Pater Lombardi: „Zeugnis der Wahrhaftigkeit“

Als „Zeugnis der Wahrhaftigkeit“ wertet der italienische Jesuit Federico Lombardi den persönlichen Brief des emeritierten Papstes, mit dem Benedikt XVI. auf den Münchner Missbrauchsbericht reagiert.

„Ich sehe diesen Brief als Zeugnis der Wahrhaftigkeit in einer existentiellen Situation, die ihn tief betroffen hat und uns auch mit ihm“, kommentiert der langjährige, ehemalige Pressesprecher des Vatikans und heutige Präsident der vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. das Schreiben, das der Vatikan an diesem Dienstag veröffentlichte.

Gewissenserforschung 

Benedikt XVI. habe die letzten Monate als „Zeit der Gewissenserforschung“ erlebt, die alle Etappen seines Lebens betreffe, so der Jesuit gegenüber Radio Vatikan. Der emeritierte Papst nehme sich nicht von der Schuld aus, die die Kirche auf sich geladen habe, betont der ehemalige Vatikansprecher und Medienmanager: „Er nimmt an, dass es Schuld gibt, eine übergroße Schuld, an der er selbst teilhat. Er ist nicht außerhalb dieser Situation der Schuld der Kirche, er fühlt sich mit hineingenommen in diese Situation, sehr tief.“

Der Schmerz der Opfer und der Schlaf der Kirche

Lombardi verweist auf die mehrfachen Begegnungen Benedikt XVI. mit Missbrauchsüberlebenden, die der emeritierte Papst in seinem Brief erwähnt. Benedikt XVI. habe sich bemüht, den Schmerz der Opfer „immer mehr“ und „tief“ zu verstehen, erinnert Lombardi. Der emeritierte Papst spreche von tiefer Scham und großem Schmerz und bitte um Vergebung.

„Er hat keinen Grund, Lügner zu sein – vor Gott lügt man nicht.“

Zugleich spreche der emeritierte Papst auch die Mängel und Fehler der Kirche im Umgang mit Missbrauchsfällen in seinem Brief an. Lombardi verweist in diesem Zusammenhang auf die Passage, in der Benedikt XVI. vom Aufenthalt Jesu und dem Schlafen der Jünger auf dem Ölberg spricht. Dieses „Schlafen der Jünger (…) hat auch mit dem Schlafen der Kirche vor den Problemen der Opfer zu tun“, formuliert Lombardi.

„Seine Überlegungen sind nicht abstrakt und allgemein, sondern konkret: Er verweist auf die fehlende Aufmerksamkeit für die Opfer, auf den Schlaf der Jünger angesichts des Leidens Jesu, das natürlich auch das Leiden der Opfer einschließt; auf das Fehlen eines ausreichenden Engagements zur Bekämpfung dieser Geißel und dieser Verbrechen ... Er nimmt also sehr präzise Bezug auf diese Realität, er entwickelt keinen abstrakten und allgemeinen Diskurs. (…) Es handelt sich um eine sehr weitreichende Frage, in die er sich verwickelt fühlt und in der er die ganze Realität des Ernstes dieser Angelegenheit als etwas sieht, wofür er um Vergebung bitten, sich läutern und sich mit aller Kraft dafür einsetzen muss, seine Haltung zu ändern und gegenüber den Forderungen des Evangeliums treuer zu werden.“

In diesem Sinne sei Benedikt persönliches Schreiben „ein Schuldbekenntnis, das sehr tief geht und in dem er sich selbst sieht“.

Wahrhaftig in existenzieller Situation

Auch wenn der emeritierte Papst in seiner Antwort auf den Münchner Missbrauchsbericht im Einzelnen bestimmte Anklagepunkte zurückgewiesen habe, sei diese Bußhaltung der Grundtonus der Antwort und Überzeugung des emeritierten Papstes, ist Lombardi sicher. Der emeritierte Papst habe gelitten unter dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, „ein Lügner zu sein“, also „wissentlich über konkrete Situationen gelogen zu haben“, so Lombardi.

„Nicht nur das, sondern auch in dem Bericht als Ganzes wird ihm vorgeworfen, dass er bewusst die Täter gedeckt hat und daher dem Leiden der Opfer keine Aufmerksamkeit und Verachtung entgegengebracht hat. Daraufhin antwortet der emeritierte Papst: ,Nein, ich bin kein Lügner. Diese Anschuldigung hat mir großes Leid zugefügt, aber ich bezeuge, dass ich kein Lügner bin‘.“

P. Lombardi im Gespräch mit der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan

Dass der emeritierte Papst hier Wahrhaftigkeit beansprucht, finde er richtig, bezieht Lombardi Position. „Denn es ist ein Charakteristikum seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens während seines ganzen Lebens, das auch ich bezeugen kann, der ich mehrere Jahre an seiner Seite als Mitarbeiter gewirkt habe: Der Dienst an der Wahrheit stand immer an erster Stelle. Er hat nie versucht, das zu verbergen, was für die Kirche schmerzhaft zuzugeben sein könnte; er hat nie versucht, ein falsches Bild von der Realität der Kirche oder von dem, was geschieht, zu vermitteln. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass man in keiner Weise an seiner Wahrhaftigkeit zweifeln kann“, so Lombardi.

Benedikt XVI. stehe am Ende seines Lebens, erinnert der langjährige Vatikansprecher, „das muss man auch existentiell lesen“, so Lombardi: „Das heißt er ist ein Mann, der sich vor dem Gericht Gottes fühlt, er hat keinen Grund, Lügner zu sein – vor Gott lügt man nicht. In diesem Sinne, glaube ich ist dieses Bekenntnis sehr ernst zu nehmen.“

 

- aktualisiert um 13.41 Uhr: Ergänzungen aus der längeren, italienischsprachigen Video-Version des Lombardi-Interviews, das oben in voller Länge zu sehen ist - 

(vatican news – pr)

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08. Februar 2022, 13:04