Parolin über Krieg in Ukraine: „Eskalation sofort stoppen und verhandeln"
Der Kardinal rief dazu auf, jede militärische Eskalation zu vermeiden, die Bombardierungen einzustellen und Verhandlungen aufzunehmen, für die es „nie zu spät" sei. Zu einer möglichen Ausdehnung des Krieges auf andere europäische Länder wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine sagte Parolin: „Daran wage ich nicht einmal zu denken. Das wäre eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes, auch wenn sie leider nicht völlig ausgeschlossen werden kann.“ Einige Wortmeldungen der vergangenen Tage hätten ihn an die Vorgänge erinnert, die damals den Zweiten Weltkriegs einläuteten, so der Kardinalstaatssekretär, der sich höchst alarmiert zeigte. „Wir müssen jede Eskalation vermeiden, die Zusammenstöße beenden und verhandeln“, erklärte Parolin die Position des Heiligen Stuhles.
Vatikan würde sofort bei Friedensverhandlungen helfen
Im Vatikan habe man „den Krieg, den Russland gegen die Ukraine entfesselt hat, befürchtet, aber zugleich gehofft, dass er nicht eintritt“. Es gebe aber immer noch Raum zu Verhandlungen, stellte der Kardinalstaatssekretär klar, mehr noch, Dialog sei der einzige Weg. Schon in den vergangenen Jahren habe man im Vatikan „die Ereignisse in der Ukraine beständig, diskret und mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und seine Bereitschaft angeboten, den Dialog mit Russland zu erleichtern“. Auch jetzt sei der Heilige Stuhl „immer bereit, den Parteien zu helfen, auf diesen Weg zurückzukehren".
Am vergangenen Freitag war Papst Franziskus in einer ungewöhnlichen Geste persönlich zu einem Gespräch in der Botschaft Russlands beim Heiligen Stuhl gewesen. „Ich nutze die Gelegenheit, um die dringende Aufforderung zu erneuern, die der Heilige Vater bei seinem Besuch in der russischen Botschaft beim Heiligen Stuhl ausgesprochen hat, die Kämpfe einzustellen und zu Verhandlungen zurückzukehren“, sagte Parolin in dem Interview. „Zunächst einmal muss der militärische Angriff, dessen tragische Folgen wir alle bereits erlebt haben, sofort gestoppt werden. Ich möchte an die Worte Pius XII. vom 24. August 1939 erinnern, wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: ,Die Menschen sollen zur Einsicht zurückkehren. Sie sollen die Verhandlungen wieder aufnehmen. Wenn sie mit gutem Willen und unter Achtung der Rechte des anderen verhandeln, werden sie feststellen, dass aufrichtige und aktive Verhandlungen niemals einen ehrenhaften Erfolg ausschließen’".
Der Diplomat über die Rolle der Kirchen im Konflikt
Russland und die Ukraine sind beide christlich geprägte Länder, allerdings herrscht ein innerorthodoxer Streit zwischen Gläubigen in beiden Ländern, und die quantitativ kleine katholische sowie die mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche in beiden Ländern sind in verschiedenen Spannungen. Der Kardinalstaatssekretär betonte in seinem Interview mit den vier italienischen Zeitungen aber die positiven Entwicklungen. „In der Geschichte der Kirche hat es leider nie an Partikularismen gefehlt, und sie haben zu vielen schmerzhaften Spaltungen geführt, wie der heilige Paulus am Ursprung des Christentums bezeugt, der uns gleichzeitig ermahnt, sie zu überwinden. In diesem Sinne sehen wir ermutigende Zeichen in den Appellen der Oberhäupter der orthodoxen Kirchen, die Bereitschaft zeigen, die Erinnerung an die gegenseitigen Wunden hinter sich zu lassen und für den Frieden zu arbeiten". Andererseits seien sich die Kirchen „einig darin, dass sie ihre tiefe Besorgnis über die Situation zum Ausdruck bringen und bekräftigen, dass die Werte des Friedens und des menschlichen Lebens über alle anderen Erwägungen hinaus das sind, was den Kirchen wirklich am Herzen liegt und was eine grundlegende Rolle dabei spielen kann, eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern".
Abschließend sagte der Kardinal mit Blick auf den anhaltenden Konflikt: „Einmal mehr zeigt sich, dass Kommunikation und gegenseitiges Zuhören notwendig sind, um die Gründe des anderen vollständig zu kennen und zu verstehen. Wenn Menschen aufhören, miteinander zu kommunizieren und einander aufrichtig zuzuhören, betrachten sie sich gegenseitig mit Misstrauen und tauschen schließlich nur noch gegenseitige Anschuldigungen aus. Die Entwicklungen der letzten Monate haben diese gegenseitige Taubheit nur noch verstärkt und zu einem offenen Konflikt geführt. Die Bestrebungen der einzelnen Länder und ihre Legitimität müssen Gegenstand gemeinsamer Überlegungen sein, und zwar in einem breiteren Kontext und vor allem unter Berücksichtigung der Entscheidungen der Bürger und unter Einhaltung des Völkerrechts. Die Geschichte ist voll von Beispielen, die bestätigen, dass dies möglich ist.“
Die vier Zeitungen, denen sich Parolin im Interview stellte, waren Il Corriere della Sera, La Repubblica, La Stampa und Il Messaggero. Bereits am Donnerstag, wenige Stunden nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine, hatte Parolin über die Vatikanmedien für sofortige Verhandlungen geworben.
(vatican news – gs)
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