Pater Hans Zollner Pater Hans Zollner  

„MeToo-Debatte hat auch die Kirche verändert“

Seit Dienstag ist es offiziell: Der vatikanische Finanzdirektor Kardinal George Pell muss sich in Australien vor Gericht den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs stellen. Damit ist er der höchste Kirchenvertreter, der jemals offiziell angeklagt wurde.

Renardo Schlegelmilch – Vatikanstadt

Überhaupt gibt es in der Kirche seit kurzem ein neues Bewusstsein für Prävention und Umgang mit dem Thema Missbrauch. Das erklärt der Jesuit Hans Zollner, Direktor des Kinderschutzzentrums der Päpstlichen Universität Gregoriana, in unserem Interview.

VN: Die gesellschaftliche Debatte über sexuellen Missbrauch hat sich seit der MeToo-Bewegung gewandelt. Das Thema ist präsent. Die Kirche engagiert sich schon lange in der Prävention und Aufklärung von Missbrauchsfällen. Kann man die katholische Kirche da als Vorreiter sehen?

Prof. Hans Zollner SJ: „Ich glaube, dass es nicht angebracht ist, hier den Begriff Vorreiter zu verwenden. Aber die katholische Kirche ist weltweit befasst, wenn wir von Kanada, die USA, Irland oder Australien reden. In all diesen Ländern, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz, gibt es inzwischen Strukturen, die vorbildlich sind im Bereich der Prävention.

Ich glaube aber auch, dass es weiterhin Nachholbedarf gibt, sowohl in der Aufarbeitung, als auch in der Prozessführung. Aus meinen weltweiten Eindrücken glaube ich aber auch sagen zu können, dass es in der Prävention wohl kaum eine Institution gibt, die so viel, so intensiv und so breit aktiv ist.“


VN: Nun wird die katholische Kirche in weiten Teilen der Öffentlichkeit immer wieder mit dem Thema Kindesmissbrauch assoziiert, obwohl es Missbrauch auch in anderen Bereichen gibt. Warum wird so oft nur über die Kirche gesprochen?

Zollner: „Das habe ich mich auch jahrelang gefragt. Wenn man mit den Fachleuten redet, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen, und wenn man die aktuellen Statistiken liest, dann muss man sagen, dass 90 bis 95 Prozent allen Missbrauchs im Kontext der Familie stattfindet. Die Antwort, die ich für mich gefunden habe: Die Menschen erwarten sich eine andere Verhaltensweise von Priestern und allen anderen, die die Kirche repräsentieren. Unser Ideal ist höher, und die Erwartungen sind größer. Deshalb ist jede Handlung, die dem widerspricht, eine umso größere Enttäuschung. Aber: Die MeToo-Bewegung sowie die Nachrichten, die wir aus dem Sportbereich haben, zeigen, dass allmählich ein Bewusstsein wächst, dass sexueller Missbrauch ein viel breiteres Phänomen ist, als wir uns eingestehen.“

VN: Hat sich dadurch auch im Denken der Kirche etwas verändert?

Zollner: „Ich kann sagen, seit unserem ersten Kongress zum Thema vor sechseinhalb Jahren sind das Interesse wie auch die Bereitschaft, etwas zu tun, unglaublich gewachsen. Sechseinhalb Jahre – in kirchlicher Zeitrechnung ist das quasi vorgestern. Ein Beispiel: Vor zwei Jahren war ich in Prag und sollte einen Vortrag zum Thema halten. Dieser Kongress musste fast schon geheim stattfinden, durfte nicht publiziert werden, nur persönliche Einladungen wurden versandt. Damals wollte ich schon mit den Verantwortlichen der Priesterausbildung in Tschechien sprechen, und mit Vertretern der Bischofskonferenz. Beides war nicht möglich.

Zwei Jahre später, im Januar dieses Jahres, werde ich wieder eingeladen: Und plötzlich geht das. Ich spreche mit allen Bischöfen und Ordensoberen und allen Verantwortlichen in der Priesterausbildung im ganzen Land. Und das ist nur eines von vielen positiven Erlebnissen dieser Art. Vergangene Woche war ich in Nairobi und habe Schritte der afrikanischen Jesuiten zur Aufklärung gesehen, mit einer Entschiedenheit, dass ich nur sagen kann: Hut ab.“

VN: Wo stoßen Sie bei Ihrer Arbeit noch an Grenzen?

Zollner: „Es gibt noch viele kulturelle Widerstände, vor allem in Ostasien und in Afrika. Kulturen, in denen Sexualität einfach kein Thema ist. Das andere Problem: Unsere deutschen Vorstellungen von Strafverfolgung sind zwar relativ ideal, treffen aber für die meisten Länder der Welt nicht zu. In vielen Ländern Afrikas zum Beispiel ist das Missbrauchs-Problem mit einer einfachen Anzeige vor Gericht nicht gelöst. Der Täter kommt vielleicht in Haft, aber die Frau sitzt dann ohne Einkommen, ohne Beruf, aber mit drei, fünf oder acht Kindern auf der Straße. Unsere Vorstellungen von Strafverfolgung und Gerechtigkeit haben in vielen Ländern leider wenig mit der Realität zu tun.“

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02. Mai 2018, 10:24