Vatikanbibliothekar Tolentino: Unsere Welt braucht kritisches Denken
„Wir wollen diesen Ausstellungsraum zu einem Ort der Begegnung mit zeitgenössischer Kunst machen“, meint der Bibliothekar im Vorfeld des Papstbesuches am Freitag anlässlich der Eröffnung des neuen Raumes. „Indem wir uns für die Zusammenarbeit mit Künstlern und Wissenschaftlern öffnen, wollen wir neue Zielgruppen erreichen, darunter auch die Jüngeren,“ erläutert der Kardinal.
Mit dem Projekt wolle die Bibliothek mit ihrer Ehrfurcht einflößenden Geschichte einerseits Schritt halten mit den Anforderungen der Gegenwart, sich aber auch fit machen, um sich unter den „großen Bibliotheken der Zukunft“ zu behaupten: „In diesem Zeitalter des Wandels, aber auch - wie Papst Franziskus sagt - in diesem Epochenwandel, ist es von grundlegender Bedeutung, dass die großen Kultureinrichtungen ihre zukunftsträchtige Rolle, die sie bereits in den vergangenen Jahrhunderten hatten, stärken. Denn unsere Welt braucht kritisches Denken, eine tiefe Vision, eine breite christliche und humanistische Vision und transdisziplinäres Wissen. Die Bibliotheken müssen immer lebendiger werden und über die Infrastruktur verfügen, die diese kulturelle und anthropologische Relevanz gewährleistet.“
Fit für die Zukunft
Doch nicht nur das: Nicht weniger als eine Antwort auf die Krise, die die Menschheit derzeit erlebe, verortet Tolentino auch darin, sich „für neue Sprachen“ zu öffnen und eine „unverzichtbare Brücke“ zu schlagen zwischen der zu bewahrenden Welt und den neuen Fragen, die die Gegenwart aufwerfe: „Wir sehen dies als eine Aufgabe, eine Mission für diese Zeit“, so der Hausherr der Vatikanbibliothek, in deren Gewölben zahlreiche historische Schätze aufbewahrt werden. Ein Reichtum, der auch als eine Art Heilmittel dienen könne für eine der „Pathologien unserer Gegenwart“, wie es Tolentino nennt: die Eile. „Eile birgt die Gefahr, dass das, was viel dichter, intensiver und tiefgründiger ist, oberflächlich wird. Das Studium, die Forschung, die Offenheit für die großen Fragen, die wahre Leidenschaft für das Wissen sind nichts anderes als die langsame und authentische Öffnung des Herzens für die Offenbarung einer Wahrheit, die immer komplexer ist, weil sie uns herausfordert, eine echte Reise in uns selbst und in der Realität der Welt zu unternehmen.“
Raum für komplexe Wahrheiten schaffen
Der Beitrag, den eine Bibliothek heutzutage zur zeitgenössischen Kultur leisten könne, sei es letztlich, Zeuge dieser notwendigen Komplexität zu sein, meint Tolentino: „Der Heilige Vater spricht viel über diese Komplexität, er verwendet die Figur des Polyeders. Wir müssen dazu beitragen, eine Vision zu entwickeln, die ein Gespür für die Nuancen, die Stimmen und die Vielstimmigkeit hat, mit denen sich die Wirklichkeit zeigt. Dies erfordert von jedem von uns die Fähigkeit, zuzuhören. Eine Bibliothek ist ein großartiger akustischer Raum, weil sie uns hilft, die Realität von uns selbst und der Welt in einer immer größeren und überraschenderen Tonart zu hören.“
Zeitgenössische Ausstellungen
Eröffnet wird dieses neue Projekt am Freitagabend durch Papst Franziskus. Zu sehen ist dort derzeit die Ausstellung „Tutti. Umanità in Cammino” des römischen Künstlers Pietro Ruffo. Sie ist bis zum 25. Februar 2022 jeweils dienstags und mittwochs von 16 bis 18 Uhr nach vorheriger Anmeldung auf der Website der Bibliothek (https://www.vaticanlibrary.va) zu besuchen.
(vatican news - cs)
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