Die drei orthodoxen Rabbiner Jehoschua Ahrens, Yehuda Pushkin und Arie Folger waren beim emeritierten Papst Die drei orthodoxen Rabbiner Jehoschua Ahrens, Yehuda Pushkin und Arie Folger waren beim emeritierten Papst 

Rabbi Folger bei Papst em. Benedikt: „Ein schönes, gutes Gespräch“

Ein schönes, gutes, inhaltsreiches Gespräch: So charakterisiert der orthodoxe Wiener Oberrabbiner Arie Folger die Begegnung zwischen dem emeritierten Papst Benedikt XVI. und einer kleinen Delegation der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands vom Mittwoch.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Folger sagte im Gespräch mit uns, die orthodoxen Rabbiner könnten sich in Zukunft einen Dialog mit der katholischen Seite über den Punkt der Landverheißung an die Juden vorstellen, darüber habe er den emeritierten Papst informiert.

Das Treffen im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten folgte auf eine schriftlich geführte Auseinandersetzung um einen Aufsatz des emeritierten Papstes zur Theologie des Judentums. In dem letzten Sommer veröffentlichten Text mit dem Titel „Gnade und Berufung ohne Reue“ fragt Joseph Ratzinger, wie 50 Jahre nach Nostra aetate der Dialog mit den Juden theologisch vertieft werden kann und was die Theologie des ungekündigten Bundes Gottes mit dem Volk Israel heute bedeute. Der Text wurde kontrovers diskutiert, stieß aber auch einen Dialog an.

„Dass es einen jüdischen Staat gibt, hat das eine religiöse Bedeutung?“

„Natürlich wünscht sich Benedikt einen größeren, stärkeren tieferen Dialog, und wir ziehen da zurück, aber wir haben etwas gefunden, wo wir Fortschritte machen können“, sagte Folger im Gespräch mit uns. Orthodoxe Rabbiner seien nun bereit, „über Dinge zu sprechen, die erst in den letzten Jahrzehnten aufgetaucht sind“, allen voran über das Thema Landverheißung, „weil es von der Schrift von Benedikt kommt“. Die hier interessierende Frage sei: „Was für eine [religiöse] Bedeutung hat es, dass so viele Juden heute wieder im Heiligen Land leben, dass es einen jüdischen Staat gibt, der zwar als Gebilde ein säkularer Staat ist, aber mit einem starken jüdischen Charakter – hat das eine religiöse Bedeutung? Ich glaube nicht, dass es vernünftig und zumutbar ist zu sagen, wenn Juden aus Israel vertrieben wurden, hat das eine religiöse Bedeutung, aber wenn Juden zurückkommen, hat das keine religiöse Bedeutung.“

Hier zum Hören:

Selbstverständlich hätten Juden und Christen darüber Meinungsverschiedenheiten, „aber wir sind jetzt in diesem Schwung, wo wir versuchen, einander positiv wahrzunehmen“, sagte der Wiener Oberrabbiner. Die katholische Kirche könne und solle sich fragen, wie sie „diese junge energetische jüdische Demokratie, die nicht nur aus Juden besteht, und wo die Rechte der Minderheiten trotz aller Kontroversen stark geschützt werden“, wertschätzen und unterstützen könne.

„Ältere Brüder im Glauben“?

Die Bezeichnung „Ältere Brüder im Glauben“ für die Juden, die Papst Johannes Paul II. geprägt hatte, hält Folger für nicht glücklich, denn „wir reden miteinander auf Augenhöhe“. Die Rede vom „älteren Bruder“ und „jüngeren Bruder“ sei „eigentlich eine innerchristliche Terminologie“, er könne „damit aus jüdisch-theologischer Sicht nicht so viel anfangen“. Die Beziehung zwischen Christentum und Judentum sei „asymmetrisch“, weil das Judentum älter sei. Dennoch hätten beide Religionen viele Werte und Ideen gemeinsam, „und wir wollen auch gewisse ähnliche wichtige Dinge für die Welt und die Gesellschaft. Deshalb nennen wir die Katholiken Partner, Brüder, Verbündete im Versuch, Dinge für die Welt zu tun“.

„Gnade und Berufung ohne Reue“ 

Der Artikel „Gnade und Berufung ohne Reue“ des emeritierten Papstes Benedikt XVI. war ursprünglich nur für den internen Gebrauch am päpstlichen Einheitsrat gedacht. Mit Billigung des emeritierten Papstes und einem Vorwort von Kardinal Kurt Koch erschien er im Sommer 2018 in der von Joseph Ratzinger mitgegründeten theologischen Zeitschrift „Communio“. Jüdische wie katholische Stimmen meldeten sich vor allem in Deutschland kritisch zu Wort. So wurde der Aufsatz zum Gegenstand eines aktuellen jüdisch-christlichen Dialoges. Der Wiener Oberrabbiner Arie Folger publizierte in der deutschen Zeitung „Jüdische Allgemeine“ eine Replik, die Benedikt XVI. in einem persönlichen Brief ausführlich beantwortete. Rabbi Folger reagierte seinerseits mit einem Schreiben, in dem er Übereinstimmungen, aber auch klärungsbedürftige Überhangfragen festhielt. Der Briefwechsel erschien wiederum mit Einverständnis des emeritierten Papstes in „Communio“.

Folger besuchte nun den emeritierten Papst Benedikt zusammen mit dem Stuttgarter Rabbiner Yehuda Pushkin und dem Darmstädter Rabbiner Jehoschua Ahrens. Letztere beiden gehören der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) an; Arie Folger ist Mitglied des Ständigen Ausschusses der Konferenz Europäischer Rabbiner und war, bis zu seinem Umzug nach Wien, ebenfalls Mitglied der ORD.

„Nicht richtig ausgelegt“

Die jüdische Seite habe ein gewisses Unbehagen über die Publikation des Aufsatzes gehabt, rekapituliert Rabbi Pushkin. In der Öffentlichkeit sei der Ratzinger-Text „nicht richtig ausgelegt" worden. „Die Öffentlichkeit hat natürlich empört reagiert. Die jüdische Öffentlichkeit, die allgemeine Öffentlichkeit.“ Die Folge sei Verblüffung und die Frage gewesen, „geht man zurück hinter Nostra aetate“. Bei einem Gespräch mit dem von katholischer Seite aus für die Beziehugen zum Judentum zuständigen Kardinals Kurt Koch am Dienstagabend seien diese Missverständnisse ausgeräumt worden. „Man kann sagen, wir sind auf jeden Fall beruhigt und können dieses Beruhigungsgefühl in der jüdischen Welt Deutschlands weiter mitteilen.“

Jüdisch-katholischer Dialog: auf einem so guten Stand wie nie zuvor

Allgemein habe es im Rückblick auf die Jahre seit „Nostra aetate“ Höhen und Tiefen gegeben, das sei „ganz normal“, fügte Jehoschua Ahrens hinzu. Der junge Darmstädter Rabbiner bescheinigte dem jüdisch-katholischen Dialog, er sei heute, 2019, auf einem so guten Stand wie nie zuvor. Die Beziehungen entwickelten sich immer enger.

„Das hat sich auch gezeigt an jüdischen Erklärungen zum Christentum, das ist ja nicht durch Zufall jetzt erst in den letzten Jahren entstanden, es ist auch ein Zeichen des Vertrauens gegenüber der katholischen Kirche oder den christlichen Kirchen allgemein. Auch die Kontroverse um den emeritierten Papst Benedikt zeigt ja, dass es konstruktiv weitergeht, dass so etwas keine Dellen hinterlässt. Es gibt eine große Wertschätzung des Dialogs auf beiden Seiten.“

(vatican news)

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17. Januar 2019, 11:42