Vatikan: „Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung“
Stefan von Kempis und Gabriela Ceraso – Vatikanstadt
Er ist, nach Kurienkardinal Konrad Krajewski, erst der zweite hochrangige Vatikanvertreter, der seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs nach Kiew reist. Krajewski, der das vatikanische Almosenamt leitet, hat Mitte April einen vom Papst gespendeten Krankenwagen nach Kiew gebracht.
Papst Franziskus hat in einem letzte Woche veröffentlichten Interview mit einer italienischen Tageszeitung klargemacht, dass er derzeit keine Pläne zu einer Ukraine-Reise hegt, sondern zunächst gerne mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau sprechen würde. Dazu ist allerdings bislang keine Einladung aus dem Kreml eingegangen.
Verteidigung muss verhältnismäßig sein
In einem ausführlichen Interview mit dem italienischen Fernsehen hat Erzbischof Gallagher, der im Staatssekretariat die Abteilung für Beziehungen zu den Staaten leitet, am Donnerstagabend die vatikanische Haltung zum Ukraine-Krieg erläutert. Dabei beteuerte er, dass Franziskus den Wert von Verteidigungsbündnissen und von Verteidigung generell anerkenne, solange sie „verhältnismäßig“ sei. In dem oben erwähnten Zeitungsgespräch hatte der Papst geäußert, vielleicht habe „das Bellen der Nato vor den Toren Moskaus“ mit dazu beigetragen, dass der Kreml „falsch reagiert und den Konflikt entfesselt“ habe.
Franziskus sei, so hob Gallagher hervor, „sehr darauf bedacht, nicht in ein neues Wettrüsten einzutreten, sondern immer Raum für Dialog und Diskussion zu lassen, um zum Frieden zu gelangen“. Dies gelte auch für die Frage westlicher Waffenlieferungen an Kiew: „Die Ukraine hat das Recht, sich selbst zu verteidigen“ – das hat man in dieser Klarheit aus dem Vatikan noch nicht so oft gehört. Allerdings sei es in Sachen Waffenlieferungen wichtig, einen Aufrüstungswettlauf zu vermeiden, auch weil der Ukraine-Krieg wegen seiner „nuklearen Dimension" besonders gefährlich werden könne.
Kennzeichnend für die Haltung des Heiligen Stuhls im Ukraine-Krieg ist nach Angaben des „Außenministers“ der Wunsch, alles für Dialog und Verhandlungen zu tun. Wie in den Tagen des Kalten Kriegs will der Vatikan „Räume für den Dialog“ schaffen, um eine Verständigung zu fördern und eine Lösung zu finden.
Franziskus hat sich seit Kriegsausbruch in seinen Stellungnahmen spürbar zurückgehalten, hat beispielsweise nie Russland eindeutig als Aggressor benannt. Das liegt laut Gallagher daran, dass Worte in diplomatischer Hinsicht nun mal großes Gewicht haben und dass auch Menschenleben davon abhängen können. Der Papst wolle außerdem verhindern, dass man ihn instrumentalisiert.
Papst will verhindern, dass man ihn instrumentalisiert
Klar sei, dass Franziskus „eine große Sensibilität für das Leiden der Menschheit“ (lies: der Ukraine) habe und das ja auch immer wieder in Gesten ausdrücke. Kurz nach Bekanntwerden russischer Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha hat der Papst eine ukrainische Fahne aus Butscha geküsst, und am Rand der Generalaudienz am letzten Mittwoch sprach er zwei Ehefrauen von Kämpfern aus dem Asow-Stahlwerk von Mariupol Mut zu.
Gallagher äußerte sich auch zu den derzeit belasteten Beziehungen des Vatikans zum orthodoxen Patriarchat von Moskau. Patriarch Kyrill I. hat sich entschlossen an die Seite Putins gestellt und verteidigt dessen „Spezialoperation“ im Nachbarland; ein für Juni eigentlich geplantes Treffen Kyrills mit dem Papst ist deswegen geplatzt. In seinem Interview hatte Franziskus geäußert, der Patriarch dürfe nicht als „Messdiener Putins“ auftreten.
Gallagher erklärte nun, das Patriarchat habe sicher Schwierigkeiten, eine andere Position als die Moskauer Führung einzunehmen. „Für den Papst hat der ökumenische Dialog Priorität, auch wenn das Treffen mit Patriarch Kyrill im Moment nicht opportun erscheint, weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Aber der Dialog wird fortgesetzt.“ Auch hier also will Rom keine Gesprächsfäden abreißen lassen.
(vatican news)
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