Fisichella im April letzten Jahres bei einer Begegnung mit dem Papst Fisichella im April letzten Jahres bei einer Begegnung mit dem Papst 

„Wahrheit ist Begegnung, Lehre entwickelt sich“

Darf ein Papst einfach so die kirchliche Lehre verändern? Natürlich nicht. Aber die kirchliche Lehre – wie überhaupt die Wahrheit – ist nichts ein für allemal Feststehendes, sondern etwas Dynamisches.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Das hat der Vatikan jetzt ein weiteres Mal betont. Hintergrund ist, dass der Papst die Formulierungen zur Todesstrafe im katholischen Weltkatechismus verschärft hat. Galt sie bislang als nur im Extremfall erlaubt, so wird sie hinfort ganz geächtet. Die Lehre habe sich, so die Begründung aus dem Vatikan, weiter entwickelt.

„Wenn wir von Wahrheit sprechen, dann sollte uns etwas Dynamisches vor Augen stehen.“ Das sagt der Kurienerzbischof Rino Fisichella in einem Interview mit Vatican News. „Die Wahrheit ist für die Christen vor allem jenes lebendige Wort, das der Herr uns hinterlassen hat. Jesus sagt, er selber sei der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wahrheit hat also etwas mit einer persönlichen Begegnung zu tun: Das ist die Wahrheit des Evangeliums, die Wahrheit der Person Jesus Christus.“

Wahrheit muss sich öffnen

 

„Wahrheit ist eine Begegnung“ – so hat es Papst Franziskus einmal griffig bei einer seiner Frühmessen in der Casa Santa Marta formuliert. Auch als Glaubender würde er nicht „von absoluter Wahrheit sprechen im Sinne, dass absolut das ist, was los, frei von jeglicher Beziehung ist“, schrieb der Papst im September 2013 in einem Brief an den italienischen Journalisten Eugenio Scalfari. „Nach dem christlichen Glauben ist die Wahrheit die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus. Wahrheit ist also eine Beziehung! Dafür spricht, dass auch jeder von uns die Wahrheit von sich selbst her erfasst und ausdrückt – von seiner Geschichte und Kultur, von der Situation, in der er lebt, usw. Das heißt nicht, dass Wahrheit veränderlich und subjektiv wäre, im Gegenteil. Aber es bedeutet, dass sie sich uns immer nur als Weg und Leben gibt.“

Fisichella stößt ins gleiche Horn: „Der Inhalt, den Jesus seinen Jüngern übermitteln wollte und den die Apostel an uns weitergegeben haben, ist eine Wahrheit, die sich immer mehr für eine Entdeckung des offenbarten Geheimnisses öffnet. Es gibt einige grundlegende Punkte, die wie Meilensteine in der dogmatischen und moralischen Lehre der Kirche verbleiben – das sind Elemente, die unveränderlich bleiben. Die unveränderliche Norm fußt auf der Wahrheit des Evangeliums. An ihr muss alles Maß nehmen. Es geht um die Offenheit für die Entdeckung der Wahrheit des Gotteswortes.“

Vor 25 Jahren: Enzyklika von Johannes Paul II. zum Thema Wahrheit

 

Wahrheit sei „nichts in sich selbst Verschlossenes“, insistiert der Erzbischof – sie habe von ihrem Wesen her „etwas mit Treue, aber auch mit Freiheit“ zu tun. „Die Wahrheit wird euch frei machen“, lehre das Neue Testament deshalb. „Eine Wahrheit, die sich immer mehr öffnet, ist eine Wahrheit, die jeden Gläubigen – überhaupt jeden Menschen – auch eine immer tiefere Freiheit finden lässt. Allerdings setzt das auch eine gewisse Treue voraus.“ Es klingt ein bisschen nach der Quadratur des theologisch-philosophischen Kreises.

Um diese Fragen ging es vor genau 25 Jahren in der Enzyklika Veritatis Splendor von Johannes Paul II. Vatikankenner glauben noch heute, dass dem heiligen Papst damals vor allem sein enger Mitarbeiter Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, die Hand führte. „Besitzen die Gebote Gottes … tatsächlich die Fähigkeit, die täglichen Entscheidungen der einzelnen Menschen und der gesamten Gesellschaft zu erleuchten? Ist es möglich, Gott zu gehorchen und damit Gott und den Nächsten zu lieben, ohne diese Gebote unter allen Umständen zu respektieren?“ Das waren die Ausgangsfragen der Enzyklika, die gegen Relativismus vor allem in der Morallehre stritt.

„Man darf das Lehramt nie als Werkzeug einsetzen, um der Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre entgegenzuwirken“

Fisichella warnt davor, Veritatis Splendor gegen den jetzigen Papst in Stellung bringen zu wollen.

„Man darf das Lehramt nie als Werkzeug einsetzen, um der Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre entgegenzuwirken! Wenn es solchen instrumentellen Umgang mit dem früheren Lehramt gibt, dann gibt es, fürchte ich, gar nicht den Willen, die Wahrheit zu entdecken, und dann gibt es auch keine Treue zur Tradition der Kirche. Es gibt keinen Hebelpunkt, um dem Lehramt von Franziskus im Licht des früheren Lehramts zu widersprechen. Stattdessen muss man herausarbeiten, wieviel Kontinuität es bei dieser Weiterentwicklung doch gibt. Und außerdem scheint es mir wichtig, das ganze Lehramt von Papst Franziskus zu lesen und nicht nur diese oder jene Äußerung: Ein Mosaik entsteht aus der Gesamtheit seiner Teile, nicht nur aus einem Teil.“

Der Kurienerzbischof, der als Präsident des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung für die Frage der Katechese zuständig ist, erklärt auch, was das Lehr-Mosaik von Papst Franziskus aus seiner Sicht kennzeichnet. „Die große Offenheit beim Evangelisieren – und dass man die Norm nicht über die Verkündigung stellt. Die großen Elemente sind die persönliche Begegnung mit Jesus, die ständige Verkündigung, die die Kirche zu leisten hat, das Zugehen auf alle. Die Vorstellung von einer Kirche im Aufbruch, die unsere Zeitgenossen auf ihrem Weg begleiten will. Die ihn deshalb auch verstehen will, ihn und seine Bedrängnisse – die deswegen auch mal bereit ist, einen Schritt zurück zu gehen.“

(vatican news)
 

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07. August 2018, 11:19