München München  Leitartikel

Ein Bekenntnis aus tiefstem Herzen

„Mea maxima culpa“: So reagiert der emeritierte Papst auf die furchtbaren Missbrauchsfälle und die begangenen Fehler. Er bringt „tiefe Scham“ zum Ausdruck – und bittet aufrichtig um Vergebung.

ANDREA TORNIELLI

Wie versprochen, hat sich Benedikt XVI. schließlich zu Wort gemeldet. Sein Brief ist der eines Christen. Eines heute fast 95-jährigen Christen, dem am Ende seines langen Lebens zunehmend die Kräfte fehlen, der aber einen klaren Verstand hat und sich nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt von Anschuldigungen und Kontroversen wiederfindet. Die kurze, aufrichtige Antwort entspringt seinem tiefen Glauben. Im Bußakt der Messe findet Ratzinger das Stichwort für seine persönliche und bewegende „Beichte“.

Zu Beginn jeder Eucharistiefeier wiederholen der Zelebrant und die Gläubigen das „mea culpa“, das mit den Worten „meine große Schuld“ endet. Dahinter steht das Bewusstsein, ein Sünder zu sein und deshalb Barmherzigkeit und Vergebung zu erflehen. Diese „bußfertige“ Haltung ist weit entfernt von einem Triumphalismus, der die Kirche als irdische Macht betrachtet, und von einem Stil, der sie nur als Organisation, Struktur und Strategie wahrnimmt. Sie ist auch weit entfernt von der verbreiteten Haltung, schnell über andere und ihre Fehler zu urteilen, anstatt zunächst einmal die eigenen Fehler zu hinterfragen.

„Gewissenserforschung und Reflexion“

Als Präfekt der Glaubenskongregation (1982-2005) hat sich Joseph Ratzinger zu Beginn des neuen Jahrtausends gegen Missbrauch durch Kleriker engagiert. Als Papst (2005-13) erließ er ausgesprochen strenge Gesetze zur Bekämpfung dieser abscheulichen Geißel. Aber in seinem Brief geht er darüber hinweg, ohne daran zu erinnern.

Joseph Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising
Joseph Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising

Die Tage nach der Veröffentlichung des Berichts waren für ihn eine Gelegenheit zur „Gewissenserforschung und Reflexion“ über das Geschehene. Der emeritierte Papst schreibt, er habe in der Begegnung mit Missbrauchten „verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht“. Er äußert „tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung“ für alle Missbrauchsfälle und alle Fehler – einschließlich derer, die während seiner Amtszeit an den jeweiligen Orten seiner Tätigkeit, in Deutschland und Rom, begangen worden sind. Er erinnert an Jesus, der auf dem Ölberg Blut schwitzte, während er angesichts des Abgrunds der Sünde betete. Und er bittet die „Brüder und Schwestern“, für ihn zu beten.

Worte eines demütigen, alten Mannes

Die Worte Benedikts XVI. in diesem Brief sind die Worte eines hilflosen alten Mannes, der spürt, dass für ihn die Begegnung mit dem Gott herannaht, dessen Name Barmherzigkeit ist. Es sind die Worte eines „demütigen Arbeiters im Weinberg des Herrn“ (erste Ansprache Benedikts XVI. nach seiner Wahl zum Papst 2005), der aufrichtig um Vergebung bittet, ohne sich der Konkretheit der Probleme zu entziehen. Und der die ganze Kirche einlädt, die blutende Wunde des Missbrauchs als ihre eigene zu spüren.

Andrea Tornielli ist Chefredakteur von Vatican News / Radio Vatikan.

(vatican news – sk)
 

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08. Februar 2022, 13:00