Pater Hans Zollner SJ Pater Hans Zollner SJ 

Pater Zollner: Kinderschutz in der Corona-Krise stärken

„Kinderschutz zur Zeit der Covid-19-Pandemie“ ist das Thema eines Webinars an diesem Freitagnachmittag, das vom Internationalen Schutzverband (ISC) ausgerichtet wird. Das Online-Seminar ist Teil einer Reihe von Livestream-Workshops, die sich an kirchliche Präventionsbeauftrage und Missbrauchsexperten richten. Das große Ziel: die katholische Kirche sicherer zu machen für Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene. Der päpstliche Kinderschutzbeauftragte Pater Hans Zollner gehört dem ISC-Lenkungsausschuss an und erklärt im Interview mit uns die Details.


Anne Preckel - Vatikanstadt

„Es geht um drei Dinge. Es geht darum, darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen in dieser Zeit des Lockdown, der Pandemie, gefährdet sind und dass man das nicht vergisst. Dass es besonders Kinder, Jugendliche und schutzbefohlene Erwachsene sind, die unter dieser Situation leiden und auch Opfer von Missbrauchsgeschehnissen der Vergangenheit sind, die sie wieder einholen, wenn sie in Wohnungen gefangen sind. Das Zweite: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass es Menschen gibt, die für andere einstehen. Das heißt: Dieses Webinar richtet sich ja an Leute, die in Diözesen, in Ordensgemeinschaften, für die Bischofskonferenzen und in anderen Zusammenhängen als Interventions- und Präventionsexperten und –Verantwortliche arbeiten. Und wir wollen denen auch zeigen, dass sie nicht alleine sind. Das Dritte: Wir wollen aus der Sicht von Betroffenen und möglichen Betroffenen darauf hinweisen, was notwendig ist, um Menschen beizustehen, die jetzt mehr gefährdet sind als in ,normalen’ Zeiten.“

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Kinderschutzgipfel im Vatikan zeigte Wirkung

Das päpstliche Kinderschutzzentrum an der Universität Gregoriana in Rom, das P. Zollner leitet, bietet seit Jahren E-Learning-Programme für Missbrauchsprävention an, die sich an kirchliche Mitarbeitende weltweit richten. Weltweit Wirkung gezeigt hat laut dem Jesuiten die große Vatikan-Konferenz zum Thema Kinderschutz vom Februar 2019, die Zollner als päpstlicher Missbrauchsbeauftragter mit ausrichtete. Papst Franziskus lud dafür Bischöfe und Ordensvertreter aus allen Erdteilen nach Rom, um über das Problem des Missbrauchs in der Kirche und Präventionsmöglichkeiten zu sprechen. Nach dem Gipfel, der bewusst auch Missbrauchs-Überlebende einband, sei in vielen Bischofskonferenzen der Welt „sehr viel klarer“ die Notwendigkeit erkannt worden, in den Kinderschutz und die Ausbildung entsprechender Experten zu investieren, so P. Zollner. Das zeige sich auch an den Anmeldungen für die Seminare des Kinderschutzzentrums.

„Deswegen ist es auch wichtig, dass wir fortfahren mit der Ausbildung und der Fortbildung von Experten in dem Bereich Safeguarding! Und deswegen bin ich froh, dass wir für unser nächstes Studienjahr, das natürlich unter besonderen Bedingungen stattfinden wird, sehr viel mehr Kandidaten und Kandidatinnen haben werden am ,Center for Child Protection’ der Gregoriana als in den vergangenen Jahren. Es scheint tatsächlich, dass mehr und mehr auch weltweit wahrgenommen wird, dass es Leute geben muss, die kompetent und gut ausgebildet sein müssen, um Safeguarding für kirchliche und nicht-kirchliche Institutionen gut aufzustellen und zu implementieren.“

Prävention muss auch jetzt weitergehen

Im Internationalen Schutzverband (ISC) gehört P. Zollner zum Lenkungsausschuss. Die an diesem Freitag startende Webinar-Reihe des ISC will zum Zugehen auf Betroffene ermutigen und die katholische Kirche wie auch konfessionelle Gruppen dazu bringen, ihre Präventionsprogramme trotz der Corona-Krise fortzusetzen. Angesichts der wirtschaftlichen Einbußen durch die Maßnahmen zur Seucheneindämmung könnte es bei Kinderschutz-Programmen zu Kürzungen kommen, befürchten viele Experten. So auch Pater Zollner. Derzeit sei zwar noch nicht abzusehen, wieviel am Ende fehlen werde, aber die Einnahmen des Staates, der Kirche, von Stiftungen und internationaler Organisationen würden absehbar zurückgehen.

„Es ist zu erwarten, dass überall gekürzt wird. Die große Sorge ist eben, dass auch und vor allem dort gekürzt wird, wo die wenigsten Widerstände sind. Und Kinder, Jugendliche und schutzbefohlene Erwachsene haben keine Lobby. Deshalb ist zu befürchten, dass sich hier Kürzungen am meisten auswirken werden. Hinzu kommt noch, dass das Thema sexualisierte Gewalt ein sehr unangenehmes Thema ist in Kirche und Gesellschaft, dass man nicht darüber reden will, und dass so eine Zeit, wie wir sie jetzt erleben – wo sich alles konzentriert auf Gesundheitsvorsorge und wirtschaftliche Fragen – dass dann aber eben andere Themen hinten runterfallen. Es ist zu erwarten, dass das auch die Gefahr sein könnte bei den Fragen, die die Präventionsarbeit angehen.“

Was das Päpstliche Kinderschutzzentrum zur Zeit der Corona-Pandemie betreffe, sei die Arbeit weitergegangen, berichtet P. Zollner. Im Homeoffice, so gut es eben ging und mit „intensiver“ Kommunikation. In dieser Zeit habe das CCP gemeinsam mit Ordensoberinnen eine Reihe von Webinars organisiert, bei denen es um Prävention und Anti-Missbrauchs-Maßnahmen geht.

Zunahme der Gewalt im Lockdown

Medienberichte in Pandemiezeiten deuten auf eine Zunahme der Gewalt gegen Kinder und eine Zunahme der Fälle von häuslicher Gewalt in den letzten Wochen hin. Auf eine Zunahme bedenklicher Internetaktivität in Zusammenhang mit Kinderpornografie verwies jüngst etwa die italienische Kinderschutzorganisation Meter. Es gebe bereits einige Studien, die diese Tendenz bestätigten, so Pater Zollner:

„Sexualisiertes Material von Kindern und Jugendlichen wird in aller Wahrscheinlichkeit von mehr Menschen jetzt konsumiert, weil sie sehr oft vor dem Computer sitzen, nicht wissen, was sie tun sollen, keine Arbeit haben und keine anderen Ablenkungsmöglichkeiten - und auch keine Kontrollmöglichkeiten da sind." Eine Zunahme der Gewalt gegen Minderjährige via Web steht laut Zollner „zu erwarten. Empirisch lässt sich das an einigen wenigen Studien schon belegen, aber das ist natürlich zu früh, auch einen Vergleich anzustellen. Aber alle Indizien, die wir bisher haben, deuten darauf hin, dass die ein deutlich größeres Problem in so einer Zeit ist als wenn viel mehr Kontaktmöglichkeiten und Bewegung da ist und die Leute weniger vor dem Computer sitzen.“

Anhebung des Schutzalters wichtiger Schritt

Mit Blick auf den verstärkten Einsatz des Heiligen Stuhls im Kampf gegen Kinderpornografie in den letzten Jahren erinnert der Jesuit an eine entscheidende Maßnahme des amtierenden Papstes. Franziskus ließ im Dezember 2019 das Schutzalter der durch Pornografie und sexualisierte Darstellungen Betroffenen von 14 auf 18 Jahre anheben. Dies habe weitreichende Auswirkungen auf die „gesamtkirchliche Gesetzgebung“ gehabt, so Zollner – und Folgen für die Konsumenten der entsprechenden Filme und Bilder.

„Wer so etwas als Priester, Kleriker, Ordensmann oder –frau konsumiert, ist jetzt bestrafbar, auch wenn es sich um ein Alter handelt von 18 Jahren. Vorher war das nur bis 14 Jahre so gewesen, aus einer älteren Gesetzgebung her ist es etwa noch zehn Jahre so gewesen, aber das hat Papst Franziskus eben jetzt geändert, und damit hat er die Grundlage geschaffen, dass nicht nur die staatlichen Gesetze dann greifen, sondern auch eine kirchenrechtliche Vorschrift da ist, die klar definiert, was die Altersgrenze ist und sich damit angepasst hat an die staatlichen Gesetzgebungen wahrscheinlich überall auf der Welt.“

Debatte über Sexualität notwendig

Vorschriften und Gesetze haben das Phänomen freilich bisher kaum mindern können. Das Pornografie-Geschäft boomt, die Übergänge zur Kinderpornografie sind dabei fließend. Braucht es da nicht neben Gesetzen, Präventionsmaßnahmen und der Ausbildung von Kinderschutzexperten auch eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Missbrauch und damit verbundene Bilder von Sexualität? P. Zollner sagt:  

„Ja! Es wird ja immer gesagt, dass in der Kirche ein verstaubtes, ein verklemmtes Verhältnis zur Sexualität vorliegt. Das kann man in manchen Bereichen nicht leugnen, aber ich glaube auch, dass sich die Gesellschaft als solche etwas vormacht, wenn sie meint, dass mit einer Lockerung oder mit einer vermeintlichen Freiheit für alles eine gesunde, reife Sexualität entwickelt werden kann. Die Debatte müsste darüber geführt werden, die müsste auch über den Konsum von Pornografie geführt werden. Da gibt es viele Studien, die besagen, und das ist nicht kirchlich gesteuert, dass zum Beispiel bestimmte Arten von Pornografie, wenn sie konsumiert werden, eben zur Fortdauer eines männerdominierten Sexualverhaltens und Geschlechterverhältnisses beitragen, dass sie zu Gewalt und auch zu Arten von Sexualitätsauslebung führen, die sehr schwierig sind, vor allem in Beziehungen und vor allem im Blick auf Kinder und Jugendliche.“

Profit-Interessen behindern besseren Schutz

Die Debatte werde allerdings „sehr schwer zu führen sein“, befürchtet Zollner. Und er erläutert, warum:

„Sexualität ist vermutlich einer der größten Wirtschaftsfaktoren im Internet, da stehen gewaltige Summen dahinter, gewaltige Interessen, und es gibt nicht sehr viele Leute, die sich da hineinwagen. Da würde man sofort auf massiven Widerstand stoßen, nicht nur unter der Überschrift: Wir wollen uns unsere Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung nicht nehmen lassen, was bei vielen als eine Beliebigkeit gesehen wird oder jedenfalls proklamiert wird, was mit den menschlichen, den biologischen Bedingungen, mit den emotionalen Bindungen kaum vereinbar ist. Sondern man müsste es auch mit einer Lobby aufnehmen, die da sehr viel Geld verdient. Und diese Bereitschaft sehe ich kaum.“

Das erste Webinar der Reihe: A Safer Church startet am 29. Mai um 15 Uhr. Dabei soll es u.a. um die Frage gehen, wie die Opfer von Missbrauch diese schwierige Zeit erleben. Der Internationale Schutzverband (ISC) bietet Ausbildung und Training für Menschen an, die sich für den Schutz von Kindern und gefährdeten Erwachsenen einsetzen. Ziel ist dabei Kinderschutz als Priorität von Institutionen und Organisationen zu verankern.

(vatican news – pr)
 

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29. Mai 2020, 07:30