Kardinal Hollerich: In Sachen Synodalität von Japan lernen
Der Kardinal erzählte dem Interviewer Renardo Schlegelmilch über die Herausforderungen beim Eintauchen in Japans Kultur, die er als von Zurückhaltung und Gemeinschaftssinn getragen schilderte. Er habe sein Auftreten als Europäer anpassen müssen, so der Jesuit, der seinerzeit als Professor an der Sophia-Universität in Tokio wirkte.
„Man ist zuerst immer ein Mensch innerhalb einer Gruppe. Japan unterscheidet in der Soziologie zwischen Uchi und Soto, drinnen und draußen. Das gilt für die Familie, das gilt aber auch für die Firma, in der man arbeitet, das gilt für die katholische Kirche, gilt für die Gesellschaft Jesu, gilt auch für die Sophia-Universität. Man ist Teil dieser Gruppe und wenn man Teil dieser Gruppe ist, von dieser Gruppe ganz angenommen. Das ist etwas sehr Schönes, denn ich habe mich an der Universität nie als Ausländer gespürt. Allerdings darf man nicht die Todsünde begehen, anders sein zu wollen als die anderen. Es gibt ein Sprichwort, das besagt: Der Nagel, der heraussteht, wird eingehauen. Man darf also weder im Guten noch im Schlechten zu viel herausstehen.“
Hollerich schilderte als Beispiel eine Konferenz von Universitätsprofessoren, bei der an einem Punkt keine Einigkeit besteht. In einem solchen Fall müsse man in Japan „die Abstimmung vermeiden. Dann sagt man: Da sprechen wir nächstes Mal darüber. Dann ist es am Dekan, mit den Wortführern der zwei verschiedenen Meinungen auszugehen, ein Bier zu trinken und einen Kompromiss zu basteln. Und bei der nächsten Versammlung wird dann gesagt: Das letzte Mal, glaube ich, waren wir einverstanden, dass wir das so und so machen - und alle nicken. Und dann ist das durch. Und so geschieht das eigentlich überall in der japanischen Gesellschaft. Das ist eine ungeheure Stärke, weil alle dann dasselbe Ziel haben und alle konstruktiv mitarbeiten. Es kann eine Schwäche sein, wenn man auf eine bestimmte Frage eine bestimmte Antwort geben muss, und durch Kompromisse liegt man etwas daneben: Dann ist es nichts Gutes.“
Die Rolle der Moderation von Prozessen ist demnach in Japans Kultur zentral, damit „Harmonie“ entsteht. Hollerich: „Synodalität wird in Asien tatsächlich auch als Harmonie verstanden. Und das Wort Harmonie kommt auch im Instrumentum Laboris vor. Die Harmonie ist in Japan der größte Wert. Wir sehen jetzt in der katholischen Kirche eine Polarisierung von Meinungen. Dass es verschiedene Meinungen gibt, das ist ganz normal. Aber wenn sie zu polarisierend ausgedrückt werden, wird das eine Belastung für die Kirche. Es führt zu Spannungen, die nicht notwendig sind und die an sich das Wachsen manchmal verhindern. Und da gilt es dann immer gut zu schauen, welche Spannung wachstumsfördernd ist und welche Spannung wachstumsverhindernd ist. Es gibt beides.“
Kardinal Hollerich ist als vom Papst eingesetzter Generalrelator maßgeblich für die Vorbereitung und Durchführung der Synode (von 4. bis 29. Oktober) mitverantwortlich. Franziskus berief seinen Mitbruder 2023 überdies in den Kardinalsrat, der rund um die Kurienreform entstanden war. Von 1985 bis 2011 – mit einer Unterbrechung zum Studium in Deutschland - wirkte Hollerich in Tokio, wo er an der von Jesuiten getragenen Sophia-Universität Professor für Deutsch und Französisch war. Der Kardinal ist Mitglied der japanischen Jesuitenprovinz.
(vatican news – gs)
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