Papstmesse mit neuen Kardinälen: Die Predigt im Wortlaut
»Sei gegrüßt, du Begnadete« (Lk 1,28). Mit diesem Gruß offenbart der Engel im bescheidenen Haus von Nazaret Maria das Geheimnis ihres unbefleckten Herzens, das seit der Empfängnis »von jedem Makel der Urschuld völlig frei« ist (Sel. Pius IX., Apostolische Konstitution Ineffabilis Deus, 8. Dezember 1854). Im Laufe der Jahrhunderte haben die Christen auf vielfältige Weise in Worten und Bildern versucht, diese Gnadengabe darzustellen, indem sie die Anmut und Lieblichkeit in den Zügen der „Gesegneten unter den Frauen“ (vgl. Lk 1,42) betonten, und das mit den charakteristischen Merkmalen und Kategorien unterschiedlichster Ethnien und Kulturen.
Und tatsächlich zeigt uns die Mutter Gottes – wie der heilige Paul VI. feststellte – »was wir alle tief in unserem Herzen tragen: das wahre Bild des Menschen [...], unschuldig, heilig, […] denn ihr Sein ist ganz Harmonie, Reinheit, Einfachheit - so ist Maria, ganz Harmonie, Reinheit, Einfachheit; sie ist ganz Klarheit, Güte, Vollkommenheit; sie ist ganz Schönheit« (Predigt zum Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, 8. Dezember 1963).
Halten wir also einen Moment inne, um diese Schönheit im Licht des Wortes Gottes unter drei Aspekten von Marias Leben zu betrachten, die sie uns nahe und vertraut werden lassen. Und welches sind diese drei Aspekte: Maria als Tochter, Maria als Braut und Maria als Mutter.
Zunächst einmal schauen wir auf die Unbefleckte Jungfrau als Tochter. In der Heiligen Schrift ist nicht von ihrer Kindheit die Rede. Das Evangelium stellt sie uns vielmehr, als sie den Schauplatz der Geschichte betritt, als ein junges Mädchen vor, reich an Glauben, demütig und einfach. Sie ist die „Jungfrau“ (vgl. Lk 1,27), in deren Blick sich die Liebe des Vaters widerspiegelt und in deren reinem Herzen die Heiligkeit die Färbung und den Wohlgeruch der Selbstlosigkeit und der Dankbarkeit annimmt. Hier erscheint uns die Gottesmutter schön wie eine Blume, die unbemerkt gewachsen und schließlich bereit ist, in der Selbsthingabe zur Blüte zu kommen. Denn das Leben von Maria ist eine ständige Hingabe ihrer selbst.
Das führt uns zur zweiten Dimension ihrer Schönheit: der der Braut, d. h. derjenigen, die Gott als Mitwirkende an seinem Heilsplan erwählt hat (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 61). Das sagt das Konzil: Gott hat Maria auserwählt, er hat eine Frau als Begleiterin für seinen Heilsplan auserwählt. Es gibt kein Heil ohne die Frau, denn auch die Kirche ist Frau. Und sie antwortet mit „Ja“, indem sie sagt: »Siehe, ich bin die Magd des Herrn« (Lk 1,38). „Magd“ nicht im Sinne von „versklavt“ und „erniedrigt“, sondern als eine „vertraute“, „geschätzte“ Person, der der Herr die teuersten Schätze und die wichtigsten Aufgaben anvertraut. Ihre Schönheit, die so vielgestaltig ist wie die eines Diamanten, offenbart dann ein neues Gesicht: das der Treue, Ergebenheit und Fürsorge, die die gegenseitige Liebe von Eheleuten kennzeichnen. Ganz so, wie es der heilige Johannes Paul II. meinte, als er schrieb, dass die unbefleckt Empfangene »die Erwählung zur Mutter des Sohnes Gottes angenommen [hat], weil sie von bräutlicher Liebe geleitet war, die eine menschliche Person voll und ganz Gott „weiht“« (Enzyklika Redemptoris Mater, 39).
Und damit kommen wir zur dritten Dimension der Schönheit. Was ist diese dritte Dimension der Schönheit Marias? Diejenige der Mutter. Das ist die gängigste Art und Weise, in der wir sie darstellen: mit dem Jesuskind auf dem Arm oder über den in der Krippe liegenden Gottessohn gebeugt (vgl. Lk 2,7). In allen Situationen seines Lebens ist sie stets an der Seite ihres Sohnes: fürsorglich nah und demütig verborgen, wie in Kana, wo sie für die Brautleute Fürsprache einlegt (vgl. Joh 2,3-5), oder in Kafarnaum, wo sie dafür gelobt wird, dass sie auf das Wort Gottes hört (vgl. Lk 11,27-28), oder schließlich am Fuße des Kreuzes - die Mutter eines Verurteilten -, wo Jesus selbst sie uns zur Mutter gibt (vgl. Joh 19,25-27). Hier ist die Unbefleckte Jungfrau schön in ihrer Fruchtbarkeit, also darin, dass sie zu sterben weiß, um Leben zu schenken, darin, dass sie sich selbstvergessen um die kümmert, die sich klein und schutzlos an sie klammern.
All dies ist in dem reinen Herzen Mariens verborgen, das frei von Sünde ist, fügsam gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes (vgl. hl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris Mater, 13) und bereit, sich Gott aus Liebe »mit Verstand und Willen» voll zu unterwerfen (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 5; vgl. Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Filius, 3).
Allerdings besteht die Gefahr, dass man denkt, es ginge um eine ferne, zu hohe, unerreichbare Schönheit. Dem ist nicht so. In der Tat erhalten auch wir sie in der Taufe als Geschenk, wenn wir von der Sünde befreit und zu Kindern Gottes werden. Und damit sind wir dazu berufen, sie wie die Jungfrau mit kindlicher, bräutlicher und mütterlicher Liebe zu pflegen, dankbar im Empfangen und großzügig im Geben, als Männer und Frauen des „Danke“ und des „Ja“. Dies bringen wir mit Worten, aber vor allem mit unserem Leben zum Ausdruck - es ist schön, wenn man Männer und Frauen findet, die mit dem Leben „Danke“ und „Ja“ sagen-, wenn wir bereit sind, dem Herrn in unseren Vorhaben Raum zu geben und alle Brüder und Schwestern, denen wir auf unserem Weg begegnen, mit mütterlicher Zärtlichkeit anzunehmen. Die Unbefleckte Empfängnis ist also kein Mythos, keine abstrakte Lehre oder ein unmögliches Ideal: Sie ist der Entwurf eines schönen und konkreten Projekts, das voll verwirklichte Modell unseres Menschseins, durch das wir alle dank der Gnade Gottes dazu beitragen können, unsere Welt zum Besseren zu verändern.
Leider sehen wir überall um uns herum, wie die Anmaßung der ersten Sünde, „wie Gott“ sein zu wollen (vgl. Gen 3,1-6), die Menschheit weiterhin verwundet und wie diese Anmaßung der Selbstgenügsamkeit weder Liebe noch Glück erzeugt. Wer die Ablehnung jeglicher stabiler und dauerhafter Bindung als Errungenschaft feiert, schenkt in Wahrheit keine Freiheit. Wer Vätern und Müttern den Respekt verweigert, wer keine Kinder will, wer die anderen als Objekt oder als Störung betrachtet, wer Teilen als Verlust und Solidarität als Verarmung ansieht, bringt weder Freude noch Zukunft. Was nützt das Geld auf der Bank, der Komfort in der Wohnung, die unechten „Kontakte“ in der virtuellen Welt, wenn doch die Herzen kalt, leer und verschlossen bleiben? Was nützt das starke finanzielle Wachstum der wohlhabenden Länder, wenn dann die halbe Welt an Hunger und Kriegen stirbt und die anderen gleichgültig zusehen? Was nützt es, um die Welt zu reisen, wenn jede Begegnung auf die Emotion eines Augenblicks reduziert wird, auf ein Foto, an das sich in ein paar Tagen oder Monaten niemand mehr erinnert?
Brüder und Schwestern, heute blicken wir auf Maria, die unbefleckt Empfangene, und wir bitten sie, dass ihr liebevolles Herz uns gewinnt, dass sie uns bekehrt und uns zu einer Gemeinschaft macht, in der Kindschaft, Bräutlichkeit und Mutterschaft Lebensrichtschnur und -kriterium sind: in der die Familien zusammenkommen, die Eheleute alles teilen, Väter und Mütter ihren Kindern wirklich nahe sind und die Kinder sich um die Eltern kümmern. Das ist die Schönheit, von der die Unbefleckte Empfängnis zu uns spricht, das ist die „Schönheit, die die Welt rettet“ und angesichts derer auch wir dem Herrn antworten wollen, wie Maria: »Siehe [...], mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lk 1,38).
Wir feiern diese Eucharistie zusammen mit den neuen Kardinälen. Sie sind Brüder, die ich gebeten habe, mich in meinem pastoralen Dienst für die Weltkirche zu unterstützen. Sie kommen aus vielen Teilen der Welt als Träger einer einzigen, vielgestaltigen Weisheit, um zum Wachstum und zur Ausbreitung des Reiches Gottes beizutragen. Vertrauen wir sie in besonderer Weise der Fürbitte der Mutter des Erlösers an.
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