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Generalaudienz: Die Papst-Rede im vollen Wortlaut

Radio Vatikan/Vaticannews dokumentiert an dieser Stelle in einer Arbeitsübersetzung die Katechese des Heiligen Vaters bei der Generalaudienz an diesem Mittwoch. Die amtliche Version finden Sie wie immer in Kürze auf vatican.va. Wegen seiner Grippe-Erkrankung verlas ein Mitarbeiter des Staatssekretariats die Rede anstelle des danebensitzenden Papstes.

Liebe Brüder und Schwestern,

die letzten Male haben wir darüber nachgedacht, dass die christliche Botschaft Freude ist und für alle da ist. Sehen wir uns heute einen dritten Aspekt an: Sie ist für heute.

Wir hören fast immer schlechte Dinge über den heutigen Tag. Natürlich gibt es zwischen Kriegen, Klimawandel, Ungerechtigkeiten und Migrationen auf der Erde, Familien- und Hoffnungskrisen keinen Mangel an Gründen zur Besorgnis. Generell scheint es heute eine Kultur zu geben, die den Menschen über alles und die Technologie in den Mittelpunkt stellt, mit ihrer Fähigkeit, viele Probleme zu lösen und in vielen Bereichen gigantische Fortschritte zu erzielen. Doch zugleich führt diese Kultur des technisch-individuellen Fortschritts zur Verfestigung einer Freiheit, die keine Grenzen setzen will und gegenüber den Zurückgebliebenen gleichgültig erscheint. Und so liefert sie die großen menschlichen Bestrebungen der oft unersättlichen Logik der Wirtschaft aus.

„Städte, die horizontal bleiben - trotz der Wolkenkratzer“

Diese aber hat eine Vision des Lebens, die diejenigen ausschließt, die nichts produzieren, und sie hat Mühe, über das Immanente hinauszuschauen. Wir könnten sogar sagen, dass wir uns in der ersten Zivilisation der Geschichte befinden, die weltweit versucht, eine menschliche Gesellschaft ohne die Gegenwart Gottes zu organisieren, und sich dabei auf riesige Städte konzentriert, die horizontal bleiben, auch wenn sie schwindelerregende Wolkenkratzer haben.

Mir kommt die Geschichte der Stadt Babel und ihres Turms in den Sinn (siehe Gen 11,1-9). Sie erzählt von einem gemeinsamen Projekt, bei dem jede Individualität der Effizienz der Gemeinschaft geopfert wird. Die Menschheit spricht nur eine Sprache – man könnte sagen, sie hat einen „einzigen Gedanken“ –, es ist, als wäre sie in eine Art allgemeinen Bann gehüllt, der die Einzigartigkeit jedes Menschen in einer Blase der Einheitlichkeit aufnimmt. Dann verwirrt Gott die Sprachen. Das heißt, er stellt die Unterschiede wieder her, er schafft die Bedingungen für die Entwicklung der Einzigartigkeit neu, er belebt die Vielfalt dort wieder, wo die Ideologie das Einzige durchsetzen möchte. Der Herr führt die Menschheit auch aus ihrem Allmachtswahn: „Machen wir uns einen Namen“, sagen die erhabenen Bewohner Babels (V. 4), die in den Himmel und sich an die Stelle Gottes setzen wollen. Doch das sind gefährliche, entfremdende Ambitionen, sie sind destruktiv, und der Herr, der diese Erwartungen zunichtemacht, beschützt die Menschen und verhindert eine absehbare Katastrophe. Diese Geschichte scheint wirklich aktuell zu sein: Auch heute basiert Zusammenhalt oft nicht auf Geschwisterlichkeit und Frieden, sondern eher auf Ehrgeiz, auf Nationalismus, auf Standardisierung, auf technisch-wirtschaftlichen Strukturen, die die Überzeugung einprägen, dass Gott unbedeutend und nutzlos ist: Nicht so sehr, weil wir nach mehr Wissen streben, sondern vor allem nach mehr Macht. Es ist eine Versuchung, die die großen Herausforderungen der heutigen Kultur prägt.

„Dorthin gelangen, wo neue Geschichten und Paradigmen entstehen“

In Evangelii Gaudium habe ich versucht, einige dieser Herausforderungen zu beschreiben (siehe Nr. 52-75). Aber vor allem habe ich „eine Evangelisierung gefordert, die die neuen Formen der Beziehung zu Gott, zu anderen und zur Umwelt beleuchtet und grundlegende Werte inspiriert.“ Es ist notwendig, dorthin zu gelangen, wo neue Geschichten und Paradigmen entstehen, um mit dem Wort Jesu die tiefsten Seelen der Städte zu erreichen“ (Nr. 74). Mit anderen Worten: Man kann Jesus nur verkünden, indem man in der Kultur seiner jeweiligen Zeit lebt; und immer im Herzen die Worte des Apostels Paulus für den heutigen Tag trägt: „Jetzt ist der günstige Augenblick, jetzt ist der Tag des Heils!“ (2 Kor 6,2). Es besteht daher keine Notwendigkeit, alternative Visionen aus der Vergangenheit der Gegenwart gegenüberzustellen. Es reicht auch nicht aus, einfach erworbene religiöse Überzeugungen zu wiederholen, die, so wahr sie auch sein mögen, mit der Zeit abstrakt werden. Eine Wahrheit wird nicht dadurch glaubwürdiger, dass man die Stimme erhebt, wenn man sie sagt, sondern weil man sie mit dem eigenen Leben bezeugt.

„Apostolischer Eifer ist nie eine einfache Wiederholung eines erworbenen Stils“

Apostolischer Eifer ist nie eine einfache Wiederholung eines erworbenen Stils, sondern ein Zeugnis dafür, dass das Evangelium für uns heute lebendig ist. In diesem Bewusstsein betrachten wir unsere Zeit und unsere Kultur daher als Geschenk. Sie gehören uns, und sie zu evangelisieren bedeutet nicht, sie aus der Ferne zu beurteilen, auch nicht, auf einem Balkon zu stehen und den Namen Jesu auszurufen, sondern auf die Straße zu gehen, zu den Orten zu gehen, an denen man lebt, die Orte aufzusuchen, an denen man leidet, arbeiten, studiert und reflektiert, den Platz der Kreuzung zu bewohnen, an dem Menschen das mit einander teilen, was für ihr Leben Sinn macht. Es bedeutet, als Kirche „ein Sauerteig des Dialogs, der Begegnung, der Einheit“ zu sein. Schließlich sind unsere Glaubenssätze auch das Ergebnis eines Dialogs und einer Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen, Gemeinschaften und Instanzen. Wir dürfen keine Angst vor dem Dialog haben: Gerade der Vergleich und die Kritik helfen uns, die Theologie davor zu bewahren, zur Ideologie zu werden“ (Rede auf der V. Nationalen Konferenz der Italienischen Kirche, Florenz, 10. November 2015).

„Die Kreuzungen von heute nicht verlassen“

Wir müssen an den Kreuzungen von heute bleiben. Sie zu verlassen, würde bedeuten, das Evangelium zu verarmen und die Kirche auf eine Sekte zu reduzieren. Regelmäßig dort zu sein, hilft uns Christen jedoch, die Gründe unserer Hoffnung neu zu verstehen und aus dem Schatz des Glaubens „Neues und Altes“ hervorzuholen und zu teilen (Mt 13,52). Kurz gesagt: Anstatt die heutige Welt umzuwandeln, müssen wir die Seelsorge so umgestalten, dass sie das Evangelium für heue besser verkörpert (siehe Evangelii Gaudium, 25). Machen wir uns den Wunsch Jesu zu eigen: Wir wollen unseren Weggefährten helfen, die Sehnsucht nach Gott nicht zu verlieren, unsere Herzen für ihn zu öffnen und den Einzigen zu finden, der heute und immer den Menschen Frieden und Freude schenkt.

(vaticannews - mm) 
 

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29. November 2023, 09:26

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