Venedig: Ein Papst im Gefängnis
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Das Frauengefängnis, das in einem früheren Benediktinerinnen-Kloster untergebracht ist, beherbergt auch den Pavillon des Heiligen Stuhls auf der diesjährigen, 60. Biennale. Es ist der erste Besuch eines Papstes auf der alljährlichen Kunstschau. Doch setzte der erste Termin der Visite im Frauengefängnis einen vor allem seelsorglichen Akzent. Die Insassinnen der Haftanstalt – etwa achtzig Frauen und Mädchen, darunter viele Ausländerinnen – konnten Franziskus einzeln begrüßen; einige umarmten den Gast aus Rom, viele wirkten bewegt.
Ikone der Zärtlichkeit
Nicht nur der Papst hielt eine Ansprache und überreichte ein Gastgeschenk, sondern auch die Insassinnen. Franziskus hatte eine Ikone von Maria mit Kind mitgebracht und wies die Gefangenen darauf hin, wie zärtlich die Mutter auf das Jesuskind blicke. Die inhaftierten Frauen können ihre Kinder bis zum Alter von drei Jahren bei sich behalten; in dem ziemlich heruntergekommenen, aber malerischen Gebäudekomplex gibt es auch Spielplätze.
„Wir waren auch dabei!“
Sie alle hätten diesen Tag lange erwartet, sagte eine der Gefangenen in einer kurzen Rede. Das sei heute „ein großes Gefühl“. „Unser lieber Papst Franziskus kommt zu uns, wie ein Satz aus dem Evangelium: ‚Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht‘. Die Freude, die wir empfinden, übersteigt alle Vorstellungen.“
Sie hätten „gestaunt“ darüber, dass der Vatikan ausgerechnet ihre Haftanstalt als Sitz seines Biennale-Pavillons ausgesucht habe. „Wir werden laut sagen können: Wir waren auch dabei!“
Sie sollten doch seine Visite „nicht so sehr als einen offiziellen Besuch erleben“, sagte Franziskus, „sondern als eine Begegnung, bei der wir einander durch Gottes Gnade Zeit, Gebet, Nähe und geschwisterliche Zuneigung schenken“. Dieses Treffen werde „alle bereichern“, sagte er voraus, ihn selbst eingeschlossen.
„Der Herr hat gewollt, dass wir in dieser Zeit an diesem Ort zusammenkommen, wohin uns unterschiedliche Umstände geführt haben. Umstände, die zum Teil sehr schmerzhaft waren, auch aufgrund von Fehlern, die jedem auf unterschiedliche Weise Wunden und Narben beschert haben. Jeder trägt solche Narben… Und Gott will, dass wir zusammenkommen, weil er weiß, dass jeder von uns hier und heute etwas Einzigartiges geben und empfangen kann; etwas, das wir alle brauchen.“
„Eine harte Realität“
Das Gefängnis sei eine „harte Realität“, fuhr der Papst fort; er erwähnte Probleme wie Überbelegung, mangelhafte Strukturen, Gewaltausbrüche.
„Es kann aber auch zu einem Ort der moralischen und materiellen Wiedergeburt werden, an dem die Würde von Frauen und Männern nicht in Isolationshaft genommen, sondern hochgehalten wird durch gegenseitigen Respekt und die Förderung von Talenten und Fähigkeiten, die vielleicht noch in euch schlummern oder durch die Wechselfälle des Lebens unterdrückt werden, zum Wohle aller aber wieder zum Vorschein kommen können und Aufmerksamkeit und Vertrauen verdienen.“
Niemand dürfe einem anderen seine Würde absprechen, bekräftigte Franziskus, der mehrfach von seinem vorbereiteten Redetext abwich. „Bitte: Nicht die Würde in Isolationshaft nehmen, sondern eine zweite Chance geben!“ Ein Gefängnisaufenthalt könne paradoxerweise „den Beginn von etwas Neuem“ bedeuten. „Vergessen wir nicht, dass wir alle Fehler haben, die der Vergebung bedürfen; Wunden, die heilen müssen. Das gilt auch für mich… Und dass wir alle Geheilte werden können, die Heilung bringen; Menschen, denen vergeben wurde und die anderen vergeben; Wiedergeborene, die Wiedergeburt bringen.“
Jeden Tag neu anfangen
Der Papst rief die inhaftierten Frauen zu Vertrauen in die Zukunft, zur Hoffnung auf. Er stelle sich die Hoffnung gern wie einen Anker vor, den man auf die Zukunft hin auswerfe. „Nehmen wir uns vor, jeden Tag mit den Worten zu beginnen: ‚Heute ist der richtige Zeitpunkt‘, ‚jetzt ist er da, der richtige Tag‘ (vgl. 2 Kor 6,2), ‚heute fange ich wieder neu an‘.“
(vatican news)
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