Vatikan veröffentlicht Kreuzweg-Meditationen
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Auch die Tochter und die Mutter eines Häftlings, ein Richter und ein Justizvollzugsbeamter gehören zu den Textern. Damit wird der Kreuzweg, dessen Meditationen zu den 14 Stationen an diesem Montag vom Vatikan bekanntgegeben wurden, zu einem betenden Eintauchen in die Welt des Strafvollzugs, konkret: der Justizvollzugsanstalt „Due Palazzi“ in Padua, verhelfen.
Alle diesjährigen Kreuzwegmeditationen finden Sie hier auf Deutsch zum Nachlesen.
Es gehe darum, Christus auf seinem Kreuzweg „mit der rauen Stimme der Menschen, die in der Welt der Gefängnisse leben, zu begleiten“, heißt es in der Einleitung. Ein „Duell zwischen dem Leben und dem Tod“ entfalte sich hier, bei dem auch deutlich werde, wie untrennbar „die Fäden des Guten“ mit denen des Bösen verwirrt seien.
Es ist ein zu lebenslänglicher Haft Verurteilter, der sich der ersten Kreuzwegstation – Jesus wird zum Tode verurteilt – angenommen hat. Den Schrei „Kreuzige ihn“ habe er auch selbst gehört, schreibt er; seine Kreuzigung habe begonnen, als er noch ein Kind gewesen sei, ein Kind aus schwierigen Verhältnissen. Für seine Vergangenheit fühle er heute nur noch Scham. „Nach 29 Jahren hinter Gittern habe ich noch nicht die Fähigkeit, zu weinen, verloren. Die Fähigkeit, mich für das Böse, das ich angerichtet habe, zu schämen.“
Doch die zweite Station – Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern – sorgt für einen jähen Wechsel der Perspektive: Diesmal sind es Eltern, deren Tochter ermordet worden ist. „Unser Leben bestand aus so vielen Opfern“, schreiben sie. „Oft fragen wir uns: Warum musste gerade uns das passieren? Wir finden keinen Frieden.“
Hinter Gittern kennt jeder einen Simon von Cyrene
Und so geht es weiter – der Kreuzweg Jesu nach Golgota, gespiegelt in den Schicksalen heutiger Norditaliener. Jesu erster Fall unter dem Kreuz (die dritte Station des Kreuzwegs) wird durch die Brille eines Mörders gedeutet („es war die Wut eines Augenblicks“), die Begegnung Jesu mit seiner Mutter (vierte Station) durch die Brille der Mutter eines Häftlings.
„In den Gefängnissen kennt jeder einen Simon von Cyrene“, kommentiert ein Häftling die fünfte Station, in der der zufällig vorbeikommende Passant Jesus seinen Kreuzbalken tragen hilft: „Ich meine die Freiwilligen, die auf diesen Kalvarienberg hinausteigen, um uns beim Tragen unseres Kreuzes zu helfen.“ Aber auch sein Zellengenosse, der zu überraschender Großzügigkeit imstande sei, erscheine ihm wie ein Simon von Cyrene, so der Häftling weiter. Und er sinniert: „Ich altere in der Haft… Aber ich träume davon, eines Tages wieder Zutrauen zum Menschen zu haben. Und ein Simon von Cyrene für jemand anderen zu werden.“
Bedrückende Aktualisierungen des Geschehens von Golgota
Viele der diesjährigen Kreuzweg-Texte sind wirklich bewegend. Zum Beispiel die Zeilen eines inhaftierten Dealers zur siebten Station, der hinter Gittern davon träumt, „mir ein neues Leben aufzubauen“, und der „für alle betet, die noch nicht der Macht des Satans und den tausenderlei Formen seiner Verführungskunst entkommen sind“.
„Seit 28 Jahren erdulde ich die Strafe, ohne Vater aufzuwachsen“, schreibt die Tochter eines zu lebenslanger Haft Verurteilten mit Blick auf die achte Station (Jesus begegnet den weinenden Frauen). Das Leben ihrer ganzen Familie liegt in Trümmern; sie selbst hofft auf eine Rückkehr ihres Vaters. „Für solche wie uns ist die Hoffnung eine Pflicht.“ Es sind bedrückende Aktualisierungen des Geschehens von Golgota vor 2.000 Jahren.
Zu Unrecht des Missbrauchs beschuldigt
An der zehnten Kreuzwegstation wird Jesus seiner Kleider beraubt. Das gibt einer Strafvollzugs-Pädagogin Gelegenheit zu der Bemerkung, sie kenne viele Menschen, die in Haft ihrer Würde, ihrer Selbstachtung, auch der Achtung vor anderen Menschen verlustig gingen. Über die elfte Station (Jesus wird ans Kreuz genagelt) meditiert ein Priester, der zu Unrecht des Missbrauchs angeklagt worden war und schließlich freigesprochen wurde. Zehn Jahre habe sein persönlicher Kreuzweg gedauert, geprägt von Verdächtigungen und Beleidigungen. „Aus Scham habe ich auch einmal darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, ich würde der Sache ein Ende machen. Aber dann habe ich beschlossen, der Priester zu bleiben, der ich immer gewesen bin.“
Er habe in all diesen Jahren für den Jungen, der ihn beschuldigte, gebetet. „Am Tag, als ich dann freigesprochen wurde, habe ich gemerkt, dass ich glücklicher war als zehn Jahre zuvor: Ich hatte das Wirken Gottes in meinem Leben gespürt. Am Kreuz hängend war mein Priestertum mit neuem Sinn aufgeladen worden.“
Ein Staatsanwalt, ein Freiwilliger, ein Polizist
Den Text zur entscheidenden zwölften Station (Jesus stirbt am Kreuz) hat ausgerechnet ein Richter verfasst: „Wahre Gerechtigkeit“, so schreibt er, „ist nur durch Barmherzigkeit möglich, die einen Menschen nicht für immer ans Kreuz schlägt.“ Und zur dreizehnten Station, dem Pietà-Moment der Kreuzabnahme, steuert ein Ordensbruder seinen Kommentar bei, der seit sechzig Jahren freiwilligen Dienst in Haftanstalten leistet. „Wir Christen bilden uns oft ein, etwas Besseres zu sein“, sinniert er; doch er selbst verstumme angesichts „so vieler Gesichter, die vom Bösen gezeichnet sind“, und versuche, „ihnen barmherzig zuzuhören“.
Vieles vom Drama aus Schuld und Sühne, aus Scham und Eingeschlossensein ist in den diesjährigen Kreuzweg mit dem Papst eingegangen. Dass Jesus in der letzten, der 14. Station zu Grabe getragen wird, darf ein Justizvollzugsbeamter kommentieren, der zugleich Ständiger Diakon ist. Er spricht von der Notwendigkeit, Menschen mit schweren Brüchen in ihrer Biografie wieder eine neue Chance zu geben. Dazu komme es sehr auf Gesten, Zuhören und auf die richtigen Worte an. „Bei Gott wird keine Sünde jemals das letzte Wort behalten.“
(vatican news)
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