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Amazonien-Synode: Wie war's? Ein Insider-Interview

Im Vatikan endet an diesem Sonntag mit einer feierlichen Papstmesse im Petersdom die Amazonien-Synode. 21 Tage hat sie gedauert, und immer dabei in diesen drei Wochen war unsere Kollegin Gudrun Sailer. Sie figurierte als „Mitarbeiterin für Kommunikation, deutsche Sprache“ auf der amtlichen Teilnehmerliste und hatte freien Zugang zur Synodenaula. Im Bilanzgespräch blickt sie zurück auf diese Versammlung, auf das Dokument, die Themen, die Marginalien und die Befindlichkeiten.

Vatican News: Gudrun, wenn du die Synode in drei Worten zusammenfassen müsstest, welche wären es?

Gudrun Sailer: Drei Wochen in drei Worten? Ich probiere es: bewegt, mit einer Krise mittendrin, und vereint unter dem Papst. Darf ich noch was nachlegen?

Vatican News: Ich bitte darum!

Gudrun Sailer: Freudig. Nicht ängstlich, nicht besorgt – das gab es auch bei einigen wenigen, aber das war eine kleine Minderheit. Die Synode war freudig.

Vatican News: Darauf kommen wir zurück – aber lass uns schnell einen Blick auf das Schlussdokument werfen. Bringst du das, was da steht, zusammen mit dem, was die Synodalen hinter verschlossenen Türen debattiert haben?

„Das Schlussdokument kann sich sehen lassen“

Gudrun Sailer: Das Schlussdokument ja. Den Entwurf dazu weniger. Da ist viel passiert in der letzten Woche. In einem meiner zwei spanischen Sprachzirkel, bei denen ich ab und zu nach dem Rechten sehen durfte, hat nach der Präsentation des Entwurfs jemand die Frage gestellt, ob man eigentlich dem Papst verpflichtend ein Dokument vorlegen muss, so schlecht fand er diesen Entwurf. Das Schlussdokument kann sich aber sehen lassen, nach Ansicht der sehr erleichterten Synodenleute. Und übrigens, vergeblich sucht man im Schlussdokument eine Zitat aus dem Arbeitstext; dieses Instrumentum Laboris war ja verschiedentlich kritisiert worden.

Hier können Sie das Kollegengespräch in voller Länge hören.

Vatican News: Was sind die stärksten Punkte am Schlussdokument?

Gudrun Sailer: Zunächst ist die Perspektive stark. Die Perspektive der Umkehr. Alles, was in Amazonien geschehen soll aus Sicht der Kirche, verlangt Umkehr, zurück zum Evangelium. Wenn die Kirche sich ganz klar an die Seite der Indigenen, der Entrechteten, der entwurzelten Migranten in den Städten stellt, dann deshalb, weil sie Jesus treu ist. Wenn die Kirche die „Attentate auf die Natur“ in Amazonien denunziert, eine globale Energiewende fordert und ganz dringend ein neues Wirtschaftsmodell, das auf Nachhaltigkeit setzt (und diese Sachen stehen alle im Schlussdokument), dann nicht, weil es schick und easy ist und politisch korrekt, sondern weil es Jesus von uns verlangt, eigentlich immer schon verlangt hat, nur haben wir es bisher meistens nicht so ernst genommen. Jetzt schon. Genau das ist Umkehr.

„Frauendiakonat? Wenigstens nicht vom Tisch gewischt“

Vatican News: Und was ist mit Frauendiakonat und Viri probati?

Gudrun Sailer: Zu einem Diakonat der Frau äußert sich das Dokument sehr zurückhaltend. Das Thema kam allerdings häufig auf bei der Synode, und zwar meist befürwortend. Im Schlussdokument überwog die Vorsicht. Aber immerhin, das Thema wurde nicht vom Tisch gewischt. Der betreffende Absatz hat am Ende bei der Wahl ziemlich viele Neinstimmen erhalten, nämlich 30.

Vatican News: Wie interpretierst du das?

Gudrun Sailer: Mein Eindruck ist, dass vielen der Nein-Wähler (übrigens alles Männer, wie bekannt) die Position zu schwach war. Ich glaube nicht, dass die meisten dieser 30 Neinstimmen denken, über den Frauendiakonat solle man nicht einmal sprechen. Diese Haltung gibt es auch, aber ich habe sie bei der Synode aufseiten der Amazonien-Bischöfe als Minderheit erlebt.

Vatican News: Wie sind denn sonst die Frauen bei der Synode weggekommen?

„Frauen als Gemeinde-Leiterinnen“

Gudrun Sailer: Mit viel Lob und Anerkennung. Große Neuigkeiten gibt es nicht, aber mehrere kleinere, die Synode hat etwa vorgeschlagen, dass man doch bitte in Zukunft Frauen auch als Lektoren und Akolythen – also Messdiener - zulassen möge, da gibt es noch eine alte Verordnung von Paul VI., die diese Dienste nur Männern zuweist, obwohl de facto bei uns und wohl auch überall sonst Frauen im Gottesdienst schon längst Lesungen lesen, aber eben nicht als feste Beauftragung, sondern von Mal zu Mal. Außerdem sollen in Amazonien, darum hat die Synode ebenfalls gebeten, Frauen offiziell als Gemeindeleiterinnen eingesetzt werden können, auch das ist Gottseidank zum Wohl der Gemeinden dort längst der Fall, war aber eben nicht amtlich abgesichert.

Vatican News: Die meiste Ablehnung hat bei der Abstimmung über das Schlussdokument der Absatz über die Priesterweihe verheirateter Männer gefunden. Warum?

Gudrun Sailer: Ja, das ist die Frage der „viri probati“, der „erprobten Männer“, obwohl das Dokument diesen Ausdruck vermeidet. Es gab 41 Gegenstimmen. Aber 71 Prozent der Wähler stimmten eben auch dafür. Es brauchte eine Zweidrittelmehrheit, die wurde erreicht. Diesen 41 Wählern ging der Vorschlag sicherlich zu weit. Kurz erklärt: Es geht darum, in entlegenen Amazonasgemeinden, in denen über Monate oder Jahre kein Priester kommen kann, eine sakramentale Versorgung sicherzustellen. In einem solchen Fall kann der Bischof einen Ständigen Diakon, der aus dieser Gemeinde stammt und in der Gemeinde anerkannt ist, das wird extra hervorgehoben, zum Priester weihen, obwohl der Diakon eine Familie hat. Als Priester kann er Beichte hören und Eucharistie feiern. Und das ist der springende Punkt. Es geht darum, einen extremen sakramentalen Notstand in diesen Gemeinden zu beheben.

Vatican News: Und weshalb dann 41 Gegenstimmen?

„Viri probati? Nicht wenige Synodenväter hätten sich eine Abklärung auf weltkirchlicher Ebene gewünscht“

Gudrun Sailer: Nicht wenige Synodenväter hätten sich eine Abklärung auf weltkirchlicher Ebene gewünscht. Andere fürchten, dass das Modell dann auf andere Weltgegenden übertragen werden könnte, zum Beispiel Europa, was aus ihrer Sicht den Wert des Zölibats untergräbt und „Priester zweiter Klasse“ schaffen würde, das haben wir in der Aula als Argument gehört. In einer Antwort darauf in der Stunde freier Debatten hat aber ein anderer Synodaler eingewandt, er sehe da zwar auch eine Zweiklassengesellschaft, aber nicht bei den Priestern, sondern bei den Gläubigen, und das schon seit Jahrzehnten oder länger. Gläubige, die nur einmal im Jahr die Eucharistie feiern können, seien doch faktisch Gläubige zweiter Klasse, und das sei inakzeptabel in einer Kirche, für die die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens ist. Dieser Einwurf wurde mit auffallend viel Applaus bedacht. Übrigens haben mehrere Bischöfe am Rand der Synode erzählt, sie hätten schon den einen oder anderen Diakon auf ihrer Liste, den sie im Fall des Falles sofort zum Priester weihen würden.

Vatican News: Wann kann es so weit sein?

Gudrun Sailer: Das ist unklar. Die Synode beschließt nichts, sie rät. Und sie hat dem Papst mit Zweidrittelmehrheit geraten, den Amazonasbischöfen zu erlauben, ständige Diakone in entlegenen Amazonasgemeinden nach guter Ausbildung zu Priestern zu weihen. Der Ball liegt jetzt beim Papst. Er kann den Rat annehmen oder auch nicht.

Vatican News: Ebenfalls einige Gegenstimmen erhielt der mutige Vorschlag eines amazonischen Ritus. Was ist das?

„So ein Ritus wird nicht über Nacht geboren“

Gudrun Sailer: Wenn wir am Sonntag in die Messe gehen, feiern wir nach einem bestimmten Ritus, die meisten von uns feiern in der ordentlichen Form des römischen Ritus. Aber der ist nur einer von 23 katholischen Riten. Alle sind gleich katholisch und gleich gültig, sehen aber anders aus, klingen anders, fühlen sich anders an. Die Amazoniensynode schlägt jetzt einen 24. Ritus vor, und zwar mit Verweis auf die Ostkirchen. Das sind alte, traditionsverbundene Kirchen, die in Einheit mit Rom stehen und stolz sind auf ihre Eigenständigkeit, ihren eigenen Ritus, ihre eigene Disziplin, in diesen katholischen Ostkirchen gibt es ja auch verheiratete Priester. So etwas soll nun also für Amazonien entstehen.

Vatican News: Wird das lange dauern, bis man eine Messe im amazonischen Ritus feiern kann?

Gudrun Sailer: Davon ist auszugehen. So ein Ritus wird nicht über Nacht geboren und eigentlich normalerweise auch nicht als Beschluss. Franziskus hat gesagt, dafür ist meine Liturgiekongregation – geleitet von Kardinal Robert Sarah – zuständig, dort könne man Vorschläge einreichen. Und er hat das Vorhaben des amazonischen Ritus grundsätzlich ermutigt: „Haben wir keine Angst vor Organisationen, die ein eigenes Erbe verwalten“, hat er den Synodalen gesagt, „unsere Mutter Kirche wacht darüber, dass wir uns nicht spalten. Keine Angst!“

Vatican News: Du hast eingangs gesagt, die Synode hatte eine Krise mittendrin. Wie war das?

„Mittendrin gab's eine Krise“

Gudrun Sailer: Da waren alle ein wenig mutlos. Es war eine Phase, in der man schon viele der übrigens oft sehr eindrucksvollen Redebeiträge im Plenum gehört hatte, die allereindrucksvollsten übrigens von Laien, gerne auch Frauen, die waren sehr, sehr stark. Die Sprachzirkel haben dann begonnen, an ihren Texten zu arbeiten. Und dann kam es zu einem Stillstand, zu einer Art Trockenheit, Wüstenphase, wie auch immer. Dem Papst ist das auch aufgefallen. Und dann kam er mit einer kleinen geistlichen Anregung. Das dauerte gar nicht lange. Er sprach ein paar Minuten im Plenum vom „Überfließen“, auf Spanisch „desborde“. Das fehle ihm in den Texten, sagte er. In den 24 Stunden danach ist dieses „Wasser“, das in Amazoniens Kulturen ja einen so zentralen Stellenwert hat, dann quasi zurückgeflosssen in die Synode. Eine Kollegin, die einen italienischen Sprachzirkel beobachtet hat, sagte mir, sie habe da wirklich den Atem des Heiligen Geistes gespürt.

Vatican News: Hast du in diesen drei Wochen Unterschiede zwischen Synode und Synodenberichterstattung bemerkt?

Gudrun Sailer: Ja, große Unterschiede. Im angelsächsischen Raum und darüber hinaus gibt es ja einige Medien, die vorgeblich über die Synode berichten, sie aber dann nur zum Anlass nehmen, an der Synode und am Papst Kritik zu üben. Synode und Papst kann man natürlich kritisieren. Aber hie und da hat aus meiner Sicht der Wille gefehlt, sich mit den zentralen Anliegen der Synode auseinanderzusetzen. Da habe ich nachvollziehen können, was Papst Benedikt gemeint hat, als er einmal davon sprach, es habe das echte Konzil gegeben und das Konzil der Medien. Trotzdem möchte ich sagen: Der Großteil der Medienleute und ihrer Berichterstattung war gut. Eine Synode ist immer eine kommunikative Herausforderung, weil es eine deutliche Grenze zwischen innen und außen gibt, die dann aber doch immer wieder aufgebrochen wird, auch vom Vatikan gewollt, es fanden ja tägliche Pressebriefings statt. Und die Synodalen konnten auch frei Interviews geben.

Vatican News: Die Synode war freudig, hast du auch gesagt. Wo hast du das wahrgenommen?

Gudrun Sailer: Es gab ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Viel Offenheit war da, und der aufrichtige Wille, die anderen zu hören und ernstzunehmen. In meinen spanischen Sprachzirkeln waren nicht immer alle einer Meinung, aber alle wollten einen echten, ehrlichen Austausch, und die eine oder andere witzige Bemerkung hat das alles harmonisiert. Ein echtes Miteinander. Mein Eindruck ist, die Leute - und die meisten von ihnen waren noch nie bei einer Synode, auch von den Bischöfen nicht – hatten das Gefühl, an etwas wirklich Bedeutsamem mitwirken zu können, für die Kirche und die Welt. Und der Papst hat sie alle zusammengehalten. Ich habe da drin verstanden, was der Papst meint, wenn er sagt, die Synode sei „cum Petro et sub Petro“, mit und unter Petrus, der die Einheit garantiert. Es war eine ganz klar katholische Erfahrung.

(vatican news - gs/sk)

 

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27. Oktober 2019, 09:41