Papst wirbt an Gregoriana-Uni für Dialog der Herzen
Anne Preckel – Vatikanstadt
Franziskus umschrieb in seiner fast zehnseitigen Ansprache, einer Art „Lectio magistralis“, was er sich unter einer Universität im Dienst von Nächstenliebe und Universalität vorstellt. Und er ermutigte die traditionsreiche, gerade im akademischen Umbau befindliche Hochschule im Herzen Roms, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln und dabei Pfade einzuschlagen, die auf Mensch und Welt antworten ohne in Verweltlichung abzugleiten.
Lehre und Forschung sind keine Cola-Konserven
Die vom Heiligen Ignatius gegründete Universität Gregoriana solle genau unterscheiden, was heute Bestimmung und Ziel ihrer Einrichtungen sei, so Franziskus, der selbst Jesuit ist. Mit Blick auf die Umstrukturierungen und Erweiterungen des akademischen Angebotes warnte er vor einem „Effizienzdenken ohne Vision“. Es gelte den christlichen Bildungshorizont nicht aus dem Blick zu verlieren, ansonsten drohe die Verweltlichung von Forschung und Lehre, eine „Coca Cola-isierung“, wie der Papst wortschöpferisch formulierte. So etwas sei heute weit verbreitet, klagte Franziskus - wohl auch mit Blick auf Tendenzen der Vereinheitlichung und Vermarktung, die auch im Wissensbereich Einzug halten.
Zur Frage, was die Rolle der Gregoriana-Universität heute sein könne, entfaltete Franziskus in seiner vielschichtigen Ansprache mehrere Gedanken und zitierte - neben mehreren anderen berühmten Jesuiten und Heiligen - Franz Xaver, den Mitbegründer der Gesellschaft Jesu und Wegbereiter der christlichen Mission in Ostasien. Er hatte davor gewarnt, „mehr Wissenschaft als Nächstenliebe zu besitzen“ und stattdessen zu missionarischem Wirken in der Welt ermutigt. Davon ausgehend warnte der Papst vor Selbstbezogenheit im universitären Bereich:
„Ausbildung ist vor allem Sorge um Menschen und daher ein diskretes, kostbares und feines Handeln der Nächstenliebe. Andernfalls verwandelt sie sich in einen trockenen Intellektualismus oder perversen Narzissmus, eine regelrechte spirituelle Begierde, bei der die anderen nur noch als applaudierende Zuschauer existieren, die mit dem Ego derjenigen gefüllt werden, die sie lehren.“
Wissen und Lehre vermenschlichen
Franziskus verdeutlichte seine Vision, an einem Pult im Quadriporticus der Universität stehend, mittels Anekdoten und Neologismen, Ermahnungen und Empfehlungen, Zitaten aus der Ilias, von Shakespeare und Dostojewski, vom Heiligen Basilius und Franz Xaver, vom Heiligen John Henry Newman und vom Heiligen Thomas More, aber auch von Pater Arrupe und Pater Kolvenbach. Die Universität dürfe nicht bei „abstrakten, nur am Schreibtisch erdachten Ideen“ stehenbleiben, appellierte er. Es gelte vielmehr das Wissen zu vermenschlichen, so Franziskus, und von den „Mühen der konkreten Geschichte“ auszugehen, vom Dialog mit Menschen, Völkern und kulturellen Symbolen.
Der Papst rief zu einer fruchtbaren „Interesselosigkeit“ im Lehr- und Wissenschaftsbetrieb auf. Darunter versteht er Demut und ein Frei-Sein von Eigeninteressen in Beziehungen, Methoden und Zielen, was sowohl der Lehrpädagogik als auch der Forschung zugute kommt. Interesselosigkeit mache Weise und Lehrer „tugendhaft“, so der Papst, sie erziehe ohne Manipulation, bedeute Freude am geistigen Wachstum anderer und fördere die Fantasie.
Kein Elfenbeinturm, keine Angst vor dem Anderen
„Und dafür brauchen wir eine Universität, die den Geruch des ,Fleisches des Volkes‘ hat, die die Unterschiede nicht mit Füßen tritt in der Illusion einer Einheit, die nur Homogenität ist, die keine Angst hat vor tugendhafter Kontamination und vor der Phantasie, die das Sterbende wiederbelebt.“
Über viele Jahrhunderte hinweg habe die Wissenschaft auf andere Menschen herabgeschaut, kritisierte Franziskus. „Dabei haben wir viele Fehler gemacht! Jetzt ist es an der Zeit, dass wir alle demütig sind, dass wir anerkennen, dass wir nicht wissen, dass wir andere brauchen, vor allem solche, die nicht so denken wie ich.“
Gemeinsam auf der Suche nach dem Verstehen
Die komplexe Welt von heute braucht laut Franziskus eine Forschung, die horizontal operiert, die offen ist für Wissensbeiträge anderer, für Zusammenarbeit, für interdisziplinäre Sichtweisen – es brauche einen Dialog der Herzen, formulierte der Papst.
„Weniger Lehrstühle, mehr Tische ohne Hierarchien, Seite an Seite, alle betteln um Erkenntnis, berühren die Wunden der Geschichte. Auf diese Weise kann das Evangelium die Herzen bekehren und Antworten auf die Fragen des Lebens geben. Und um dies zu tun, Schwestern und Brüder, ist es notwendig, den akademischen Raum in ein Haus des Herzens zu verwandeln. Die Pflege von Beziehungen braucht das Herz, das den Dialog führt. Das Herz vereint die Fragmente und baut mit dem Herzen der anderen eine Brücke, auf der wir uns treffen können.“
Angesichts einer „Welt in Flammen, in der der Wahnsinn des Krieges jede Hoffnung mit dem Schatten des Todes bedeckt“, brauche es auch eine Theologie und Philosophie der Hoffnung, so der Papst weiter. Es brauche „entwaffnete“ Worte, Blicke und Gedanken, eine nicht ewige, sondern lebendige Lehre, auch Humor, ergänzte Franziskus weitere Punkte, die ihm am Herzen liegen.
Ort des Dialoges
Die kirchliche Universität solle vor allem ein Ort des Dialogs, der Synodalität und einer „Harmonie von Stimmen sein, die im Heiligen Geist wirken“, formulierte der Papst. Oft herrschten dagegen „tyrannische Stile vor, die nicht zuhören, die keinen Dialog führen in der Annahme, dass nur der eigene Gedanke der richtige ist“. Die Gregoriana sollte sich vor solchen Ideologen in Acht nehmen:
„Seien Sie bitte vorsichtig, wenn man vom Denken in die Ideologie abgleitet. Fragen Sie sich, ob die Auswahl der Dozenten, das Angebot der Lehrpläne, die Wahl der Dekane, Dekaninnen, Direktoren und vor allem die der höchsten akademischen Instanzen tatsächlich einer solchen Qualität entspricht, die die Betrauung dieser Universität durch den Bischof von Rom mit der Gesellschaft Jesu noch rechtfertigt.“
Bei seiner Ankunft wurde Franziskus durch einen fast fünfminütigen Applaus begrüßt. Vor seiner Rede sprachen Pater Arturo Sosa, der Generalobere des Jesuitenordens und Vize-Großkanzler der Universität, sowie der Rektor Pater Mark A. Lewis, ein Grußwort. Die gesamte akademische Gemeinschaft und drei Kardinäle waren anwesend: Gianfranco Ghirlanda, Luis Ladaria Ferrer und José Tolentino de Mendonça. Am Ende des Treffens verlieh der Papst mehrere akademische Preise an herausragende Studierende des Päpstlichen Bibelinstitutes, der Päpstlichen Orientalischen Institutes und des Collegium Maximum. Danach traf er hinter verschlossenen Türen etwa sechzig Jesuiten verschiedenen Alters.
Universität im Umbau
Anlass des Papstbesuches war der ,Dies Academicus' der traditionsreichen Hochschule, die 1551 von Ignatius von Loyola gegründet wurde. Mit fast 3.000 Studierenden aus 121 Nationen ist die Gregoriana die älteste päpstliche Universität Roms. Sie bietet eine breite akademische Ausbildung, die sich über Fächer wie Theologie, Philosophie, kanonisches Recht, Geschichte der Kirche, Sozialwissenschaften und interreligiöse Studien erstreckt.
Im vergangenen Mai war nach einer von Franziskus angestoßenen Reform die Eingliederung des Päpstlichen Bibelinstituts und des Päpstlichen Orientalischen Instituts in die Gregoriana und damit eine Erweiterung des Auftrags der Hochschule erfolgt. Die Hochschule versteht sich als Dienst an Weltkirche und vereint sowohl die Traditionen der lateinischen wie der östlichen Kirchen.
(vatican news)
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