Kardinal Koch und das „erschütterte ökumenische Herz“
Es sei „Häresie“ (Irrlehre), „dass der Patriarch aus pseudoreligiösen Gründen den brutalen und absurden Krieg in der Ukraine zu legitimieren wagt“, so Koch im Interview mit der Wochenzeitung „Die Tagespost“. „Den brutalen Angriffskrieg Putins als ‚Spezialoperation‘ zu verharmlosen, ist ein Missbrauch der Sprache. Ich muss dies als absolut unmögliche Position verurteilen“, sagte Koch wörtlich.
Die „pseudoreligiöse“ Rechtfertigung des Krieges durch Patriarch Kyrill „muss jedes ökumenische Herz erschüttern“, so Kardinal Koch. In christlicher Sicht könne man keinen Angriffskrieg rechtfertigen, sondern allenfalls, unter bestimmten Bedingungen, die Verteidigung gegen einen ungerechten Angreifer.
Anlauf zu gemeinsamer Erklärung Papst-Patriarch im Februar gescheitert
In dem Interview erläuterte der Kardinal, wie es zu der Videokonferenz von Papst Franziskus und Kyrill im März gekommen ist. Er selbst habe dem damaligen Außenamtsleiter des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion (Alfejew), bei einem Gespräch im Februar eine gemeinsame Erklärung von Papst und Patriarch gegen den Krieg in der Ukraine vorgeschlagen. Kurz nach dieser Sitzung habe er die Antwort erhalten, dass der Patriarch zu keinem gemeinsamen Wort mit dem Papst bereit sei. Erst Wochen später habe Moskau eine Videokonferenz mit dem Papst gewünscht.
Papst Franziskus habe einer solchen Videokonferenz zugestimmt in der Hoffnung, damit seinen Beitrag zu einer schnellen Beendigung des Krieges leisten zu können. Er habe in dem Gespräch eindrücklich betont, dass sowohl er als Papst als auch der Patriarch keine „Staatskleriker“ seien, sondern „Hirten des Volkes“ und dass es ihre Verantwortung sein müsse, dem Töten und Zerstören so bald wie möglich ein Ende zu bereiten.
Da unmittelbar danach das russisch-orthodoxe Patriarchat die Erklärung veröffentlicht habe, der Patriarch sei dafür dankbar, dass der Papst und er eine gemeinsame Sicht des Konflikts in der Ukraine hätten, „musste Rom öffentlich kommunizieren, was der Papst wirklich gesagt hat“, betonte Koch: „Der Heilige Vater hat in verschiedenen Stellungnahmen den Krieg in der Ukraine mit scharfen Worten verurteilt und mehrfach zur Beendigung des Krieges aufgerufen“.
Begegnung Papst-Patriarch derzeit unwahrscheinlich
Zurückhaltend äußerte sich der Kurienkardinal mit Blick auf eine zweite Begegnung von Papst und Patriarch. Würde eine solche stattfinden, wenn noch immer kriegerische Handlungen erfolgten und Kyrill an seiner unhaltbaren Rechtfertigung des Krieges festhielte, „wäre sie schwerwiegenden Missverständnissen ausgesetzt“, unterstrich der „Ökumeneminister“. Denn: „Sie könnte als Unterstützung der Position des Patriarchen durch den Papst missverstanden werden, was den Papst in seiner moralischen Autorität arg beschädigen würde“. Er sei Papst Franziskus dankbar, so Koch, dass dieser das für Mitte Juni vorgesehene Treffen mit Patriarch Kyrill in Jerusalem abgesagt habe. Freilich, man dürfe die Türen nie zur Gänze schließen, „es muss immer ein Spalt offen bleiben“.
Wie der Präsident des „Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen“ im „Tagespost“-Interview sagte, wolle er aus dringlichen Gründen das Verhältnis von Kirche und Staat zum Thema des katholisch-orthodoxen Dialogs machen. Angesichts der Tatsache, dass der Moskauer Patriarch mit pseudoreligiösen Gründen den Krieg in der Ukraine zu legitimieren wage, werde im Hintergrund ein Grundproblem sichtbar, „das im Verhältnis zwischen Kirche und Staat liegt, das in der Orthodoxie im Sinne einer Symphonie zwischen beiden Realitäten gesehen und gestaltet wird“.
Im Westen hätten nicht zuletzt die Kirchenspaltung und die blutigen Konfessionskriege im 16. und 17. Jahrhundert mit dazu geführt, dass die Leitidee der Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Partnerschaft von beiden prägend geworden sei. Bei allen Veränderungen und Entwicklungen halte der Osten hingegen weitgehend am traditionellen Ideal der Symphonie von Kirche und Staat fest. Dieser große Unterschied sei in den bisherigen ökumenischen Gesprächen weitgehend ausgeblendet worden. Die heutige Situation zwinge aber dazu, die verschiedenen Konzeptionen intensiv zu diskutieren.
Theologischer Dialog über Synodalität und Primat
Koch: „Die Orthodoxen stellen immer wieder Rückfragen an die katholische Kirche im Blick auf ihre universale Dimension und das Papsttum. Wir Katholiken müssen umgekehrt die Orthodoxie auf ihre Konzepte der Autokephalie und des kanonischen Territoriums hin befragen - zumal das letztere Konzept nur schwer mit der Achtung der Religionsfreiheit zu vereinbaren ist“. Hinzu komme, „dass die Orthodoxen ihre eigenen Prinzipien in der Diaspora nicht mehr aufrechterhalten können“.
Das Hauptthema im theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche sei seit Jahren das Verhältnis von Synodalität und Primat. Diesbezüglich habe man mit dem Dokument von Ravenna im Jahr 2007 einen bedeutenden Schritt machen können. In diesem Dokument werde die Überzeugung entfaltet, „dass Synodalität und Primat voneinander abhängig sind und dass die Kirche auf allen Ebenen ihres Lebens - lokal, regional und universal - einen Protos, einen Ersten, braucht“, erläuterte Koch: „Dass Katholiken und Orthodoxe gemeinsam sagen können, dass auch auf der universalen Ebene der Kirche ein Protos notwendig ist, ist ein wichtiger Schritt gewesen“. Diese Sicht sei freilich vom russisch-orthodoxen Patriarchat nicht anerkannt worden.
Keine Dialog-Alleingänge
Zur Frage, ob der Orthodoxie nicht allzu offensichtlich das Amt der Einheit fehle, nicht zuletzt, weil dem Ökumenischen Patriarchen vonseiten Moskaus das Recht abgesprochen wird, die Autokephalie verleihen zu dürfen, meinte Koch: „Metropolit Hilarion hat mehrfach kritisiert, der Ökumenische Patriarch handle wie ein orthodoxer Papst. Das ist eine uns Katholiken gegenüber gewiss nicht freundliche Aussage, wenn das Wort ‚Papst‘ als Negativfolie verwendet wird. Ob das russisch-orthodoxe Patriarchat den Ehrenprimat des Ökumenischen Patriarchen und seine Kompetenz der Autokephalie-Verleihung anerkennt oder nicht, habe nicht ich zu beurteilen, sondern muss innerorthodox besprochen werden“.
Dialog-Alleingänge mit einzelnen Orthodoxen Kirchen werde es vonseiten der Katholischen Kirche jedenfalls nicht geben, stellt der Kurienkardinal klar: „Die Orthodoxie hat entschieden, den theologischen Dialog mit der katholischen Kirche multilateral und nicht bilateral zu führen. Diese Entscheidung ist für mich verbindlich“. In welcher Zusammensetzung die Orthodoxie den Dialog künftig führen will, liege in deren Verantwortung. Würde der Dialog allein bilateral geführt, befürchte er, so Koch, dass noch mehr Spannungen in der Orthodoxie aufkommen würden. „Wir können und dürfen die Einheit zwischen katholischer und orthodoxer Kirche nicht finden, indem wir die Orthodoxie selbst spalten“, so der Kardinal: „Die Einheit in der Orthodoxie zu festigen, muss auch uns ein Anliegen sein - zumal in der heute sehr schwierig gewordenen Situation in der Weltorthodoxie“.
(kap – sk)
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