Papst-Primat und Ökumene: Da bewegt sich etwas
Dabei galt der Primat einmal, so formulierte es Papst Paul VI. (1963-78), als „Stolperstein“ für die Einheit der Kirchen. Doch Johannes Paul II. (1978-2005) hatte in seiner Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ 1995 die dornige Primatfrage offen auf den Tisch gelegt, und seitdem hat sich einiges getan. Das sagt uns der Dominikaner Hyacinthe Destivelle in einem Interview; der Theologe ist Offizial im vatikanischen Dikasterium für die Förderung der Einheit der Christen.
„Man stellt allmählich fest, dass es eine Art Übereinstimmung darin gibt, dass ein Dienst der Einheit auf universaler Ebene und damit ein gewisser Primat nötig sein könnten. Danach hängt alles davon ab, was man unter Primat versteht. Ist es im Sinne der katholischen Kirche ein Jurisdiktionsprimat, oder ist es ein Ehrenprimat, wie ihn die Orthodoxen eher anstreben? Selbst die christlichen Gemeinschaften, die in der Reformation entstanden sind, erkennen die Notwendigkeit eines universalen Dienstes der Einheit an.“
Als Franziskus sich im März 2013 unmittelbar nach seiner Wahl als „Bischof von Rom“ vorstellte, da merkten viele in der weiten Welt der Ökumene auf. Jorge Mario Bergoglio hatte sich nicht selbst als Papst bezeichnet – was manchen wie ein Detail erscheinen mag, wurde in Wirklichkeit als das Erreichen einer neuen Etappe im ökumenischen Dialog wahrgenommen. Allerdings würde ein päpstlicher Primat für die Christenheit anders aussehen, als er heute innerhalb der katholischen Kirche ausgeübt wird: Es würde darum gehen, die diversen christlichen Gemeinschaften zusammenzuhalten.
„Der Primat dient der Gemeinschaft, und die beiden sind untrennbar miteinander verbunden", sagt dazu Pater Destivelle. „Primat und Gemeinschaft gehören zusammen. Sie konstituieren sich gegenseitig und sind nicht zwei Prinzipien, die miteinander konkurrieren. Es kann keinen Primat ohne Synodalität geben, noch eine Synodalität ohne Primat, und beide stehen im Dienst der Gemeinschaft.“
Drei Dimensionen der Kirche: einer, einige, alle
Damit sind wir beim derzeitigen Zauberwort des argentinischen Pontifikats, nämlich der Synodalität. Auf den ersten Blick wirken Synodalität und Primat unvereinbar miteinander, und das sind sie tatsächlich dann, sagt Pater Destivelle, „wenn man sie in einer Logik des Gleichgewichts oder der Konkurrenz ansiedelt“.
„Aber ich denke, das Interesse besteht gerade darin, die Synodalität in einen breiteren Kontext zu stellen, ein sehr breites Verständnis von Synodalität zu haben, als Artikulation von drei großen Dimensionen der Kirche, nämlich einer, einige und alle. Der Primat des einen, die Kollegialität von einigen und die gemeinschaftliche Dimension von allen. Es ist die Gesamtheit dieser drei Dimensionen, die die synodale Dynamik ausmacht.“
Synodalität zwischen den Kirchen jetzt schon leben
Bei den Orthodoxen gibt es bereits eine Art Ehrenprimat; er kommt dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zu, der in Istanbul residiert, es ist Bartholomaios I.. Auf protestantischer Seite ist das Bild ganz anders, hier gibt es keinen allseits anerkannten „primus inter pares“, der auf globaler Ebene für alle Gemeinschaften spräche, die aus der Reformation entstanden sind. Wie passt da ein römischer Primat in dieses in sich verschobene Koordinatensystem?
„Ich denke, einer der Wege zu einer größeren Gemeinschaft besteht darin, jetzt schon die Synodalität zwischen getrennten Kirchen zu leben. Und das ist machbar! Papst Franziskus zeigt dies, wenn er Kirchenführer aus dem Nahen Osten einlädt, um gemeinsam über die Frage der Christen im Nahen Osten nachzudenken und zu beten; wenn er Kirchenführer aus dem Libanon einlädt, um gemeinsam zu beten und über den Libanon nachzudenken; wenn er mit Patriarch Bartholomäus nach Jerusalem pilgert oder in den Südsudan reist. Dies sind bereits synodale Schritte. Wir sind schon längst in einer gewissen Gemeinschaft, und das erleben wir immer mehr.“
Beispiel Bari
Der Mitarbeiter der Vatikanbehörde für die Einheit der Christen hat den Eindruck, dass wir längst eine gewisse Art von päpstlichem Primat innerhalb der Christenheit erleben, auch wenn die volle Gemeinschaft der Kirchen noch nicht in Sichtweite ist. „Das Treffen in Bari im Jahr 2018 war ein gutes Beispiel dafür. Wir sehen da eine synodale Form, aber letztendlich auch eine gewisse Form des Primats, da es der Bischof von Rom war, der seine Mitbrüder eingeladen hatte.“
Pater Destivelle glaubt, dass die Besinnung der katholischen Kirche auf die Synodalität ein großes Potential für Fortschritte auf dem Weg der Ökumene birgt. Sein Dikasterium hat im Juni dieses Jahres ein ausführliches Dokument zur Frage vorgelegt, wie der römische Bischof ein von allen Christen akzeptiertes Dienstamt an der Einheit ausüben könnte. Dabei werden u.a. regelmäßige Treffen zwischen Kirchenführern weltweit und stärkere Synodalität zwischen den Kirchen vorgeschlagen.
Das Interview führte Jean-Charles Putzolu von Radio Vatikan.
(vatican news – sk)
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