Amazonas-Synode: „Indigene wünschen sich eine Kirche, die Laudato Si lebt"
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Birgit Weiler stammt aus Duisburg und ist Missionsärztliche Schwester. Seit 1995 lehrt sie an der Jesuitenuniversität „Antonio Ruiz de Montoya“ in der peruanischen Hauptstadt Lima, außerdem ist sie Beraterin des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM. Beim vorbereitenden Treffen für die Synode diese Woche im Vatikan sprach sie über ökologische Erziehung.
Birgit Weiler: „Mir war es ein Anliegen, dass wir im Amazonasgebiet gemeinsam in Richtung Laudato Si darüber nachdenken, wie gefährdet das Amazonasgebiet ist. Die indigenen Völker erleben das jeden Tag, und wir müssen diese Sorge stärker an die Regierungen herantragen. Das Amazonasgebiet ist von Großprojekten betroffen, die oft mit Rodung verbunden sind für die Gewinnung von Erdöl, Gold und anderen Mineralien, für Stauseen zur Stromgewinnung, es gibt auch großflächige Abholzung fürs Agrobusiness, meist Palmöl. Das betrifft den Lebensraum dieser Menschen, Millionen von Menschen, darunter drei Millionen Mitglieder indigener Völker. Eine ökologische Erziehung will mithelfen zu entdecken: was können wir tun? Was ist die Alternative? Welche umweltschonenden Lebensweisen sind zu entwickeln, damit Regenwald Zukunft hat.“
Vatican News: Empfinden sich die Menschen in dieser Lage stark als Opfer? Und inwieweit sind ihnen die globalen Zusammenhänge bewusst?
Birgit Weiler: „Sie werden ihnen immer mehr bewusst, weil es Großunternehmen sind, die ins Amazonasgebiet vordringen. Etwa die beiden Völker, mit denen ich sehr verbunden bin, Awajun und Wampis – sie haben es dann direkt mit Großkonzernen zu tun. Sie sagen auch, wir setzen uns natürlich für den Regenwald ein, weil es um unsere Zukunft geht, aber wir wissen auch, wie wichtig das Amazonasgebiet für die ganze Menschheit ist als Lunge der Erde. So wie sie wissen, dass 20 Prozent des Süßwasservorkommens vom Amazonas kommt, und wie wichtig der Amazonas ist, um weltweit das Klima zu regulieren, damit Klimawandel sich nicht noch schneller vollzieht. Das alles ist ihnen sehr bewusst.“
Vatican News: Wie stark oder schwach kirchlich gebunden sind die Indigenen, mit denen Sie zu tun hat?
Birgit Weiler: „Bei den Völkern Awajun und Wampis ist die knappe Mehrheit gehört keiner christlichen Kirche an, sondern lebt die eigene, Jahrtausende alte Spiritualität. Etwas weniger als die Hälfte gehört verschiedenen christlichen Kirchen an, Pfingstkirchen sind stark vertreten, weil sie oft auch aufgespalten sind in viele kleine Kirchen. Etwas weniger als ein Drittel gehört der katholischen Kirche an.“
Vatican News: Und was wünschen sie sich von ihrer Kirche?
Birgit Weiler: „Sie wünschen sich eine Kirche, die noch sensibler gegenüber ihrer Kultur ist, etwa für die indigene Weisheit. Sie wollen, dass ihre alten Mythen und Legenden, ihre alten Riten danach gefragt werden, wie ist Gottes Geist darin schon präsent? Was können wir davon lernen? Natürlich ist für uns Jesus Christus derjenige, in dem alles seine Vollendung findet, aber das heißt ja nicht, dass das andere wertlos ist und aufgehoben wird, sondern dass da mehr Brücken geschlagen werden. Und dass wir auch die Liturgie noch stärker inkulturieren.
Vatican News: Wie kann das aussehen?
Birgit Weiler: „Welche Riten, Gesten, Farben, welche Weise Bilder zu malen, welche Ausdrucksformen, helfen indigenen Menschen zu spüren, das hier ist unser kirchlicher Raum? Da ist schon einiges geschehen: wir haben bei den Awajun und Wampis Lieder, von denen gesagt wird, die haben eine Kraft, da geschieht etwas über das Wort, den Rhythmus, die Melodie, es berührt Herzen, es bewegt Menschen, die gibt es mit christlichen Texten, und die Menschen freuen sich daran. Auch bei der Taufliturgie sind schon einige Schritte getan worden. Wie kann mit den Elementen so gearbeitet werden, dass es sehr wohl in Verbindung stehen kann mit dem christlichen Glauben, und Menschen hilft, sich in dieser Ausdruckweise dann zu Hause zu fühlen.
Vatican News: Das ist also die Frage, wie die Kirche spirituelle Heimat sein kann. Empfinden denn Indigene die Kirche auch als Unterstützerin in Fragen der Gerechtigkeit?
Birgit Weiler: „Ja. Sie haben darum gebeten, ich denke an einige Leiter und Leiterinnen der Awajun, sie haben uns gesagt, wir möchten nicht, dass ihr für uns sprecht. Sie würden nicht sagen, Kirche soll Stimme derjenigen sein, die keine Stimme haben. Wir wünschen uns von euch, ob wir Christen sind oder nicht, dass ihr mit uns geht, dass ihr uns helft, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, damit wir unsere Rechte verteidigen können und dass ihr uns helft, uns in der Rechtssprache zurechtzufinden. Zu verstehen, was ein Staat uns sagen möchte. Das ist für uns eine ganz komplizierte Sache. Ich selber habe erfahren, wie fruchtbar das sein kann. Die Awajun und Wampis haben einen Gerichtsprozess gegen den peruanischen Staat angestrengt und haben ihn inzwischen in zwei wichtigen Rechtsinstanzen in Peru gewonnen. Und sie hatten die Kirche gebeten, diesen Weg zu begleiten.“
Vatican News: „Wir haben da jetzt parallel die beiden großen Anliegen der Amazonas-Synode: der Teil der Evangelisierung, der Inkulturation – Jesus Christus in indigenen Kulturen, die Frage: wie kann Gott Heimat werden für indigene Menschen, das ist das Eine. Das andere sind die ökologischen Fragen, die Fragen der Schöpfungsgerechtigkeit. Haben Sie den Eindruck von der vorbereitenden Sitzung zur Amazonas-Synode, dass diese beiden Anliegen im Vatikan schon ganz angekommen sind?
Birgit Weiler: „Ich habe den Eindruck, sie kommen immer mehr an. Wer das ganz stark zum Ausdruck gebracht hat und uns als Kirche eingeladen hat, dass wir Jesusnachfolge leben, indem wir uns für Gerechtigkeit zwischen Menschen und Gerechtigkeit für die Schöpfung einsetzen, ist Papst Franziskus mit Laudato Si. Bei der Tagung haben das auch die Indigenen nochmals gesagt, wie prophetisch diese Worte sind. Sie wünschen sich eine Kirche, die Laudato Si lebt. Und da ist es auch ganz klar gesagt: um unsere Gottesliebe transparenter, glaubwürdiger zu machen, können wir das nicht trennen und sagen, hier wird Glauben gefeiert, Gottesbegegnung, und da werden ökologische Fragen angeschaut. Beides geht zusammen.
Vatican News: Wie lässt sich diese Vorstellung theologisch fassen?
Birgit Weiler: „Wenn wir an einen Gott glauben, der mit Liebe seine Schöpfung begleitet, und der in sich Beziehung ist – das wollen wir ja mit Gott, dem Dreifaltigen, sagen -, dann drängt uns dieser Gott auch, vertiefte Beziehung zu leben, zur Schöpfung, zu anderen, in gerechter Weise, die Sorge trägt für das Leben.“
Vatican News: Also: die Dinge im Zusammenhang sehen?
Birgit Weiler: „Das ist ja ein Satz, der am öftesten in Laudato Si auftaucht: alles ist miteinander verbunden. Und da haben die indigenen Völker zu Recht gesagt, das ist die Weisheit, aus der wir seit Jahrhunderten leben! Daran glauben wir zutiefst, aber wir wünschen uns auch, dass Kirche als Ganze das in der Praxis noch mehr einholt. Die Dinge ganzheitlicher betrachten: Dann kann ich nicht das Eine vom Anderen trennen und nicht die Augen davor zumachen, dass wir auf der Erde vielfach wir ein Wirtschaftssystem haben, das darauf zielt, alles zur Ressource zu machen. Menschen, Pflanzen, Tiere, Wasser, Luft, alles wird zur Handelsware und hat seinen Preis. Wenn wir aber so mit Leben umgeben, dann sehen wir im Amazonas klar, wie wir an die Grenzen von Leben kommen. Das ist nicht mehr tragbar. Der Amazonas droht schon zu kollabieren. Es ist eine Realität, dass die Ärmsten am meisten zu leiden haben an den Folgen einer Wirtschaft, die nicht an erster Stelle lebensdienlich ist. Es braucht eine Wirtschaft, die Intelligenz, Kapital, Energie darin setzt, so zu wirtschaften, dass es lebensförderlich ist, dass damit Gerechtigkeit gefördert wird. Das ist auf der Tagung auch von den Indigenen gesagt worden, weil sie schon die katastrophalen Folgen erleben Tag für Tag.“
Vatican News: Kann eine Bischofssynode, eine Regionalsynode, dafür sorgen, dass da mehr Bewusstsein entsteht? Natürlich handelt sie von Laudato Si, aber wenn das Schreiben nicht aufgenommen wird in Nordamerika, in Europa, in China, ist es wohl auch überflüssig, im Vatikan darüber zu sprechen, nicht?
Birgit Weiler: „Das ist genau die Herausforderung. Wir versuchen da über die neun Länder hinaus zu wirken, die Anteil am Amazonasgebiet haben, über Bischofskonferenzen und Laienorganisationen, in den USA, Kanada und Europa. Denn das Amazonasgebiet betrifft uns alle. Es ist eine Regionale Synode, aber worum es geht bei dieser Synode, ist nicht nur ein Anliegen dieser Ortskirchen, sondern es geht die Weltkirche an. Und sie ist ein Gnadenmoment, wie wir in der Glaubenssprache sagen würden. Dass Gott unsere Herzen anrühren möchte, Augen und Ohren öffnen möchte. Sodass wir sehen, im Amazonasgebiet steht so viel auf dem Spiel, was eigentlich weltweit auf dem Spiel steht: Klima, Gerechtigkeit, Ausgrenzung, Armut, indigene Völker, Frauen, die am meisten von der zunehmenden Armut betroffen sind. Es ist eine Chance, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, die Dinge anders zu gestalten. Das ist auch die Botschaft in Laudato Si: Ja, die Lage ist ernst – und zugleich ist das dieses gottgeschenkte Potential, das wir Menschen haben, die miteinander arbeiten können, Menschen verschiedener religiöser Überzeugungen, Menschen, die aus humanen Werten heraus sich für eine andere Gestaltung der Beziehungen einsetzen möchten. Und dass wir das tun, zum Wohl der Menschen, zum Wohl des Amazonasgebiets und zum Wohl der Erde als Ganzes.“
(vatican news – gs)
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