe Schwester, heute Nacht kommt Gott dir nahe, weil du ihm wichtig bist. Von der Krippe aus, als Nahrung für dein Leben, sagt er dir: „Wenn du dich von den Ereignissen aufgezehrt fühlst, wenn dein Schuldgefühl und deine Unzulänglichkeit dich auffressen, wenn du nach Gerechtigkeit hungerst, bin ich, Gott, bei dir. Ich weiß, was du erlebst, ich habe es in dieser Krippe selbst erfahren. Ich kenne dein Elend und deine Geschichte. Ich wurde geboren, um dir zu sagen, dass ich bei dir bin und immer bei dir sein werde“. Die Weihnachtskrippe, diese erste Botschaft des kindlichen Gottes, sagt uns, dass er bei uns ist, uns liebt und uns sucht. Nur Mut, lass dich nicht von Angst, Resignation und Verzweiflung überwältigen. Gott wird in einer Krippe geboren, damit du eben dort neu geboren wirst, da wo du meintest, den Tiefpunkt erreicht zu haben. Es gibt kein Übel, keine Sünde, aus der Jesus dich nicht retten will und kann. Weihnachten bedeutet, dass Gott nahe ist: möge das Vertrauen wieder neu aufleben!
2. Die Krippe von Betlehem spricht zu uns nicht nur von Nähe, sondern auch von Armut. Um eine Krippe herum gibt es in der Tat nicht viel: Stroh, ein paar Tiere und wenig anderes. Die Menschen hielten sich im Warmen auf, in den Herbergen, nicht im kalten Stall solch einer Unterkunft. Doch Jesus wird dort geboren, und die Krippe erinnert uns daran, dass er nichts sonst um sich hatte als diejenigen, die ihn liebten: Maria, Josef und die Hirten; alles arme Leute, die ihre Zuneigung und ihr Staunen verband und nicht ihr Reichtum und große Möglichkeiten. Die arme Krippe lässt also den wahren Reichtum des Lebens ans Licht kommen: nicht Geld und Macht, sondern Beziehungen und Personen.
Und die erste Person, der erste Reichtum, ist Jesus. Aber wollen wir an seiner Seite stehen? Nähern wir uns ihm, lieben wir seine Armut? Oder ziehen wir es vor, bequem in unseren eigenen Interessen zu verharren? Und vor allem: besuchen wir ihn dort, wo er sich befindet, nämlich in den armen Krippen unserer Welt? Dort ist er gegenwärtig. Und wir sind aufgerufen, eine Kirche zu sein, die den armen Jesus anbetet und Jesus in den Armen dient. Wie ein heiliger Bischof sagte: »Die Kirche unterstützt und segnet die Bemühungen, die ungerechten Strukturen zu verändern, und stellt nur eine Bedingung: dass die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen wirklich den Armen zugutekommen« (O.A. ROMERO, Hirtenwort zum neuen Jahr, 1. Januar 1980). Natürlich ist es nicht leicht, die angenehme Wärme der Weltlichkeit zu verlassen um sich auf die karge Schönheit der Grotte von Betlehem einzulassen, doch wir sollten uns daran erinnern, dass es ohne die Armen kein richtiges Weihnachten gibt. Auch ohne sie feiert man Weihnachten, aber nicht das Weihnachten Jesu. Brüder, Schwestern, an Weihnachten ist Gott arm: möge die Nächstenliebe wieder neu aufblühen!
3. Damit kommen wir zum letzten Punkt: Die Krippe spricht zu uns von Konkretheit. Ein Neugeborenes in einer Krippe ist in der Tat eine Vorstellung, die betroffen macht, die fast grausam ist. Sie erinnert uns daran, dass Gott tatsächlich Fleisch geworden ist. Und so reichen Theorien, schöne Gedanken und fromme Gefühle in Bezug auf ihn nicht mehr aus. Jesus, der arm zur Welt kommt, der arm gelebt hat und arm gestorben ist, hat keine großen Reden über Armut gehalten, sondern hat sie bis ins Letzte für uns gelebt. Von der Krippe bis zum Kreuz war seine Liebe zu uns greifbar, konkret. Von der Geburt bis zum Tod nahm der Zimmermannssohn die Rauheit des Holzes, die Widrigkeiten unseres Lebens an. Er hat uns nicht mit Worten geliebt, er hat uns nicht zum Spaß geliebt!
Deshalb begnügt er sich nicht mit dem äußeren Anschein. Er, der Fleisch geworden ist, will nicht nur gute Vorsätze. Er, der in der Krippe geboren wurde, will einen konkreten Glauben, der aus Anbetung und Nächstenliebe besteht, nicht aus Geschwätz und Äußerlichkeiten. Er, der nackt in der Krippe liegt und nackt am Kreuz hängen wird, verlangt von uns Wahrheit, er will, dass wir die nackte Wirklichkeit der Dinge suchen und dass wir Ausreden, Rechtfertigungen und Heucheleien vor der Krippe ablegen. Er, der von Maria liebevoll in Windeln gewickelt wurde, möchte, dass wir uns mit Liebe bekleiden. Gott will nicht den Schein, sondern das Konkrete. Lassen wir dieses Weihnachten nicht verstreichen, ohne etwas Gutes zu tun. Da es sein Festtag, sein Geburtstag ist, sollten wir ihm Geschenke machen, die ihm gefallen! An Weihnachten ist Gott konkret: sorgen wir in seinem Namen dafür, dass in denen, die ihre Hoffnung verloren haben, wieder ein wenig Hoffnung auflebt!
Jesus, wir schauen auf Dich, der du in der Krippe liegst. Wir sehen Dich so nah, für immer nahe bei uns: Danke, Herr. Wir sehen Dich arm und du lehrst uns, dass der wahre Reichtum nicht in den Dingen liegt, sondern in den Menschen, besonders in den Armen: Vergib uns, wenn wir Dich in ihnen nicht erkannt und dir nicht in ihnen gedient haben. Wir sehen dich konkret, denn konkret ist deine Liebe zu uns: Hilf uns, unseren Glauben konkret zu leben. Amen.
(vaticannews - skr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.