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Pater Hans Zollner bei einem Vortrag Pater Hans Zollner bei einem Vortrag 

Kinderschutzexperte Zollner: „Zuhören und nicht davonlaufen“

Vor ziemlich genau einem Jahr, vom 21. Bis zum 24. Februar, gab es im Vatikan erstmals eine große kirchliche Kinderschutz-Konferenz, die der Papst einberufen hatte. Einer der Organisatoren war der katholische Kinderschutz-Experte Hans Zollner. Im Interview mit Radio Vatikan blickt er zurück auf die Entwicklungen in Sachen Kinderschutz in diesem Jahr.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Pater Zollner, Leiter des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, sieht ein Jahr nach dem Kinderschutzgipfel im Vatikan „Grund zur Hoffnung“. Es habe in der Weltkirche und im Vatikan konkrete Änderungen zur Missbrauchsprävention gegeben, sagt er im Interview mit uns. Zollner erinnert etwa an ein Gesetz, das im Juni 2019 in Kraft trat und viele Neuregelungen zum Kinderschutz einführte: etwa eine allgemeine Meldepflicht für Priester und Ordensleute, wenn sie von Missbrauchsfällen erfahren. Zudem wurde auch die Rechenschaftspflicht in einem ersten Schritt definiert – wenn es um Anschuldigungen von Vertuschung von Missbrauch durch Bischöfe oder andere Kirchenobere geht. Doch das war noch nicht alles, erinnert der Jesuit:

„Grund zur Hoffnung“

„Dann haben wir im Dezember noch einmal drei wichtige Punkte durch eine päpstliche Entscheidung auf Weltebene verändert bekommen, die Anhebung des Alters in Bezug auf kinderpornografisches Material, von 14 auf 18 Jahre. Wir haben das sogenannte ,Päpstliche Geheimnis' nicht mehr, als Möglichkeit um eine Zusammenarbeit mit den staatlichen Autoritäten zu umgehen. Das Päpstliche Geheimnis wurde da aufgehoben. Und schließlich wurde Laien, die im Kirchenrecht ausgebildet sind, in den innerkirchlichen Strafprozessen eine größere Rolle gegeben. “

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Größeres Problembewusstsein

Außerdem ist sich der Experte sicher, dass es  durch den Kinderschutzgipfel im Vatikan bei den Teilnehmern ein viel größeres Problembewusstsein gibt. Vor allem in Gegenden, wo bis vor einigen Jahren über dieses Thema geschwiegen wurde, sei es nun „ganz klar, auch im Einklang mit den Änderungen der Gesetzeslage“. Auch die Bereitschaft zu handeln habe zugenommen. Zu Zweifeln und Kritik, dass Papst Franziskus wirklich mit allen Mitteln auf Transparenz in der Aufarbeitung von Missbrauch drängt, sagt Zollner:

„Das kann man nachvollziehen, wenn man die kirchlichen Abläufe nicht kennt. Also man weiß zum Beispiel nicht, dass die Personalakten, wenn sie denn da sind, in den Diözesen lagern, nicht im Vatikan. Deshalb ist es immer auch auf Ortsebene eine Herausforderung und die Aufgabe der jeweiligen Diözese oder jeweiligen Ordensprovinz, da voranzugehen. Wie es ja in Teilen der angelsächsischen Welt sowieso gang und gäbe ist. Was wir immer wieder hören, auch innerhalb der vatikanischen Behörden, ist, dass es um die Klarheit geht, wie viele Fälle tatsächlich von Anklagen an die Glaubenskongregation gehen, aus welchen Ländern die kommen. Ich gehe davon aus, dass da nicht nur an einer Statistik gearbeitet wird, die innerbehördlich verwendet wird, sondern dass das in absehbarer Zeit tatsächlich auch kommunizierbar sein wird.“

„Ich gehe davon aus, dass da nicht nur an einer Statistik gearbeitet wird, die innerbehördlich verwendet wird“

Sexueller Missbrauch an Ordensfrauen 

Auch auf ein eher neues Kapitel in der Frage des Missbrauchs in der Kirche, den sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen, geht Pater Zollner im Interview mit Radio Vatikan ein. Trotz eines Aufrufs der Vereinigung der Ordensoberinnen sind bisher noch nicht sehr viele Fälle bekannt, obwohl es sie ganz sicher gibt. Zollners Meinung nach wird es noch eine Weile dauern, bis die Ordensfrauen ihr Schweigen brechen:

„Zum einen muss man bedenken, dass es in Bezug auf den Missbrauch von Ordensfrauen durch Priester genauso abläuft wie vor 15 oder 20 Jahren, als es um Kindermissbrauch durch Priester ging: dass nämlich Betroffene sich sehr schwertun, darüber zu sprechen, dass sie sich nicht ermutigt fühlen. Deshalb wird man auch noch einige Jahre warten müssen, bis einigermaßen das Klima da ist, damit diese Ordensfrauen frei und in der Öffentlichkeit darüber sprechen können.“

„Dass es nämlich keinen Sinn macht, für niemanden, dass man darüber schweigt, dass man versucht sich rauszureden oder dass man leugnet“

Die Lage sei in verschiedenen Weltgegenden zudem völlig unterschiedlich, referiert Zollner, der als kirchlicher Kinderschutzfachmann in allen Erdteilen unterwegs ist. Im südlichen Afrika sei Missbrauch von Ordensfrauen „sicher ein ziemliches Problem“, auch aufgrund verschiedener finanzieller Abhängigkeiten von weiblichen Ordensgemeinschaften gegenüber Bischöfen oder männlichen Ordensgemeinschaften. So gebe es Verstrickungen, die erschwerten, dass Betroffene „in Freiheit und mit aller Klarheit über das reden, was da an Verbrechen geschehen ist“. Zollner hält es für essentiell, aus den bisherigen Erfahrungen mit Missbrauch in der katholischen Kirche zu lernen:

„Dass es nämlich keinen Sinn macht, für niemanden, dass man darüber schweigt, dass man versucht sich rauszureden oder dass man leugnet. Es wird ans Tageslicht kommen und es wird so sein müssen. Die Wahrheit macht uns frei, hat unser Herr gesagt, und ich glaube, dass wir da noch sehr viel auch das Vertrauen in dieses Wort Jesu lernen müssen.“

„Sich dem stellen, was immer da an Bitterkeit, an Wut, an Zorn, an Enttäuschung geäußert wird“

Was sollte die katholische Kirche also tun, wenn Missbrauch an Ordensfrauen bekannt wird, und wenn die Betroffenen sich schließlich äußern, möglicherweise gehäuft und auch in geballter, wütender Form? Kinderschutzexperte Zollner rät:

„Sich dem stellen, was immer da an Bitterkeit, an Wut, an Zorn, an Enttäuschung geäußert wird. Und den Schmerz, der da dahintersteckt, spüren und teilen. Und soweit als möglich auch miterleiden. Wenn das Betroffene spüren, dann kann es möglich sein, dass sie wenigstens einen Frieden finden für sich selber. Unter Umständen auch mit dem, was in ihrem Leben an Schlimmem geschehen ist. Das Zweite ist, dass man versucht, heute alles zu ändern, was zu weiterem Missbrauch führt, also Präventionsarbeit. Und dass wir mehr und mehr dazu kommen, zu erkennen, dass die Kirche – die ja über Jahrhunderte und Jahrtausende ein Hort der Erziehung und des Aufwachsens und der Sicherheit war – für manche Menschen, in manchen Bereichen dies nicht gewährleistet hat. Deshalb müssen wir schauen, was sind die systemischen Komponenten, die Missbrauch ermöglicht haben und was sind die Schlüsse, die wir daraus ziehen müssen, im Blick auf Rechenschaftspflicht, im Blick auf das Einhalten von Gesetzen, im Blick darauf, wie wir Personal auswählen oder ausbilden, in Blick darauf, welche Arten von Supervision und weiteren Fortbildungen es gibt. Das sind sehr viele Dinge, die in vielen Gegenden schon gut auf dem Weg sind, aber die wir für die gesamte Kirche auch noch deutlich verbessern und ausbreiten müssen.“

Reaktionelle Mitarbeit: Stefanie Stahlhofen und Marietta Trendl. 

(vatican news - gs/mt/sst)

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19. Februar 2020, 14:00