Parolin: Die Kirche ist pazifistisch, sie glaubt an Frieden
Der „zweite Mann" im Vatikan äußerte sich in einem Interview mit dem Magazin Limes, das unter dem Titel „der große Krieg“ veröffentlicht wurde. Parolin erklärte, für ihn sei die Diplomatie des Heiligen Stuhls so bedeutsam, weil sie nicht nur geopolitisch handle, sondern auch und vor allem die Interessen der weltweiten Kirche vertrete. Dabei ist die Diplomatie des Heiligen Stuhls „nicht an einen Staat gebunden, sondern an eine völkerrechtliche Realität, die keine politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Interessen hat. Sie stellt sich in den Dienst des Bischofs von Rom, der der Hirte der Weltkirche ist“, sagte Parolin.
Papst Franziskus steht gemeinsam mit seinen Vorgängern für eine „weniger eurozentrische Kirche" und „einen multilateralen Blick auf internationale Probleme", erklärte der Kardinalstaatsskretär. Für seine eigene langjährige diplomatische Tätigkeit zeigte er sich dankbar; Gott habe ihm „die Gnade gegeben, trotz Schwächen und Grenzen die diplomatische Mission mit priesterlichem Zeugnis begleiten zu können". Parolin hatte vor seinem Dienst als Kardinalstaatssekretär unter anderem als Nuntius in Venezuela gewirkt.
Eine Kirche des Friedens
Kompass der päpstlichen Friedensdiplomatie ist klar das Evangelium, fuhr Parolin in dem Interview fort. Die Kirche folge damit ,„dem Beispiel ihres Herrn: Sie glaubt an den Frieden, arbeitet für den Frieden, kämpft für den Frieden, legt Zeugnis für den Frieden ab und bemüht sich, ihn aufzubauen. In diesem Sinne ist sie pazifistisch". Und was den Einsatz von Waffen angeht, so weist Parolin darauf hin, dass „der Katechismus der katholischen Kirche eine legitime Verteidigung vorsieht. Die Menschen haben das Recht, sich zu verteidigen, wenn sie angegriffen werden. Diese legitime bewaffnete Verteidigung muss jedoch unter bestimmten Bedingungen ausgeübt werden, die der Katechismus ebenfalls aufzählt: dass alle anderen Mittel zur Beendigung der Aggression sich als undurchführbar oder unwirksam erwiesen haben; dass es begründete Aussichten für den Erfolg gibt; dass der Gebrauch von Waffen nicht größere Übel und Unordnung verursacht als die, die beseitigt werden sollen". Diese heutzutage unter dem Begriff des „gerechten Friedens“ bekannte Meinung unterstrich Parolin noch einmal.
Allerdings kritisierte Parolin, dass überall auf der Welt Waffen rücksichtslos und brutal gebraucht werden, dabei sei für ihn klar, dass nicht nur Waffen zu Krieg führen, sondern dass der Krieg im Herzen des Menschen beginnt. „Jede blutige Beleidigung entfernt den Frieden und erschwert jede Verhandlung". Der Papst wiederhole dies häufig in seinen Appellen, sei aber damit „eine Stimme, die in der Wüste schreit", also nicht gehört wird.
„Auch heute", so Parolin weiter, „scheint in der tragischen ukrainischen Krise keine Bereitschaft zu bestehen, echte Friedensverhandlungen zu führen und das Angebot einer Vermittlung anzunehmen. Es reicht natürlich nicht aus, dass eine der Parteien dies einseitig vorschlägt oder vermutet, sondern es ist unerlässlich, dass beide ihren Willen in diesem Sinne zum Ausdruck bringen. Noch einmal vox clamantis in deserto. Die Worte des Papstes sind jedoch ein Zeugnis von höchstem Wert, das viele Gewissen berührt und das Bewusstsein schärft, dass Frieden und Krieg in unseren Herzen beginnen und dass wir alle aufgerufen sind, unseren Beitrag zur Förderung des Friedens und zur Vermeidung des Krieges zu leisten".
So warnte Parolin im Interview davor, dass „die Möglichkeit einer negativen Spirale besteht, die dann, wenn die falschen Teile zusammenkommen, zu einem weltweiten Konflikt wird". Was die Folgen eines solchen Krieges sind, das könne er nur erahnen: „Ich glaube, dass wir noch nicht in der Lage sind, die Folgen dessen, was geschieht, vorherzusehen oder zu berechnen. Tausende von Toten, zerstörte Städte, Millionen von Vertriebenen, eine zerstörte Natur, die Gefahr von Hungersnöten aufgrund des Getreidemangels in so vielen Teilen der Welt, die Energiekrise. Wie ist es möglich, dass wir nicht erkennen, dass die einzig mögliche Antwort, der einzig gangbare Weg, die einzig gangbare Perspektive darin besteht, die Waffen zu stoppen und einen gerechten und dauerhaften Frieden zu fördern?"
Möglichkeit, dass Papst in Ukraine reist, besteht
Mit Blick auf eine mögliche Reise von Papst Franziskus in die Ukraine bzw. nach Russland weist der Staatssekretär darauf hin, dass es der größte Wunsch des Pontifex „und daher seine Priorität" sei, dass „durch seine Reisen ein konkreter Nutzen erzielt werden kann". In diesem Sinne wolle er nach Kiew reisen, um den vom Krieg betroffenen Menschen Trost und Hoffnung zu bringen. Ebenso hat er seine Bereitschaft erklärt, auch nach Moskau zu reisen, wenn die Bedingungen wirklich friedensfördernd sind". Ein Wort zum ökumenischen Dialog zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigt: Es sei ein „schwieriger Dialog, der in kleinen Schritten verläuft und Höhen und Tiefen erlebt", aber, wie Parolin klarstellt: „Er ist nicht unterbrochen worden".
Das für Frühjahr geplante Treffen zwischen Papst Franziskus und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill in Jerusalem wurde verschoben, weil „es nicht verstanden worden wäre und das Gewicht des laufenden Krieges es zu sehr beeinflusst hätte". Parolin zeigte sich irritiert, dass viele Papst Franziskus für sein Vorgehen angreifen, ihn gar als prorussisch bezeichnen. „Ist der Papst prorussisch, weil er zum Frieden aufruft? Ist der Papst prorussisch, weil er das Wettrüsten und die Verwendung riesiger Summen für den Kauf neuer und immer mächtigerer Waffen verurteilt, anstatt die verfügbaren Mittel für den Kampf gegen Hunger und Durst in der Welt, für Gesundheit, Wohlfahrt, Bildung, ökologischen Wandel zu verwenden? Der Papst ist prorussisch, weil er uns einlädt, darüber nachzudenken, was zu diesen beunruhigenden Entwicklungen geführt hat.“
Dies seien „gefährliche Entwicklungen, die uns daran erinnern, dass eine Koexistenz, die auf militärischen Allianzen und wirtschaftlichen Interessen beruht, eine Koexistenz auf tönernen Füßen" wäre. Papst Franziskus habe „die russische Aggression gegen die Ukraine vom ersten Moment an in unmissverständlichen Worten verurteilt, er hat nie Angreifer und Angegriffene gleichgesetzt“.
Hintergrund
Anfang Juli hatte Franziskus gesagt, er würde gerne zuerst Moskau und dann Kiew besuchen, was zu Irritationen in der Ukraine führte. So betonte der katholische Erzbischof von Lemberg, Mieczysław Mokrzycki, man müsse zuerst den Leidenden besuchen und dann den Aggressor. Immer wieder äußert der Papst und andere hohe Würdenträger des Vatikan den Wunsch, dass eine Reise nach Kiew und Moskau zustande kommt.
Abkommen mit China
Ein wichtiger Teil des Interviews ist dem Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und China über die Ernennung von Bischöfen gewidmet. Der Dialog beider Seiten habe seinerzeit auf Betreiben Papst Johannes Paul II. begonnen und lief unter Benedikt XVI. und Franziskus weiter, was 2018 in die Unterzeichnung des vorläufigen Abkommens mündete. Weil es ein vorläufiges Abkommen sei, hätten beide Parteien beschlossen, es nicht zu veröffentlichen, sondern vorerst abzuwarten, bis seine Funktionsweise „vor Ort überprüft und eine Entscheidung getroffen wurde", so Parolin. „Was die Bewertung der Ergebnisse des Abkommens anbelangt, so kann ich sagen, dass zwar Fortschritte erzielt wurden, aber nicht alle Hindernisse und Schwierigkeiten überwunden wurden und daher noch ein langer Weg zu seiner guten Anwendung und auch zu seiner Verfeinerung durch einen aufrichtigen Dialog vor uns liegt".
(limes - schw)
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