Pius XII. und die Shoah: Fokus soll verschoben werden
Mario Galgano – Vatikanstadt
Papst Pius XII. hat nicht allein gehandelt. Daran erinnert Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Gespräch mit uns. Der Vatikan als weltliche und geistliche Institution sei über Jahrhunderte hinweg von bestimmten Ansichten über die Welt, die Rolle der Kirche in ihr und ihre Position gegenüber anderen Nationen und Religionen geprägt worden. Als sie mit den beispiellosen Gräueltaten des Holocaust konfrontiert wurden, prägten diese Ansichten die Reaktion der Beamten um Papst Pius XII. Das wurde am Dienstag beim dreitägigen Symposium an der Gregoriana hervorgehoben, an der auch Wolf als Redner teilnahm. Man müsse eigentlich den Fokus verschieben: „Anstatt auf die Person Pius XII. und den Holocaust müsste man den Blick eher auf die Römische Kurie und die jüdischen Opfer richten“, so Wolf im Gespräch mit Radio Vatikan.
Es sei wichtig, das Ausmaß zu betrachten, in dem die internationalen Begebenheiten der päpstlichen humanitären Diplomatie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs geschmiedet und umgestaltet wurden, Prozesse, die sowohl unter Benedikt XV. als auch unter Pius XI. mit grundlegenden Veränderungen begannen, erinnerte Robert Ventresca von der „King's University College at Western University“. Der Historiker betonte, dass man gleichzeitig die politischen und ideologischen Prämissen, die diesen Strukturen zugrunde liegen, kritisch bewerten sollte. Letztlich ziele die heutige Forschung darauf ab, zu verstehen, wie Theologie, Politik und Diplomatie sich überschnitten und zusammenwirkten, um den Kurs der päpstlichen Politik in Zeiten extremer humanitärer Krisen zu bestimmen, so Ventresca.
Die neuen Archive zum Pontifikat von Pius XII.-Eugenio Pacelli (1939-1958) hätten eine völlig neue Periode von Studien zur Diplomatiegeschichte eröffnet, so Matteo Luigi Napolitano von der „Universita' degli Studi del Molise“. Ein grundlegendes Problem bestehe darin, dass es nicht möglich sei, die internationalen Beziehungen des Heiligen Stuhls nur nach religiösen oder moralischen Maßstäben zu analysieren. Die „realpolitische Schule“ habe der Rolle des Vatikans in den internationalen Beziehungen wenig Beachtung geschenkt und dabei vergessen, dass mehrere Wissenschaftler heute auch in den diplomatischen Beziehungen des Vatikans einen realpolitischen Ansatz im Streben nach Frieden und internationaler Stabilität für gültig halten.
Digitale Edition der Bittschriften
Das Münsteraner Projekt „Asking the Pope for Help“ sei eine digitale Edition der Bittschriften, die jüdische Menschen in der Zeit der Shoah in ihrer Not an den Papst und die Kirche gerichtet hätten, erinnerte Wolf. Dabei handele es sich vor allem um persönliche Briefe, in denen die Bittsteller selbst ihre Nöte und Sorgen schildern, um Briefe von Freunden und Verwandten, um Briefe von kirchlichen oder einflussreichen Personen und Empfehlungsschreiben sowie um Bitten um ein allgemeines Eingreifen des Papstes zugunsten der Juden.
Neben der Transkription dieser intimen Bitten umfasse das Projekt weitere Dokumente aus den vatikanischen Archiven, die sich auf die jeweiligen Fälle beziehen, und bietet darüber hinaus umfangreiche pädagogische und didaktische Instrumente. Ausgehend von der schieren Fülle der Dokumente, mit denen sich das Projekt befasst, biete der vorliegende Vortrag ausgewählte Thesen, die für den jüdisch-christlichen Dialog wichtig seien. So werde nach der Entscheidungsmacht und -freiheit des Papstes als Kirchenoberhaupt gefragt, nach der Rolle der Petitionen für die politische Bildung in Zeiten eines weltweit neu erwachenden Antisemitismus, nach der Identität bzw. Zugehörigkeit der jeweiligen Petenten, nach dem Konflikt zwischen Dogma und diplomatischer Politik der Kurie sowie nach der Unterscheidung zwischen Juden und getauften Juden.
(vatican news)
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