Pater Hans Zollner Pater Hans Zollner 

Kinderschutzkonferenz in Warschau: P. Zollner hofft auf nachhaltige Impulse

Missbrauchsprävention auf der Agenda von Kirchen in Mittel- und Osteuropa – diesen Ertrag erhofft sich der päpstliche Kinderschutzbeauftragte Pater Hans Zollner von der internationalen Kinderschutzkonferenz, die am Sonntag in Warschau startet. Ein Interview über Bewusstseinsbildung, Missbrauchsprävention und „heilsame Verunsicherung“.

Radio Vatikan wollte von dem päpstlichen Kinderschutzbeauftragten Pater Hans Zollner zunächst wissen, welchen ,Output' er sich von der Konferenz erhofft und was das Treffen bewirken kann. Der deutsche Jesuit ist Leiter des Institutes für Anthropologie - Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen“ (IADC) an der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom und hat die Konferenz maßgeblich mitorganisiert. 

P. Zollner: Das, was wir tatsächlich erreichen wollen, dass das Thema gesetzt wird auf die Agenda, dass es dort gesetzt bleibt und dass alle in der Kirche Verantwortlichen in diesen Ländern auch wissen, dass sie sich mit dem Thema auch weiterhin auseinandersetzen müssen. Ein Argument, warum diese Konferenz nicht in Rom, sondern im größten mitteleuropäischen katholischen Land stattfindet, nämlich in Polen, war ja, dass wir als Kommission auch zeigen: Auch die internationale katholische Kirche, diejenigen, die sich mit dem Thema weltweit auseinandersetzen, schauen auf die verschiedenen Regionen und wollen sie auch stimulieren, ihnen Anregungen bieten und ihnen natürlich auch die Botschaft vermitteln: Ihr müsst da weitermachen.

Radio Vatikan: Die internationale Kinderschutzkonferenz in Warschau ist die erste dieser Art in Mittel- und Osteuropa. Wie schneiden die Kirchen dort denn tendenziell ab in Punkto Missbrauchsprävention?

P. Zollner: So wie in der ganzen Welt gibt es Diözesen und Ordensgemeinschaften, die da vorangehen und es gibt solche, die sich weigern, das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Es gibt natürlich mittlerweile die Vorgaben vom Vatikan, die auf dem Papier auch erfüllt werden. Alle Bischofskonferenzen haben mittlerweile die geforderten Leitlinien, aber wie die umgesetzt werden, das ist natürlich sehr unterschiedlich von Land zu Land.

Hier das Interview in voller Länge

Polen: Die Aufmerksamkeit ist da

„Eine ziemliche Lawine, die eben mittlerweile auch konsistent das Niveau erreicht hat, dass es tatsächlich auch die größere Öffentlichkeit interessiert, dass Betroffenenverbände entstanden sind, dass mittlerweile auch sehr viel nicht nur geschrieben wird, sondern auch gemacht wird...“

Radio Vatikan: Während der kirchliche Missbrauchsskandal in Deutschland ja schon vor gut zehn Jahren so richtig rauskam, ist das in Polens Kirche erst vor Kurzem passiert, vor allem dank der Betroffenen und der Medien. Wie wird die Kinderschutzkonferenz in Warschau in diesem Kontext denn eigentlich wahrgenommen?

P. Zoller: Das ist eine spannende Frage, wir werden das sehen, nachdem ja gestern noch ein Report über einen Dominikanerpater veröffentlicht wurde, der auch sexuell missbraucht hatte, neben spirituellem Missbrauch, und zwar Erwachsene in diesem Fall. Aber das ist ja in der Öffentlichkeit berechtigterweise auch ein wichtiges Thema – der Missbrauch von Erwachsenen in der Kirche. Wir sehen, dass das Interesse der Medien in Polen etwa seit drei, vier Jahren stark ist. Das hängt zunächst auch mit dem Fall des früheren Nuntius und Erzbischofs zusammen, der dann entlassen wurde - Józef Wesołowski, der ja vor etwa fünf, sechs Jahren angeklagt und verurteilt worden war. Seitdem ist in Polen eine ziemliche Lawine am Laufen, die eben mittlerweile auch konsistent das Niveau erreicht hat, dass es tatsächlich auch die größere Öffentlichkeit interessiert, dass Betroffenenverbände entstanden sind, dass mittlerweile auch sehr viel nicht nur geschrieben wird, sondern auch gemacht wird, auch im Bereich Prävention, und dass sich die Bischofskonferenz dem in einer, ich würde sagen, anerkennenswerten Weise stellt.

„Widerstände gibt es immer und überall“

Radio Vatikan: In der polnischen Bischofskonferenz gab es, das haben Sie selbst auch in einem Interview angemerkt, ein paar Widerstände bei dem Thema. Gleichwohl wird die Warschauer Konferenz mit der polnischen Bischofskonferenz gemeinsam organisiert.

P. Zollner: Ja, die Widerstände gibt es immer und überall, und eine Bischofskonferenz spricht nie mit einer Stimme nur, da gibt es verschiedenen Meinungen, verschiedene Einstellungen. Worauf ich mich beziehe ist vor allem auch der Primat Polens, Wojciech Polak, der Erzbischof von Gnesen, der wirklich vorangeht mit dem Thema. Er ist allerdings nicht der Vorsitzende der Bischofskonferenz, das ist Erzbischof Stanislaw Gadecki von Warschau. Aber auch da ist es gelungen, auch durch das mittlerweile ziemlich etablierte, gut situierte Sekretariat bei der Bischofskonferenz zu Missbrauchs- und Präventionsfragen, die Konferenz gemeinsam organisieren zu können. Das ist aus meiner Sicht ganz gut gelungen im Vorlauf jedenfalls, und jetzt werden wir sehen, wie wir unsere Botschaft jetzt tatsächlich auch platzieren können in Polen und für all jene, die aus anderen Ländern Mittel- und Osteuropas anreisen, soweit es eben unter den Pandemiebedingungen möglich ist.

Zehn Bischöfe zurückgetreten

„Also in Polen ist das geschehen, was ja jetzt in Deutschland offensichtlich nicht geschehen ist“

Radio Vatikan: Grundlage der Konferenz ist ja der Papsterlass „Vos estis lux mundi“ von 2019. Da hat der Papst eine weltweite Anzeigepflicht festgeschrieben und regelte Maßnahmen gegen vertuschende Bischöfe. Werden diese Vatikanmaßstäbe in Osteuropa berücksichtigt, und gibt’s da so was wie eine Art Rechenschaftspflicht, dass man nachvollziehen kann, was tatsächlich getan wird?

P. Zollner: Also das eine, ziemlich überraschende Faktum ist, dass in den letzten Monaten zehn Bischöfe in Polen zurückgetreten sind als Bischöfe. Da ging es zum Teil um Anschuldigungen von Missbrauch, der von Bischöfen verübt wurde, aber eben auch um Vernachlässigung der Amtspflichten, Vertuschung. Also in Polen ist das geschehen, was ja jetzt in Deutschland offensichtlich nicht geschehen ist, wo mit Verletzung von Amtspflichten dann auch begründet wurde, dass Bischöfe zurücktreten mussten.

Wobei diese Begründung, wie das oft in den vatikanischen Stellungnahmen ist, nicht so eindeutig ausgesprochen wird. Bei einigen wissen wir’s allerdings, aus dem ein oder anderen Grund wurden dann eben auch Dokumente einsichtig, in denen genau auf solche Vorgänge Bezug genommen wurde. Und wir wollen auch als Päpstliche Kinderschutzkommission darauf hinwirken, dass das auch in solchen Fällen klar definiert wird und auch kommuniziert wird auch für die Öffentlichkeit. Denn sonst weiß man ja nicht und stellt alle unter Generalverdacht, die früher als entsprechend der Altersvorgabe zurücktreten, dass sie entweder missbraucht hätten oder dass sie der Vertuschung des Missbrauches angeklagt und für schuldig befunden worden wären. Aber es gibt in den Kirchen Mittel- und Osteuropas durchaus eine Zahl von Bischöfen, die aus solchen Gründen den Hut nehmen mussten.

Kardinal Marx: Potential eines Rücktrittsgesuches  

„Ich persönlich bedaure es, dass die Antwort des Papstes dann so schnell kam, weil ich glaube, dass eine heilsame Verunsicherung da durchaus noch hätte wirken können...“

Radio Vatikan: Mit der MHG-Studie sind systemische Ursachen von Missbrauch in die Aufmerksamkeit gerückt, zumindest im deutschen Sprachraum. Mit Kardinal Reinhard Marx hat ein hoher, international bekannter Kardinal daraus für sich personelle Konsequenzen ziehen wollen und dem Papst seinen Rücktritt angeboten (den der Papst allerdings nicht annahm). Sie, Pater Zollner, sprachen damals vor gut drei Monaten davon, sie hofften, dass dieser Schritt Signalwirkung haben könne, sich positiv auf den kirchlichen Umgang mit Missbrauch auswirken könne. Hat er das, bei kirchlichen Verantwortungsträgern?


P. Zollner: Also es hat sicherlich ein großes Aufsehen erregt und in der Zeit, als der Brief veröffentlicht war, aber noch nicht die Antwort des Papstes bekannt war, hat es sicherlich viele Bischöfe weltweit sehr nachdenklich gemacht. Ich persönlich bedaure es, dass die Antwort des Papstes dann so schnell kam, weil ich glaube, dass eine heilsame Verunsicherung da durchaus noch hätte wirken können, und dass die Gewissenserforschung von jenen, die in Verantwortung standen und stehen, natürlich auch dazu hätte führen können, dass noch mehr Leute Rechenschaft ablegen, der Öffentlichkeit und der Kirchenführung auch Rechenschaft geben, wo sie gefehlt haben und welche persönlichen Konsequenzen sie ziehen müssten. So dass eben soweit als möglich auch klar ist, wer da etwas falsch gemacht hat und wer dafür Verantwortung übernimmt. Ich glaube natürlich, dass die Wirkung dieses Schrittes von Kardinal Marx noch weitergeht. Und ich bin überzeugt, er hat das ja selber vor ein paar Wochen bestätigt, dass das ja vielleicht nicht der letzte Schritt gewesen ist, sondern dass wir auch darauf schauen werden, welche weiteren Konsequenzen das hat. Wobei klar ist, dass die Verantwortung für die persönliche Einschätzung immer auch von jenen getragen und durchgezogen werden muss, die für solche Verfehlungen die Verantwortung tragen.

Radio Vatikan: Steht der Rücktritt der polnischen Bischöfe in einem Zusammenhang mit dem Rücktrittsangebot von Marx?

P. Zollner: Nein. Bei diesen Bischöfen wurde festgestellt, dass sie eben Missbrauch entweder selber verübt hatten oder dass sie in gravierendem Maße Missbrauch vertuscht hatten und dann, wie das eben im Vatikan dann ist, werden sie eingeladen, den Rücktritt anzubieten und dieser Rücktritt ist dann angenommen worden in diesen zehn Fällen in den letzten Monaten.

Radio Vatikan: Wird es jetzt reihum gehen mit großen internationalen Kinderschutzkonferenzen weltweit? Findet die nächste vielleicht im asiatischen Raum statt?

P. Zollner: Das kann durchaus sein. Wobei – es finden ja schon viele Konferenzen statt, auch wenn das im deutschen Sprachraum vielleicht nicht so wahrgenommen wird. Es gab eine große Konferenz für Lateinamerika, es gab auch schon internationale Konferenzen in Afrika, auch in Asien. Die Kommission hat sich vor drei Jahren dafür entschieden, eine Konferenz in Bogotà in Lateinamerika auszurichten, das ging dann aus logistischen Gründen nicht, dann wurde entschieden, dass das eben für Mittel- und Osteuropa vorgesehen sein soll, dann kam die Pandemie dazwischen: Wir haben das Datum drei Mal verlegen müssen, und hoffen jetzt, dass möglichst viele anreisen können. Also so etwas zu organisieren unter solchen Bedingungen ist nicht einfach und das kann man nicht nur allein online machen, da müssen wir auch auf bessere Zeiten warten, was das Reisen betrifft. Aber ich bin natürlich überzeugt, dass wir da als Kommission, aber auch die regionalen, nationalen, kontinentalen und internationalen Bischofskonferenzen da auch weitermachen werden.

Die Fragen stellte Anne Preckel.

Konferenz vom 19.-22. September

Die dreitägige Kinderschutzkonferenz startet am Sonntag in Warschau unter dem Motto „Unsere gemeinsame Sendung: Die Kinder Gottes schützen" und versammelt Vertreter von Bischofskonferenzen und Fachleute aus dem Bereich des Kinder- und Jugendschutzes aus fast 20 Ländern Mittel- und Osteuropas. Organisiert wird das Treffen von der Päpstlichen Kinderschutzkommission und der Polnischen Bischofskonferenz gemeinsam mit der Sankt-Josef-Stiftung. 2019 hatte der Papst zu einem ähnlichen Format in den Vatikan geladen, zu dem Bischöfe aus aller Welt anreisten. 

(vatican news -pr)

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18. September 2021, 08:14