Papstinterview: „Wir reden vom Frieden und rüsten auf“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Franziskus beklagte die Doppelmoral vieler Staaten. „Wir reden vom Frieden, aber wir rüsten für den Krieg“, so der Papst. Namentlich kritisierte er Europa, wo die Rüstungsindustrie „eine der größten Renditequellen“ sei. „Wir veranstalten also Konferenzen und Friedenstreffen, aber wir stellen weiterhin Waffen her, um zu töten.“
Appelle internationaler Organisationen „gehen oft zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, kritisierte Franziskus. Die aktuelle globale Situation beschrieb er als von „einer universellen Tendenz zur Selbstzerstörung“ geprägt. Die fortschreitende Technologie und der wissenschaftliche Fortschritt würden dieser Entwicklung nicht entgegenwirken, sondern sie in vielen Fällen verstärken.
Ukraine und Nahost: „Kriminelle Kriegshandlungen“
Besonders alarmiert zeigte sich der Papst angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. In beiden Konflikten geschehen laut Franziskus Handlungen, die nicht den Regeln eines „normalen Krieges“ entsprechen. Er schilderte das Schicksal von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die wahllos Opfer von Gewalt werden. „Das ist keine Kriegsführung, das sind kriminelle Handlungen“, so der Papst.
Für den Krieg in der Ukraine forderte er dringend einen Friedensvertrag. „Die Verhandlungen über Frieden geraten oft ins Stocken, weil Nebensächlichkeiten in den Vordergrund gestellt werden“, erklärte Franziskus. Zudem sprach er von der „Heuchelei“, die diesen Krieg begleitet. Er kritisierte, dass junge Ukrainer ohne ausreichende Mittel an die Front geschickt werden. „Es ist so, dass sie nicht viele Männer haben, während Russland viele hat“.
„Dialog ist der Schlüssel“
Der Papst hob die zentrale Rolle des Dialogs hervor. Er lobte die Europäische Union für ihre Potenziale als Vermittlerin, betonte jedoch, dass die Institution unabhängig bleiben müsse. „Die EU besitzt die Kraft, den Dialog zu fördern, sowohl intern als auch extern. Diese Fähigkeit darf sie nicht verlieren“, sagte Franziskus.
Angesichts zunehmender Polarisierung und extremen Nationalismus forderte Franziskus ein Ende des Negationismus, also der Leugnung und Verharmlosung von Fakten, den er als „selbstzerstörerisch“ bezeichnete. „Nur die Auseinandersetzung mit der Wahrheit kann Konflikte lösen“, erklärte er und mahnte, dass kein Konflikt durch die Vernichtung einer Seite gelöst werden könne. „Wenn man sich in einem Konflikt befindet, befindet man sich in einem Labyrinth und weiß nicht, wie man wieder herauskommt. Der einzige Weg aus dem Labyrinth führt nach oben zu. Von kleinen Konflikten bis hin zu großen menschlichen Konflikten werden sie auf einer höheren Ebene gelöst, durch Sublimierung. Das ist der Schlüssel."
Vergebung und Verantwortung
Franziskus hob die Bedeutung von Vergebung und Dialog hervor, um Konflikte auf allen Ebenen zu lösen. Er erinnerte an seinen Besuch in Kanada, wo er in Namen der katholischen Kirche wegen ihrer Rolle bei der gewaltsamen Assimilation indigener Kinder in Internaten um Verzeihung gebeten hatte. „Eine Entschuldigung, die aufrichtig ist, ist immer ein Schritt in Richtung Frieden“, erklärte Franziskus.
Er betonte auch die Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche zu einer Kultur der Vergebung und Verantwortung zu erziehen. „Wir müssen ihnen beibringen, Fehler zu erkennen und sich aufrichtig zu entschuldigen. Das ist ein Akt der Demut und der Menschlichkeit“, sagte der Papst.
„Bildung darf nicht gekürzt werden“
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten warnte Franziskus vor überzogenen Sparmaßnahmen in der Bildung. „Bildungskürzungen sind ein programmierter Selbstmord für ein Land“, so Franziskus in dem Interview für den argentinischen Sender. Bildung sei „Nahrung für Geist und Seele“. Ausdrücklich lobte der Papst die Widerstandsbereitschaft vieler junger Menschen gegen Bildungsabbau. Er bezog sich nicht ausdrücklich auf sein Heimatland, dennoch war der Kontext klar: In Argentinien hatten im Frühjahr hunderttausende Menschen gegen die Sparpolitik von Präsident Javier Milei protestiert, der im Rahmen eines brachialen Sparprogramms das Budget öffentlicher Universitäten um mehr als zwei Drittel gekürzt hatte.
Die Synode: Ein Weg der Harmonie
Die Weltsynode zum Thema Synodalität, die 2023 und 2024 jeweils im Oktober im Vatikan getagt hatte, beschrieb Papst Franziskus als einen Prozess, der die Gemeinschaft stärken und die Kirche offener machen soll. Er lobte die aktive Beteiligung von Laien, insbesondere Frauen, und bezeichnete den Dialog als zentralen Aspekt. „Die Synode ist nicht mehr eine Kirche von oben nach unten, sondern eine, die auf die Stimmen der Basis hört“, erklärte der Papst. Die Ergebnisse der Synode sollten Harmonie fördern und die Kirche als Gemeinschaft stärken.
Frauen in der Kirche: Mehr Verantwortung, mehr Teilhabe
Insgesamt werde die Stimme der Frauen immer wichtiger, sagte Franziskus. Er erinnerte sich an sein Treffen mit den etwa 100 Frauen, die im Oktober an der Synode teilgenommen hatten. „Die Reife dieser Frauen war erstaunlich - wie sie ihre Ideen geäußert haben, mit welchem Mut, etwas, das man vor 40 Jahren nicht kannte“, so der Papst, der sich offen für Frauen in hoher Verantwortung in kirchlichen Strukturen zeigte. Mit Blick auf den Vatikan verwies er auf die geplante Ernennung einer Frau als Präfektin, also „Nummer eins“ eines vatikanischen Dikasteriums und Mit seiner Kurienreform hatte Franziskus verfügt, dass Dikasterien auch von Laien geleitetet werden können, berief aber bisher noch keine Frau in diese höchste aller Kurienpositionen mit Ausnahme des Staatssekretärs.
Kirche der Zukunft: Gemeinschaft und Dialog
Die Zukunft der Kirche sieht Franziskus in einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Laien und Klerus. „Die Kirche der Zukunft ist eine, die sich im Dialog befindet, die auf die Gemeinschaft setzt und Brücken baut“, erklärte er. Die klassische Hierarchie der Pfarrei, in der allein der Pfarrer entscheidet, sei ein Modell der Vergangenheit. Stattdessen solle die Kirche als dynamische Gemeinschaft agieren, die von Offenheit und Dialog geprägt ist.
Hoffnung im Heiligen Jahr
Mit Blick auf das kommende Heilige Jahr 2025 unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ rief der Papst zur inneren Erneuerung und Vergebung auf. „Das Jubeljahr soll keine touristische Attraktion sein. Es geht darum, alte Geschichten auszuräumen, inneren Frieden zu finden und Vergebung zu leben“, erklärte Franziskus. Er forderte Gläubige weltweit auf, diese Gelegenheit zur Besinnung und Versöhnung zu nutzen.
Zum Abschluss des Interviews hob der Papst hervor, dass wahre Hoffnung darin liege, Brücken zu bauen und Horizonte zu erweitern. „Die Hoffnung überrascht und öffnet neue Möglichkeiten. Sie ist die Grundlage für ein vereintes und geschwisterliches Miteinander“, so Franziskus.
Das Interview, das die Journalistin Maria Bernarda Llorente einige Tage nach Abschluss der Weltynode im Vatikan führte, wird in Argentinien an diesem Freitag, den 20. Dezember, mit Blick auf die Eröffnung des Heiligen Jahres ausgestrahlt.
(vatican news – gs)
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