Papst in Triest: Besorgt über Krise der Demokratie
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Im Kongresszentrum der norditalienischen Hafenstadt schloss der Papst die 50. Ausgabe der traditionsreichen „Katholischen Sozialwochen“ ab. Dabei führte er vor etwa 1.200 Teilnehmenden - unter ihnen viele Jugendliche - aus, es sei „offensichtlich, dass es um die Demokratie in der heutigen Welt nicht gut bestellt ist“. Franziskus wörtlich: „Das ruft uns auf den Plan und gibt Grund zur Sorge, denn es geht um das Wohl des Menschen, und nichts wahrhaft Menschliches darf uns fremd sein!“
Die Katholiken hätten in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg viel zum Aufbau der Demokratie beigetragen, sagte Franziskus und zitierte den 1978 von Terroristen ermordeten Ministerpräsidenten Aldo Moro von der „Democrazia Cristiana“ mit den Worten, ein Staat sei „nicht wirklich demokratisch, wenn er nicht im Dienst des Menschen steht; wenn sein oberstes Ziel nicht die Würde, die Freiheit und die Autonomie der menschlichen Person ist…“
Partizipation kann nicht improvisiert werden
„Schon das Wort Demokratie selbst ist nicht einfach mit Volksentscheid gleichzusetzen, sondern verlangt, dass die Bedingungen geschaffen werden, damit sich jeder äußern und beteiligen kann. Und Partizipation kann nicht improvisiert werden: Man lernt sie als Kind, als Jugendlicher. Sie muss trainiert werden, und das schließt auch einen kritischen Sinn gegenüber ideologischen und populistischen Verlockungen mit ein.“
Mit Sorge äußerte sich Papst Franziskus über den hohen Anteil von Nichtwählern bei Wahlen. Man müsse „die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder sich äußern und beteiligen kann“.
Jeder ist Teil eines Gemeinschaftsprojekts
Grundsätze der katholischen Soziallehre wie Solidarität und Subsidiarität bleiben aus der Sicht des Papstes auch weiterhin wichtig für die Demokratie. Besonders betonte er aber den Gesichtspunkt der Partizipation, also der Beteiligung: „Demokratie erfordert immer einen Wechsel von der Anhängerschaft zur Partizipation, von der Begeisterung zum Dialog“. Jeder solle sich als „Teil eines Gemeinschaftsprojekts“ verstehen; niemand dürfe sich nutzlos fühlen.
Keine einfachen Lösungen
Um wieder für mehr Partizipation in der Demokratie zu sorgen, sei Kreativität vonnöten. „Lassen wir uns nicht von einfachen Lösungen täuschen. Gehen wir stattdessen eine Verpflichtung zum Gemeinwohl ein. Es ist unsere Pflicht, das Wort Demokratie nicht zu manipulieren oder mit leeren Titeln zu deformieren, die jede Handlung rechtfertigen können. Die Demokratie ist keine leere Hülle – sie ist an die Werte der Person, der Geschwisterlichkeit und der integralen Ökologie gebunden.“
Den Katholiken dürfe es in der Gesellschaft nicht um sich selbst gehen: „Wir haben etwas zu sagen, aber nicht, um Privilegien zu verteidigen. Wir müssen eine Stimme sein, die anprangert und Vorschläge macht in einer Gesellschaft, die oft tonlos ist und in der zu viele keine Stimme haben.“
Beim Eintreffen des Papstes im Kongresszentrum hatte Kardinal Matteo Zuppi, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, einige Begrüßungsworte gesprochen. Dabei betonte er, dass die Katholiken in Italien keine Lobby seien, die für ihre Partikularinteressen kämpften, sondern dass es ihnen um die Menschen gehe. Franziskus ist nach Johannes Paul II. der zweite Papst, der auf der 1907 erstmals ausgerichteten Sozialwoche der katholischen Kirche Italiens auftritt.
Ein-Tages-Besuch
Franziskus war am Sonntagmorgen von Rom kommend in Triest eingetroffen. Die Stadt ist auch der italienische Endpunkt der Balkanroute, auf der viele Migranten durch Europa ziehen. Im Verlauf des Tages plant der Papst noch Treffen mit Migranten, mit Behinderten sowie mit Vertretern der Ökumene und der akademischen Welt. Mittags will er einer Eucharistiefeier auf dem Hauptplatz von Triest vorstehen und anschließend nach Rom zurückkehren.
In Triest an der Grenze zu Slowenien und Kroatien sind laut Kirchenangaben im vergangenen Jahr rund 15.000 Migranten angekommen, knapp 20 Prozent davon waren unbegleitete Minderjährige. Viele reisen von dort aus weiter in andere europäische Länder. Kirchliche und andere humanitäre Organisationen engagieren sich seit Jahren in Auffang- und Hilfsstrukturen.
Triest ist bereits das vierte inneritalienische Ziel des Papstes im laufenden Jahr. Im April besuchte er die Biennale in Venedig, im Mai Verona. Zudem hielt er beim G7-Gipfel im Juni im süditalienischen Borgo Egnazia eine Rede zum Thema Künstliche Intelligenz. Seine erste Auslandsreise in diesem Jahr soll ihn im September nach Südostasien führen, kurze Zeit später sind Besuche in Belgien und Luxemburg vom Vatikan bestätigt.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.