Kardinal Parolin: Nicht die Wirtschaft, sondern die Person steht im Vordergrund
L´Osservatore Romano
„Die Pandemie lehrt uns auf dramatische Weise, dass niemand es allein schaffen kann: eine gemeinsame und koordinierte Reaktion ist notwendig, um mit dem Virus fertig zu werden. Dasselbe gilt für die Heilung der Übel von Gleichgültigkeit, Einsamkeit und Feindschaft“, sagt Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Interview mit Carlo Di Cicco, das am Donnerstag, auf der Website www.ripartelitalia.it veröffentlicht wurde. Das Internetportal ist ein Think-Tank, der eingerichtet wurde, um die Entwicklung Italiens nach der brutalen Rezession im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie zu fördern.
„Im Vordergrund steht nicht die Wirtschaft als solche, sondern der Mensch“, erklärt der Kardinal. Covid-19 habe nicht nur eine Gesundheitskrise verursacht, sondern viele Aspekte des menschlichen Lebens beeinflusst: Familie, Politik, Arbeit, Wirtschaft, Handel, Tourismus und vieles mehr, fügt Parolin an. Der expansive und vernetzte Charakter der Pandemie erinnere uns ständig an die Feststellung von Papst Franziskus, dass „alles miteinander verbunden ist“.
Gewährleistung der Integrität der Person
Da alle Regierungen gezwungen waren, drastische Maßnahmen zu ergreifen, bis hin zur Einstellung so vieler wirtschaftlicher Aktivitäten zur Bekämpfung der Pandemie, so bedeute dies, dass nicht die Wirtschaft, „sondern der Mensch im Vordergrund steht“, so Kardinal Parolin. Es bedeute vor allem, sich um die Gesundheit zu kümmern. Aber, so fährt er fort, „die Soziallehre der Kirche, die in der christlichen Anthropologie verwurzelt ist, erinnert uns daran, dass wir uns nicht darauf beschränken dürfen, uns nur um die Gesundheit des Körpers zu kümmern“. „Wir müssen die Unversehrtheit der menschlichen Person, die daher das Hauptziel des politischen und wirtschaftlichen Engagements sein muss, in einer Ethik der gemeinsamen Verantwortung im gemeinsamen Haus pflegen.“
Deshalb - so betont der Kardinal - lade uns die Kirche ein, die Berufung der Wirtschaft im Dienste des Menschen wiederzuentdecken, um allen die notwendigen Voraussetzungen für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung und ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. „Jetzt mehr denn je“, zitierte Parolin den Papst, der dies zu Ostern am 11. April gesagt hatte. Es sei die Zeit gekommen, Personen, Gemeinschaften und Völker, die im Zentrum stehen müssen, zu vereinen, um zu heilen, zu pflegen und zu teilen“.
Für Kardinal Parolin müssten daher bestimmte Gefahren hervorgehoben werden, die sich im Kampf gegen die Pandemie gezeigt hätten, wie z.B. das Vorherrschen reduktiver anthropologischer Ansätze, die durch die Konzentration auf die körperliche Gesundheit die Gefahr bergen, dass die spirituellen Dimensionen als vernachlässigbar angesehen würden. In der dramatischen Notsituation, „die wir erlebt haben“, fährt er fort, „haben wir die Beschränkung der Interpretation von Gesundheitsfragen nach ausschließlich technischen Paradigmen erlebt, wodurch bestimmte Grundbedürfnisse praktisch verleugnet wurden, zum Beispiel durch die Behinderung der Nähe von Familienmitgliedern und der geistlichen Begleitung von Kranken und Sterbenden. Dies erfordert weitere Überlegungen zu den vielen Fragen, die uns die Pandemie gestellt hat“.
Bewusstsein der gemeinsamen Fragilität
Die Pandemie „hat sowohl unsere gegenseitige Abhängigkeit als auch unsere gemeinsame Schwäche, eine gemeinsame Zerbrechlichkeit, offenbart“, sagte der Staatssekretär des Heiligen Stuhls. „Als die Logik der nuklearen Abschreckung dominierte - erinnert er sich - betonte Johannes XXIII. in Pacem in Terris die Interdependenz zwischen den politischen Gemeinschaften: „Keine politische Gemeinschaft ist heute in der Lage, ihre Interessen zu verfolgen und sich zu entwickeln, indem sie sich in sich selbst verschließt.“ Und Papst Franziskus betonte in der Enzyklika Laudato Si: „Die Interdependenz verpflichtet uns, an eine einzige Welt, ein gemeinsames Projekt zu denken.“ Auf der anderen Seite - daran erinnerte Johannes Paul II. in der Enzyklika Sollicitudo Rei Socialis - stehen wir heute vor einer technologischen, sozialen und politischen Interdependenz, die dringend eine Ethik der Solidarität erfordert.“
Abschließend hofft Kardinal Parolin, „dass das, was wir in den ersten Monaten der Pandemie erlebt haben, bei vielen Gläubigen ein größeres Bewusstsein für das sakramentale Leben sowie den Wunsch und die Erwartung einer lebendigeren Teilnahme an der Liturgie, dem Gipfel und der Quelle des ganzen Lebens der Kirche genährt hat“.
(Übersetzt von Mario Galgano)
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