Kardinal Sean Patrick O'Malley Kardinal Sean Patrick O'Malley 

Missbrauch, O'Malley: Wir können nicht gutmachen, was wir nicht anerkennen

Der päpstliche Kinderschutzbeauftragte Kardinal Sean O’Malley hat sich erneut dafür ausgesprochen, Kompetenzen der Laien und die Unterstützung von Überlebenden sexualisierter Gewalt zu nutzen, um die Kirche zu einem sicheren Umfeld für Kinder und Erwachsene zu machen. Nur mit ehrlichen Untersuchungen sei es möglich, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.

Er äußerte sich in einer Botschaft an den Präsidenten des italienischen Kindernotrufdienstes „Telefono Azzurro“, Ernesto Caffo. Der Kindernotruf hat in Rom zu einer internationalen Konferenz zum Thema „Das Recht auf Vertrauen“ geladen; Experten aus der ganzen Welt beraten dort über konkrete Empfehlungen, Richtlinien und Protokolle zum Schutz von Kindern.

Caffo seinerseits ist Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, deren Präsident der Erzbischof von Boston, Kardinal O‘Malley, ist. An diesem 18. November, zugleich der „Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“, begeht die italienische Kirche auf Anregung des Papstes den Gebetstag für Betroffene sexualisierter Gewalt. Auch Papst Franziskus hatte am Mittwoch im Rahmen seiner Generalaudienz dafür geworben, das Phänomen des Missbrauchs mehr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. 2015 hatte der Europarat den Gedenktag eingeführt. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Den Kreis des Vertrauens wirklich sicher für Kinder machen“. 

Ein weltweites und allzu menschliches Phänomen

Diese Initiative stelle ein wichtiges Forum dafür dar, „um die Zivilgesellschaft und die Regierungen zusammenzubringen“, „wichtige Ressourcen zu bündeln“ und „das Bewusstsein für das Problem der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu schärfen“, betont O’Malley in seiner Botschaft. Der Kardinal betont, dass sexueller Kindesmissbrauch „ein globales, menschliches Problem“ sei. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge hat jede fünfte Frau und jeder dreizehnte Mann vor dem 18. Geburtstag sexualisierte Gewalt erlebt – doch mindestens 60 Prozent von ihnen würden nie offenlegen, was ihnen geschah.

Ähnlich düster sehe es den Statistiken zufolge in der katholischen Kirche aus, betont O’Malley mit Blick auf die jüngsten Erkenntnisse der CIASE-Kommission und der Royal Commission of Inquiry in Australien zu sexualisierter Gewalt im Kirchenumfeld. Geschätzt 216.000 Minderjährige seien im Untersuchungszeitraum von 2050 bis 2019 durch Kirchenangehörige missbraucht worden, so die Erkenntnisse des CIASE-Reports. In Australien wiederum seien rund 40 Prozent der Fälle auf das kirchliche Umfeld zurückzuführen.

„Eine ehrliche Untersuchung, eine unabhängige Prüfung und fundierte Maßnahmen“

Zwar seien die dort genannten Zahlen enorm, doch dies dürfe nicht vom Zweck der Untersuchungen ablenken, die darauf zielten, die „von der Kirche ergriffenen Maßnahmen zur Behandlung dieser Geißel zu bewerten“ und „auf der Grundlage einer quantitativen und qualitativen Analyse alle nützlichen Empfehlungen für die Umgestaltung eines gescheiterten Systems“ zu geben, so der Kardinal, der weiter unterstreicht: „Wir können nicht gutmachen, was wir nicht anerkennen. Wir können ein zerbrochenes Vertrauen nicht wiederherstellen, wenn wir uns nicht mit dem Kern der Sache befassen. Dies erfordert eine ehrliche Untersuchung, eine unabhängige Prüfung und fundierte Maßnahmen.“

Die Kirche müsse daher offen dafür sein, von der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft zu lernen, um ihre Präventionsstrategien und Schutzmaßnahmen vor Ort und im Internet auf fundierte Weise zu entwickeln, so die Aufforderung des Kardinals: „Indem wir voneinander lernen, können wir eine Kirche und eine Gesellschaft werden, die den Schutz von Kindern zu einer der höchsten Prioritäten macht“, meint O‘Malley. Doch dies erfordere Investitionen in den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen und darüber hinaus institutionenübergreifende Unterstützung, so der Experte.

„Der Heilige Vater und unsere Kommission sind davon überzeugt, dass die Opfer und Überlebenden von sexuellem Kindesmissbrauch den Schlüssel dazu in der Hand haben, uns bei der Umsetzung sinnvoller und wirksamer Strategien und Verfahren zu helfen“

„Der Heilige Vater und unsere Kommission sind davon überzeugt, dass die Opfer und Überlebenden von sexuellem Kindesmissbrauch den Schlüssel dazu in der Hand haben, uns bei der Umsetzung sinnvoller und wirksamer Strategien und Verfahren zu helfen“, betont O’Malley weiter. In seinem Brief an das Volk Gottes im Jahr 2018 habe Papst Franziskus festgehalten, dass die Wunden der Betroffenen „niemals vergehen.“ In Folge des dort ausgesprochenen Wunsches nach einem nationalen Gebetstag habe die Kirche in Italien den ersten nationalen Gebetstag für Opfer und Überlebende sexualisierter Gewalt eingeführt, der als „öffentliche und sichtbare Anerkennung der Opfer von klerikalem sexuellen Missbrauch“ das Bewusstsein „aller getauften Gläubigen und Nicht-Gläubigen“ für die Problematik fördern solle, erinnert O‘Malley. 

Für Deutschland haben die Bischöfe festgelegt, dass dieser Gebetstag von den Kirchengemeinden nicht notwendigerweise direkt am 18. November, aber rund um dieses Datum, an dem zugleich der „Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“ ist, begangenen werden sollte. Er selbst werde diesen Tag in Baltimore „in stiller Gebetsgemeinschaft“ mit erwachsenen Überlebenden von sexualisierter Gewalt, ihren Fürsprechern, Mitbischöfen, Glaubensführern vieler Konfessionen und Vertretern der Zivilgesellschaft begehen, kündigte O’Malley an.

(vatican news - cs)

 

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18. November 2021, 13:31