Vatikan: Immer mehr Botschafterinnen beim Heiligen Stuhl
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Es fing an mit einer Whatsapp-Gruppe. Im harten italienischen Corona-Lockdown des Frühjahrs 2020 fühlten die britische Botschafterin beim Heiligen Stuhl Sally Axworthy und ihre kanadische Kollegin Isabelle Savard das Verlangen, sich hin und wieder informell mit anderen Diplomatinnen beim Heiligen Stuhl auszutauschen – ungefähr 20. Schnell entstand die Idee, kompetente Gäste zu Hintergrundgesprächen per Zoom einzuladen, und die Themen changierten zwischen Kirche, Politik und Kirchenpolitik. Unter anderem interessierten sich die Botschafterinnen für die Antwort der Heiligen Stuhles auf COVID, die Rolle von Laien in der Kirche und die Aufgaben und Perspektiven von Frauen im Vatikan.
Ungewöhnliches Verhältnis: 30 Anwesende, nur drei Männer
Das Netzwerk der Botschafterinnen ist ausdrücklich informell, es hat keine Statuten, keine Einschreiblisten und keine politische Ausrichtung, und auch das Treffen politischer Absprachen gehört nicht zu seinen Zielen. Aber die Diplomatinnen finden den Austausch mit ihresgleichen bereichernd. „Vieles entsteht, weil man sieht, dass es gut ist, und entwickelt sich weiter“, so formuliert es eine Botschafterin. Eine offene Gruppe sei das, für eine offene Form des Gedankenaustauschs. Wer Zeit hatte, schaltete sich zu den Zoom-Meetings mit Gast hinzu und diskutierte mit. Die Diplomatinnen selbst schlugen ihren Kolleginnen mögliche Vortragende vor – und oft genug wählten sie ihrerseits Sprecherinnen aus. So kam es, dass bei einem Abschiedsempfang der Botschafterinnengruppe vor einigen Tagen in Rom von rund 30 Anwesenden nur drei Männer waren, eine Umkehrung der Geschlechterverhältnisse, wie sie sich bei Empfängen an Botschaften beim Heiligen Stuhl üblicherweise ergeben.
Dabei sind im Diplomatischen Corps, das im Vatikan ein- und ausgeht, Frauen schon lange vertreten. Die erste Botschafterin beim Heiligen Stuhl war eine Afrikanerin, wie die Protokollabteilung des Staatssekretariats gegenüber Vatican News bestätigte: Am 23. Januar 1975 akkreditierte der Heilige Stuhl Frau Bernadette Olowo aus Uganda als Botschafterin. In der Folge entsandten erst vereinzelte, dann immer mehr Länder Diplomatinnen an den Standort Vatikan, wobei die Afrikanerinnen eine Konstante bildeten.
Heute: 135 Botschafter beim Heiligen Stuhl, davon 28 Frauen (=20 Prozent)
1980 hatte laut Päpstlichem Jahrbuch einzig Sambia eine Botschafterin beim Heiligen Stuhl akkreditiert, 1990 waren es mit Costa Rica, Ghana, Jamaika, Neuseeland und Uganda fünf, im Heiligen Jahr 2000 war die Zahl der Botschafterinnen im Vatikan auf acht gestiegen (Philippinen, Lesotho, Nicaragua, Panama, Paraguay, USA, Südafrika, Ukraine). 2010 waren es 16 (Bosnien-Herzegowina, Burundi, Philippinen, Gambia, Georgien, Jordanien, Indien, Island, Niederlande, Pakistan, Panama, Polen, Surinam, Schweden, Tunesien, Ukraine). 2021 schließlich sind beim Heiligen Stuhl 26 Botschafterinnen akkreditiert, davon 16 residierende, und zwei weitere Diplomatinnen sind Delegierte Internationaler Einrichtungen. Insgesamt sind derzeit nach Angaben des Staatssekretariats 135 Botschafter beim Heiligen Stuhl akkreditiert. Der Frauenanteil liegt damit bei 20 Prozent.
Europäische Staaten haben aufgeholt, was die Entsendung von Botschafterinnen an den Heiligen Stuhl angeht: Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Spanien, Schweden, Österreich, Estland, Lettland und auch die Europäische Union haben zur Zeit Diplomatinnen beim Heiligen Stuhl in Stellung. Deutschland hatte mit Annette Schavan von 2014 bis 2018 erstmals eine Botschafterin entsandt, aus Österreich ist Franziska Honsowitz-Friessnigg seit 2018 im Dienst. Von den Ländern deutscher Sprache hat somit allein die Schweiz bisher noch keine Frau als Botschafterin an den Heiligen Stuhl entsandt.
Australien hat mit Chiara Porro bereits die zweite Botschafterin en suite in den Vatikan geschickt und ist damit kein Einzelfall: Dasselbe gilt für die Philippinen mit Grace R. Princesa und weiteren Ländern (Georgien, Guinea-Bissau, Lettland, Panama, Simbabwe). Auch die US-amerikanische Botschafterin Callista Gingrich gehörte bis zu ihrer Abberufung Anfang 2021 dem Netzwerk an. Argentinien, das Heimatland von Papst Franziskus, entsandte im laufenden Pontifikat erstmals eine Botschafterin: María Fernanda Silva vertritt ihr Land seit 2020 beim Heiligen Stuhl. Unter den Ländern, die bisher noch nie eine Frau für diese Position ernannt haben, ist auch Italien.
Drei der in Rom stationierten Diplomatinnen aus dem Grüppchen verlassen in diesem Sommer ihren bisherigen Einsatzort: Sally Axworthy aus dem Vereinigten Königreich, Isabelle Savard aus Kanada und María Elvira Velásquez Rivas-Plata aus Peru. Das informelle Botschafterinnen-Netzwerk soll aber weiter bestehen und – sofern es die Umstände post Corona erlauben – sich im Herbst mit Begegnungen auch im physischen statt nur im virtuellen Raum weiter bestärken.
(vatican news – gs)
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