Kreuz im Gegenlicht Kreuz im Gegenlicht  (AFP or licensors)

Wie der Papst in Belgien mit Missbrauch konfrontiert wird

Besonders große Aufmerksamkeit wurde bei der Reise von Franziskus nach Belgien dem Thema Missbrauch zuteil - eine tiefe Wunde in der belgischen Gesellschaft und Kirche. Einige Hintergründe im Kollegengespräch erklärt.

Christine Seuss und Anne Preckel - Vatikanstadt

Papst Franziskus hat bei seiner Reise nach Belgien mehrfach und mit klaren Worten das Thema Missbrauch durch Kirchenangehörige angesprochen, allerdings wurde auch er selbst durch seine Gastgeber bei verschiedenen Veranstaltungen sehr unverblümt damit konfrontiert. Zunächst einmal, was hat das Thema für einen Hintergrund in Belgien?

Belgien hat in den letzten Jahren viele schwierige Nachrichten in Zusammenhang mit Missbrauch und der katholischen Kirche verdauen müssen. Dabei stand 2010, zu Beginn der Skandalwelle, ein Bischof selbst im Mittelpunkt. Der damalige Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, hatte gestanden, einen seinerzeit minderjährigen Neffen missbraucht zu haben. Später gestand er dann auch einen weiteren Missbrauch ein. Er bot seinen Rücktritt an, der auch umgehend von Benedikt XVI. angenommen wurde, aber seine Versetzung in den Laienstand hat dann nochmal lange gedauert, das erfolgte erst dieses Jahr. Der Fall hat für Entsetzen gesorgt, und er wurde flankiert von weiteren Nachrichten von Missbrauch und Vertuschung.

Zum Beispiel von Berichten über die menschenverachtenden Zwangsadoptionen der 1950er bis 1970er Jahre in Belgien, an denen auch die Kirche beteiligt war…

Ja. Bis in die 1970er Jahre hinein wurden Kinder aus unehelichen Beziehungen ihren Müttern weggenommen und in andere Familien gegeben, das soll etwa 30.000 Mütter und ihre Kinder betroffen haben. Grund war die soziale Stigmatisierung unverheirateter Mütter und die Tatsache, dass Ordensfrauen, bei denen unehelich schwangere Mädchen Zuflucht suchten, bei der Vermittlung auch Geld eingestrichen haben, hat für zusätzliches Entsetzen gesorgt. Diese Wunden sitzen tief in Belgien, das betonte auch der Premier in seiner Ansprache vor dem Papst am Freitag. Franziskus sagte, er sei sehr traurig über das Phänomen. Die belgischen Bischöfe haben mehrfach für die Rolle der Kirche in diesem Zusammenhang um Vergebung gebeten.

Ein strittiges Thema

Ziemlich alle Gesprächspartner des Papstes in Belgien, vom König über den Premier bis hin zu Uni-Personal, haben das Thema Missbrauch angesprochen. Wie hat der Papst auf die ihm vorgetragenen Vorwürfe reagiert?

Franziskus ist zum Beispiel in seiner Rede an die Autoritäten darauf eingegangen und vom Redemanuskript abgewichen. Er hat Missbrauch als Schande bezeichnet, Fehler der Kirche eingestanden und betont, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Er hat auch nach Worten gesucht, war sichtlich bewegt, was authentisch wirkt. Vor allem die Konfrontation des Themas durch den Premierminister war sehr direkt. Ausgewogener war der König, der Klartext redete, aber auch den Einsatz des Papstes für Gerechtigkeit nicht aussparte.

Der Papst hat vor allem Empathie für die Überlebenden von Missbrauch gezeigt, indem er diese getroffen hat am Freitagabend hinter verschlossenen Türen. Einige von ihnen hatten ihn darum gebeten. Wir können davon ausgehen, dass der Papst dort sehr lange und aufmerksam zugehört hat, sich das erfahrende Leid hat schildern lassen und auch Forderungen, die sich darauf ergeben. Natürlich muss auch die Ortskirche jetzt ihren Teil tun und den begonnenen Weg der Aufarbeitung konsequent weitergehen, mit Empathie und Offenheit für die Überlebenden.

Der ehemalige Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Bonny von Antwerpen, hatte etwa klar kritisiert, es sei zu wenig passiert und die Kirche zahle dafür heute den Preis. Da hat er wohl recht. Andererseits muss man auch anmerken, dass das Thema gerne instrumentalisiert wird. So könnte in Belgien ein neuer parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum kirchlichen Missbrauch jetzt, neben anderen Fragen, auch klären, ob Maßnahmen gegen die Kirche im Zuge der Aufarbeitung nicht über das Ziel hinausgeschossen sind.

Franziskus hat bei seinen Ansprachen ja auch noch einmal klar machen wollen, dass das Thema Aufklärung und Prävention von Missbrauch Chefsache für ihn ist…

Ja, er ist an vielen Stellen über den vorbereiteten Redetext hinausgegangen und hat das Thema direkt angesprochen. Zuletzt noch einmal bei der Messe am Sonntag. Da hat er gesagt: „Denken Sie daran, was passiert, wenn kleine Kinder von denen, die sich um sie kümmern sollten, skandalisiert, verletzt, missbraucht werden; die Wunden des Schmerzes und der Hilflosigkeit vor allem bei den Opfern, aber auch in ihren Familien und in der Gemeinschaft.“ Er geht dann auch auf sein Treffen mit Missbrauchsbetroffenen am Freitag ein und dass er „ihr Leid als Misshandelte gespürt“ habe. „In der Kirche ist Platz für alle, für jeden", hat er gesagt, aber auch, dass jeder verurteilt werden wird - und es „keinen Platz für Missbrauch, keinen Platz für das Vertuschen von Missbrauch“ gibt.

Er hat sich in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich an die Bischöfe gewandt und ihnen ins Stammbuch geschrieben, keinen Missbrauch zu vertuschen, was natürlich für alle gilt. Das Böse dürfe nicht versteckt werden und müsse mit Mut an die Öffentlichkeit gebracht werden, sagte Franziskus. Egal wer den Missbrauch begangen habe, müsse auch verurteilt werden. Er sprach auch in diesem Zusammenhang von der Schande des Missbrauchs und der nötigen Umkehr. 

Viele Begegnungen neben dem offiziellen Programm

Mal abgesehen vom Thema Missbrauch, das sich wie ein Roter Faden durch die Tage in Belgien zog, sind ja gerade bei dieser Reise-Etappe die sehr gezielt gesetzten und teils unangekündigten Begegnungen des Papstes auffallend…

Ja, das stimmt, in Belgien hat er gleich am ersten Tag, nach seinem ersten Auftritt vor den Autoritäten des Landes, ein Alten- und Pflegeheim besucht, das von Schwestern geleitet wird. Am Abend, nach der Begegnung in der Katholischen Universität Löwen, tauschte er sich dann wie erwähnt mit den 17 Missbrauchsbetroffenen aus. Am Samstagvormittag begrüßte er in der Nuntiatur Spitzenvertreter der EU-Kommission und der Weltgesundheitsorganisation, aber direkt anschließend ging es in einem radikalen Gegenprogramm zum Frühstück mit Bedürftigen, die in einer Brüsseler Pfarrei betreut werden. Da saß der Papst munter und aufgeräumt mit ihnen am Tisch, ließ sich ihre Geschichten erzählen und sprach ihnen Mut zu, bevor es dann weiterging zu dem offiziellen Termin in der Kathedrale mit Kirchenvertretern.

Nach diesem Termin fuhr er ebenfalls unangemeldet wieder nach Laeken. Dort befindet sich in der Nähe des Schlosses die kleine Kirche "Unsere Liebe Frau von Laeken", in der die Mitglieder der königlichen Familie bestattet sind. Dort hat er am Grab von König Baudouin gebetet und ihn dafür gewürdigt, dass er sich aus Glaubensgründen gegen das Abtreibungsgesetz von 1990 gestellt hat. Am Ende wurde es natürlich doch verabschiedet. Der König wurde dafür eigens befristet für regierungsunfähig erklärt, aber der Papst hat das zum Anlass genommen, dazu aufzurufen, auch heute wachsam zu bleiben, wenn „verbrecherische Gesetze“ verabschiedet werden, wie er es nannte. Gegen Mittag hat er in der Nuntiatur dann noch zwei Flüchtlingsfamilien getroffen, die dank humanitärer Korridore nach Belgien gekommen sind und von Sant’Egidio betreut werden.

Und dann gab es ja noch die Begegnung mit den jungen Menschen, die zum "Hope Happening" nach Brüssel gekommen sind…

Ja genau, der Papst ist am Samstag überraschend – beziehungsweise nur kurz vorher angekündigt – zu dem Jugendevent gekommen, an dem rund 6.000 junge Leute aus mehreren Ländern teilgenommen haben - in der Nähe des Stadions, in dem am Sonntag dann auch die Messe gefeiert wurde. Dort wurde Franziskus auf der Bühne gefeiert; er sprach ein paar Worte zu den jungen Leuten und bestärkte sie im Einsatz für den Glauben und die Solidarität. Viele von ihnen waren dann auch am Sonntag bei der Messe dabei.

Zuvor hatte der Papst plangemäß die Jesuiten Belgiens getroffen, und dann auch noch am Sonntagmorgen vor der Messe den scheidenden Europarat-Präsidenten Charles Michel. Also insgesamt reichhaltige Gelegenheit, sich auch direkt mit EU-Vertretern auszutauschen, obwohl die Reise ja nicht den EU-Institutionen galt, sondern auf Einladung des belgischen Staates und wegen des 600-Jahr-Jubiläums der Katholischen Uni zustande kam.

(vatican news)

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29. September 2024, 15:05