Anhänger Erdogans feiern den guten Wahlausgang (Archivbild vom 15.5.2023, erster Wahlgang) Anhänger Erdogans feiern den guten Wahlausgang (Archivbild vom 15.5.2023, erster Wahlgang) 

Türkei: Bischof ruft Erdogan zu Zusammenarbeit mit allen Kräften

Dass Recep Tayyib Erdogan die Präsidentenwahlen in der Türkei letztlich mit einem Stimmenunterschied von rund Millionen Stimmen gewonnen habe, zeige die Unzulänglichkeit westlicher Analysen, so Bischof Paolo Bizzeti, Apostolischer Vikar in Anatolien, nach den Wahlen. „Die katholische Kirche hatte nie Schwierigkeiten mit der Regierung Erdogan“, so der italienische Geistliche gegenüber den katholischen Agenturen Sir und Fides.

In der Stichwahl vom Sonntag erhielt Präsident Erdogan 52,16 Prozent der Stimmen, während sein Rivale Kemal Kılıçdaroğlu auf 47,84 Prozent. In den Monaten zuvor hatten Umfragen und Analysen in den westlichen Medien nahegelegt, dass das Ende von Erdogans langer Amtszeit im Raum stehen könnte. „Die mangelnde Kenntnis des wirklichen Landes“, so Bischof Bizzeti in einem Gespräch mit der Agentur Fides, „führt zu einer gewissen Oberflächlichkeit in der Art, wie man die Türkei versteht, und dann ist man überrascht... Der Sieg Erdogans war vorhersehbar, und es ist nicht zu der von einigen vorhergesagten Umkehrung der Situation gekommen. Das liegt daran, dass wir auf bestimmte Aspekte fixiert sind, die wir für so wichtig halten, während es andere gibt, die für das türkische Volk eindeutig wichtiger sind und die wir unterschätzen.“

Internationale Bedeutung für die Türkei

Unter diesen zu berücksichtigenden Faktoren hebt der Apostolische Vikar von Anatolien „die Bedeutung hervor, die die Türkei mit der Regierung Erdogan auf der internationalen Bühne erlangt hat, eine Tatsache, die für die Türken wichtig ist. Die Regierung Erdogan wird von Europa und den Vereinigten Staaten, von Putin und den Golfmonarchien als geopolitischer Akteur anerkannt, und zwar aus unterschiedlichen, manchmal sogar gegensätzlichen Gründen. Es handelt sich also um eine Führungspersönlichkeit, die fest im Sattel sitzt und auf internationale Anerkennung zählen kann. Diejenigen, die ihn als isolierten Diktator darstellen, der Alleingänge unternimmt, geben ein falsches Bild der Realität wieder. Erdogan ist gewählter und hat internationale Unterstützung. Und das sollte man berücksichtigen, denn die türkische Öffentlichkeit berücksichtigt dies.“ Unterstützung dürfte dabei auch die Tatsache geliefert haben, dass die sozialen Kommunikationsmittel zu großen Teilen „in der Hand der Regierung“ seien, wie Bizzeti bemerkt.

„Diejenigen, die ihn als isolierten Diktator darstellen, der Alleingänge unternimmt, geben ein falsches Bild der Realität wieder“

Erdogan setzte sich mit rund 2 Millionen Stimmen Unterschied gegen seinen Herausforderer durch, was ihm eine weitere Amtszeit von fünf Jahren garantiert. Dies deute allerdings auf ein Schisma in der Bevölkerung hin, denn praktisch die Hälfte habe somit gegen Erdogan gestimmt, gibt der Apostolische Vikar zu bedenken.

In den letzten Wochen hatte Kemal Kılıçdaroğlu in seinem Wahlkampf einen nationalistischen und einwanderungsfeindlichen Kurs eingeschlagen und die Ausweisung und Zwangsrückführung der Millionen syrischer Flüchtlinge versprochen, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben. „Der Oppositionskandidat“, so Bischof Bizzeti, „wollte Erdogan auf dessen Terrain Konkurrenz machen, und das war keine sehr glaubwürdige Wahl. Die Opposition hatte nicht den Mut, für etwas wirklich anderes zu stehen. Das erklärt zum Teil auch das Ergebnis: Wenn die Argumente auf beiden Seiten mehr oder weniger die gleichen sind, entscheiden sich die Menschen dafür, den Mann an der Macht zu lassen, den sie bereits kennen.“

„Wenn die Argumente auf beiden Seiten mehr oder weniger die gleichen sind, entscheiden sich die Menschen dafür, den Mann an der Macht zu lassen, den sie bereits kennen“

Die christlichen Gemeinschaften in der Türkei stünden dem Wahlergebnis recht gleichmütig gegenüber, lässt Bischof Bizzeti durchblicken: „Ehrlich gesagt, hatte die katholische Kirche nie Schwierigkeiten mit der Regierung Erdogan. Es gibt Fragen, die immer ungelöst waren, wie die Rechtspersönlichkeit der katholischen Kirche. Aber das sind Probleme, die sich aus dem Vertrag von Lausanne ergeben, und sicher nicht aus der Regierung der AKP, der Partei Erdogans.“

Zu den Herausforderungen, denen sich die alte und neue Regierung gegenübersehe, zählte sicherlich die Bewältigung der Schäden des schweren Erdbebens, das die Türkei und Syrien am 6. Februar heimgesucht hatte. Dabei könne sie auch auf die Caritas des Landes zählen, so Bizzeti, der Präsident von Caritas Türkei ist.

„Ich wünsche ihm (Erdogan, Anm.), dass er eine Politik der Zusammenarbeit mit allen politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Kräften im Land weiter verstärkt. Die Türkei ist ein Land, das reich an vielen Ressourcen und Verschiedenheiten ist, die ein Reichtum sind, den es zu heben und nicht zu vernachlässigen gilt.”

(sir/fides – cs)

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29. Mai 2023, 13:39